Na ponawiane prośby P. T. Czytelników zamieszczam poniżej opracowany dla druku text mojego referatu wygłoszonego w ramach Międzynarodowego Kongresu Mariologicznego w Lourdes w 2008 r. Text ukazał się w zbiorze referatów sekcji Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Mariologie (omówienie tutaj). Zamierzam opracować streszczenie po polsku, które zostanie tutaj umieszczone.
Streszczenie:
Przedmiotem analizy są wydarzenia w Gietrzwałdzie z roku 1877 uznane jako objawienia prywatne oraz treści z nimi związane. Podstawą są publikacje w temacie dostępne do roku 2008 r. (najważniejsze są podane na końcu textu referatu). Materiały archiwalne nie mogły zostać uwzględnione, ponieważ archiwum metropolitalne w Olsztynie nie odpowiedziało na prośbę o udostępnienie.
Analiza podjęta jest w czterech krokach:
1. Przedstawienie wydarzeń pod względem faktografii zewnętrznej, wizualnej, werbalnej i treściowej. Teologicznie istotne są następujące aspekty:
- Dnia 27 czerwca 1877 r. koło godziny 21-ej, podczas dźwięku dzwonów na modlitwę "Anioł Pański" przy kościele parafialnym jako pierwsza miała wizję 13-letnia Justyna Szafryńska. Od 30 czerwca wizje miała również 12-letnia Barbara Samułowska. Od 12 lipca 46-letnia wdowa Elżbieta Bilitewska także twierdziła, że widziała Matkę Bożą. Podobnie od 13 lipca twierdziła 24-letnia Katarzyna Wieczorek. Ponadto dziewięć innych kobiet, w tym kuzynka proboszcza Maria Durand, twierdziło, że widziały zjawienie się Matki Bożej podczas modlitwy różańcowej. Oprócz wizyj przy kościele, które miały miejsce prawie codziennie podczas modlitwy różańcowej, a raz nawet trzy razy dziennie, Szafryńska, Samułowska, Bilitewska i Wieczorek miały wizje w innych miejscach i w różnych niespodziewanych okolicznościach, także podczas snu. Część z tych wizyj pod względem charakteru różniły się znacznie od wizyj przy kościele i zostały rozpoznane jako demoniczne. Po zakończeniu zjawień danych Szafryńskiej i Samułowskiej na początku września 1877 r., dwie inne kobiety, Bilitewska i Wieczorek twierdziły, że nadal objawia im się Matka Boża. Na początku roku 1880 proboszcz gietrzwałdzki doniósł biskupowi, że Wieczorek wyznała mu, iż wraz z Bilitewską oszukiwały. Także pozostałe kobiety proboszcz uznał za niewiarygodne. Dekretem biskupa Józefa Drzazgi z 11 września 1977 r. zostały uznane jedynie objawienia dane Szafryńskiej i Samułowskiej.
- Podczas gdy sama jasność widzianej postaci nie jest jednoznaczna, to słowa ukazującej się postaci wskazują na tożsamość Matki Bożej. Słowa ten miały miejsce podczas wizyj przy kościele podczas modlitwy.
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Die Anerkennung der Marienerscheinungen von Dittrichswalde (Gietrzwałd) (1877) anläßlich ihres hundertjährigen Jubiläums. Eine fundamentaltheologische Analyse
Zum hundertsten Jahrestag der Ereignisse von Dittrichswalde (Gietrzwałd) und anlässlich der offiziellen Anerkennung der Offenbarungen erschien in der polnischen theologischen Literatur eine Reihe von Publikationen, die sich in einer vielfachen Weise mit dem Thema beschäftigen. Mit dem Dekret des Bischofs von Ermland (Warmia), Józef Drzazga vom 11. September 1977, das die kirchliche Approbation verkündete, erreichte die Angelegenheit ihren Höhepunkt und erfolgreichen Abschluss. In einer heutigen theologischen Reflexion kann es nicht darum gehen, die amtliche Entscheidung einer Überprüfung oder Kritik zu unterziehen, sondern darum, aus dem konkreten casus allgemeinere theologische Erkenntnisse hinsichtlich der Charakteristik der Phänomene dieser Art – der sog. Privatoffenbarungen – möglicherweise abzuleiten.
Zum einen sind die betreffenden Ereignisse aus dem Jahre 1877 in der nichtpolnischen Literatur kaum bekannt, zum anderen scheinen sie weiterhin nicht eingehend genug theologisch untersucht, ausgewertet und in die systematische Reflexion der Thematik integriert zu sein. Deshalb ist es für die Forschung nach wie vor unerlässlich, sich hauptsächlich auf die primären, nicht immer leicht zugänglichen Quellen zu beziehen.
Die Untersuchung geht in vier Schritten vor:
1. Es wird eine theologische Phänomenologie der Ereignisse, d. h. eine zusammenfassende Betrachtung der theologisch besonders relevanten Momente auf der Grundlage der hauptsächlichen Quellen unternommen;
2. Generelle theologische Prinzipien im Umgang mit Privatoffenbarungen werden dargelegt;
3. Kirchliche Prüfungsverfahren und Stellungnahmen bezüglich der Ereignisse von Dittrichswalde werden dargelegt;
4. Ergebnisse im Sinne von fundamentaltheologischen Erkenntnissen in bezug auf Privatoffenbarungen allgemein werden zusammengefasst.
- Eine theologische Phänomenologie der Ereignisse von Dittrichswalde/ Gietrzwałd aus dem Jahre 1877
Ohne in diesem Rahmen alle Einzelheiten darstellen zu können, beschränken wir uns auf eine Präsentation der besonders charakteristischen Bestandteile der Ereignisse anhand von hauptsächlichen Quellen in einer phänomenologisch-theologischen Synthese.
- 1. Der äußere Ablauf
Den offiziellen Berichten und Zeugnissen entnehmen wir zuerst die phänomenische Seite in ihren Einzelaspekten.
1.1.1. Faktographie
Als die 13-jährige Justyna Szafryńska mit ihrer Mutter am 27. Juni 1877 gegen 21 Uhr in der Nähe der Pfarrkirche auf dem Heimweg waren und die Mutter beim Läuten der Angelusglocke in Eile das Gebet sprach, erblickte das Mädchen auf dem sich neben dem Pfarrhaus befindlichen Ahornbaum etwas, was seine Aufmerksamkeit fesselte. Die Mutter sah nichts und drängte, weiter zu gehen. Pfarrer Augustin Weichsel, der gerade von einem Spaziergang zurückkam, sprach das Mädchen auf die nahende Erstkommunion an, da es soeben am Nachmittag die für die Zulassung erforderliche Prüfung erfolgreich bestanden hatte. Da es nichts antwortete, erzählte die aufgeregte Mutter dem Pfarrer, was gerade geschehen war, und dass das Kind nicht von der Stelle gehen wollte, sondern stets zum Ahornbaum blickte und dort „große Helligkeit und eine weiße Gestalt“ sah. Da sie etwa 200 m vom Baum entfernt waren, führte der Pfarrer nach einer kurzen Überlegung das Mädchen in den Pfarrgarten, damit es die Erscheinung besser sehen konnte. Er ließ das Mädchen beschreiben, was es sah. Das Kind zeigte mit der rechten Hand auf eine Stelle zwischen zwei verdorrten Zweigen und erzählte die Einzelheiten. Zunächst hatte es Angst, wollte fliehen, konnte sich aber nicht bewegen; es dachte, dass „der Jüngste Tag gekommen ist“. Als der Pfarrer zu ihm sprach, war es überrascht, denn es kam dem Mädchen vor, alleine mit der Erscheinung zu sein. Aus der Beschreibung schloss der Pfarrer, dass es sich um eine Erscheinung der Muttergottes handelte und er hieß das Mädchen, ein Ave Maria zu beten und nach Hause zu gehen. Nach dem Gebet rief es aber aus, dass „alles noch heller“ geworden sei und „ein Kindlein vom Himmel herabsteigt“; dieses verneigte sich vor der Jungfrau, die anschließend aufstand und zusammen mit dem Kindlein in den Himmel aufstieg. Nach dieser Erzählung blickte das Mädchen noch eine längere Zeit empor und sagte dann, dass „alles verschwand“ und „nur die Helligkeit“ zu sehen war, und schließlich, dass „nichts mehr“ zu sehen sei.
Laut dem offiziellen Bericht von Pfarrer Weichsel sah das Mädchen „auf dem großen Ahornbaum unter dem Pfarrhause einen hellen Schein und eine weissgekleidete Person sitzen“. Das Mädchen „erzählte hievon der Mutter und wollte näher kommen. Diese jedoch wollte nicht glauben und den Weg nach Hause fortsetzen. Während Mutter und Kind sich hievon unterhielten, kam ich hinzu, worauf die erstere mir erzählten, dass ihre Tochter sich immer umdrehe, eine weissgekleidete Person auf dem Baume zu sehen vorgebe und nicht nach Hause gehen wollte. Nach reiflicher Überlegung befahl ich dem Kinde, in meinen Garten zu gehen, um der Erscheinung näherzukommen, und forderte es auf, dieselbe zu beschreiben. (…) Es gab die Stelle auf dem Baume genau an, wo angeblich eine weißgekleidete Person auf einem goldenen mit Perlen verzierten Throne saß, die langen Haare über dem Rücken herunterhängend. Es betete darauf das Gegrüßet seist Du Maria und alsbald sah dasselbe einen hellen Glanz vom Himmel herabkommen und einen etwa 3 Fuss hohen Engel mit goldenen Flügeln in einem weißen, gelb durchschimmernden Gewande und einen weißen Kranz auf dem Haupte tragend vor den Füßen desr sitzenden hl. Jungfrau sich tief verneigen. Hierauf erhob sich, nach Aussage des Kindes, die Hl. Jungfrau und fuhr mit dem Engel zur Linken in einem hellen Glanz zu dem für uns bewölkten, für das Kind jedoch ganz klaren Himmel empor“.
Das Verhalten des Mädchens, das als still und schüchtern bekannt war, sich nun aber mit Entschiedenheit und Gewißheit äußerte, sowie seine ungewöhnlichen Gesichtszüge und der Glanz in den Augen beeindruckten den Pfarrer, und so entließ er Justyna zurück zu der Mutter mit den Worten: „Fürchte dich nicht, komm morgen um die selbe Zeit hierher und bete dann den Rosenkranz“. Als das Mädchen nach etwa 10 Minuten wieder bei der Mutter war, erzählte es noch blass, aufgeregt und mit größer als sonst scheinenden Augen, was vorgefallen war. Die Mutter, die ihr Kind für gesund an Leib und Seele sowie frei von Übertreibung, Falschheit und Heuchelei hielt, war verwundert, wusste aber nichts dazu zu sagen, und so eilten beide schweigend wieder nach Hause.
Am nächsten Tag kam Szafryńska, der Anweisung des Pfarrers folgend, zum Ahornbaum, diesmal in Begleitung von Mischülerinnen. Die Kinder knieten nieder und fingen an, laut die „fünfzehn Geheimnisse des Rosenkranzes“ zu beten, so wie es während der Maiandacht üblich war. Während des Läutens der Angelusglocke begann die Vision mit einer Helligkeit, setzte sich mit einem weiteren Aufbau der Szene während des Betens des dritten freudenreichen Geheimnisses fort bis zur Erscheinung der Gestalt der „schönen Frau“, diesmal in Begleitung von zwei Engeln. Das Mädchen geriet zuerst in Angst und Schrecken, fing sich aber wieder und war in der Lage, die Erscheinung genauer zu beobachten, die es dann mit vielen Details beschreiben konnte. Als bekannt erschien der Thron und die Jungfrau. Die Vision wurde reichhaltiger und dynamischer als die erste, da ein Kind und dann eine Krone sowie ein Zepter von den Engeln gebracht wurden. Die Übergänge der Szenen fanden ruhig zu Beginn eines neuen Rosenkranzgeheimnisses statt. Nachdem alle fünfzehn Geheimnisse gebetet worden waren, verschwand langsam die Erscheinung. Das Mädchen erzählte darüber noch während des Rosenkranzes, wohl unmittelbar nach dem Erlebnis, während von den anderen weiter gebetet wurde, und beschrieb die Vision danach, als es befragt wurde, noch genauer. Die gleiche Vision wiederholte sich am darauf folgenden Tag, dem 29. Juni abends beim Beten der Rosenkranzes zur gleichen Zeit unter Teilnahme von einer großen Menge, und es war zugleich die letzte Vision dieser Art.
Am 30. Juni trug der Pfarrer – falls die Vision wieder stattfinden sollte – der Seherin auf, die Erscheinung zu fragen, was sie fordere. Die Erscheinung fand diesmal ohne die Engel und das Kind statt. Gefragt auf Polnisch, gab die Erscheinung ebenso die Antwort. An dem Abend kam ein neuer Umstand hinzu: Nachdem der Pfarrer die Erzählung der Seherin angehört hatte, kam ein weiteres Mädchen, Barbara Samulowska, zu ihm und behauptete, ebenfalls eine Schauung gehabt zu haben; die Beschreibung war die gleiche wie diejenige der Szafryńska. Obwohl der Pfarrer die Samulowska als ein ehrliches und wahrheitsliebendes Mädchen kannte, wollte er ihr keinen Glauben schenken und schickte sie fort mit den Worten, dass sie alles von Szafryńska gehört habe.
Am 1. Juli versammelten sich Gläubige, der Forderung der Erscheinung folgend, wie gewohnt abends zahlreich zum Rosenkranzgebet. Szafryńska, die an dem Tag die Erstkommunion empfangen hatte, sah wiederum die Erscheinung und fragte diese, wer sie sei. Nach einer kurzen Antwort wollte das Mädchen im Auftrag des Pfarrers eine weitere Frage stellen, und zwar ob Kranke kommen sollen, aber die Erscheinung war sogleich verschwunden.
An dem Abend bekannte Samulowska unter Tränen dem Pfarrer, lediglich eine Helligkeit um den Baum gesehen zu haben, woraus dieser zwar schloss, dass das Mädchen wohl wahrhaftig war, aber seine Vision lediglich auf eine Täuschung zurückführte und ihr keine Bedeutung zumaß. Zu Hause erzählte Samulowska den Eltern von der Enttäuschung und überlegte, ob es selbst am Ausbleiben der Vision schuldig war (durch mangelhaftes Beten oder ein anderes Vergehen). Am 2. Juli wachte sie freudig auf und behauptete, dass die „Allerseligste Jungfrau“ nachts bei ihr gewesen sei, die Frage nach ihrer Identität beantwortete und sie tröstete. Als sie dies der Mutter erzählte, erinnerte sich diese, nachts die Selbstbezeichnung der Erscheinung gehört zu haben. An dem Tag ging gerade die Novene zu Ende, die die Mutter vor dem Fest der Heimsuchung Mariens betete, indem sie die Muttergottes bat, für die in Betlehem erlebte Zurückweisung unter ihr Dach einzukehren; sie betete zusammen mit ihrer Tochter, die auch das Bild der Muttergottes festlich schmückte. Die nächtliche Vision haben sie als eine besondere Gnade am Ende der Novene interpretiert.
Auf Berichterstattung darüber reagierte der Pfarrer misstrauisch und beschloss, das Mädchen genauer zu prüfen. Er ordnete an, dass Samulowska die andere Seherin während des Rosenkranzgebetes weder sehen noch sich mit ihr verständigen konnte; beiden Seherinnen trug er separat Fragen auf, die sie der Erscheinung stellen sollten, und befragte sie danach ebenfalls getrennt und unter Zeugen. Nach diesen Maßnahmen stimmten die Berichte der Mädchen weiterhin vollständig überein. An die sich an weiteren Tagen auf die gleiche Weise wiederholende Erscheinung wurden – durch die zwei Mädchen – verschiedene Fragen gestellt. Die Antworten übersteigen wohl die Intelligenz der sie übermittelnden Seherinnen (s. unten 1.1.3.).
Am 5. Juli stellte man – dem von anderen Gnadenorten bekannten Brauch folgend – Behälter mit Wasser am Baum und legte ein Leinentuch auf die Äste des Ahornbaumes, wo die Erscheinung stattfand. Die Erscheinung segnete das Wasser, verlangte aber, dass das Leinentuch am Boden liegen sollte. Auf eine Nachfrage äußerte sie am 6. Juli einen weiteren Wunsch, nämlich das Aufstellen eines gemauerten Kreuzes samt einer Statue der Unbefleckt Empfangenen; sie gab zudem die Anweisung, dass zu Füßen der Statue Leinentücher gelegt werden sollen. An weiteren Tagen wurde nach den Einzelheiten dieser Wünsche gefragt, was ebenfalls beantwortet wurde: Es sollte ein bescheidenes Kreuz (in der Form eines „Marterls“) sein; die Statue sollte eine stehende Gestalt darstellen und somit dem Typus der Darstellung von Lourdes folgen. Unverzüglich begann man mit der Ausführung der Forderungen.
Am 12. Juli behauptete eine 46-jährige Witwe namens Elżbieta Bilitewska, die sich eines guten Rufes in der Gemeinde erfreute, beim üblichen abendlichen Rosenkranzgebet am gleichen Ort eine Vision gehabt zu haben. Sie hegte zuvor die Hoffnung und den Wunsch, ebenfalls die Muttergottes zu sehen. Die deutlich andere Vision – keine vollständige Gestalt, sondern die Art einer Büste – verschwand der Erzählung der Frau zufolge schlagartig, als diese versuchte, ihre Nachbarin darauf aufmerksam zu machen. Als die Witwe am nächsten Tag keine Vision hatte, dachte sie, um der Sündhaftigkeit willen ihrer unwürdig zu sein, und bemühte sich, herzliche Reue für die Sünden zu erwecken. Am nächsten Tag sah sie sogar die ganze Gestalt und zwar mit dem Jesuskind auf dem Arm, allerdings mit deutlichen Unterschieden zu der Vision bei den zwei Mädchen.
Am 13. Juli hatte eine weitere Person, das 24-jährige Fräulein Katarzyna Wieczorek, während des Rosenkranzgebetes eine Erscheinung. Bereits am 28. Juni erschien ihr ein Glanz am Ahornbaum. Die nächste Vision, und zwar der gleichen Gestalt, hatte sie erst am 15. und 16. Juli. Da sie die nächsten Wochen mit der Feldarbeit beschäftigt war, konnte sie erst am 29. Juli an der Abendandacht wieder teilnehmen und sah von da an erneut die gleiche Erscheinung.
Vom Beginn der Erscheinungen an betete man den Rosenkranz im Rahmen einer Andacht am Platz neben der Kirche. In der Woche zwischen dem 15. und dem 22. Juli zeigte sich die Erscheinung mehrmals jeweils für eine kurze Zeit (3-5 Minuten). Nachdem die Schulferien begonnen hatten, ordnete der Pfarrer an, die fünfzehn Rosenkranzgeheimnisse nicht erst abends in Einem zu beten, sondern den freudenreichen Teil bereits morgens nach der hl. Messe zu verrichten. Die Erscheinung fand auch zu dieser geänderten Zeit statt, zeigte sich im Unterschied zu den vorigen Tagen fröhlich, dauerte länger (etwa 10 Minuten) und wünschte, dass die Kinder nun jeden Tag nach der hl. Messe kommen sollen. Als zu Mittag die schmerzhaften Geheimnisse gebetet wurden, erschien die Muttergottes nicht. Sonst fanden Erscheinungen, seitdem die drei Teile des Rosenkranzes auf drei Tagzeiten – morgens, mittags und abends – aufgeteilt waren, auch drei Mal täglich statt.
Als nach dem Mittagsgebet am 25. Juli die Mädchen bezüglich der Erscheinung befragt wurden, trat zum ersten Mal eine Diskrepanz in den Berichten auf: Szafryńska zufolge verlangte die Erscheinung, dass während des Rosenkranzes Banner und Kreuz aufgestellt würden, während Samulowska behauptete, ein Kreuz und zwei Banner neben der Muttergottes gesehen zu haben. In dieser Situation überkamen den Pfarrer ernsthafte Zweifel bezüglich sowohl der Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit der Seherinnen als auch der Echtheit der Erscheinungen; er hatte den Verdacht, dass die Kinder sich entweder abgesprochen hatten oder von einer dritten Person angewiesen wurden. Deshalb verbot er den Kindern sofort, an den Ort zum Gebet zu kommen, und ließ den anderen Priestern ausrichten, dass sie wegen aufgetretener Bedenken den Gläubigen verbieten sollen, dorthin zu pilgern.
Am 25. Juli berichtete Samulowska nach der Erscheinung, „sie habe die Heilige Jungfrau gesehen mit zwei Fahnen und einem Kreuze, Szafrynska dagegen, die Heilige Jungfrau habe gesagt, es sollen Fahnen und ein Kreuz während des Gebetes zugegen sein“. Dazu sagt Pfr. Weichsel: „Ob dieses Widerspruches stieß mir der Zweifel auf, ob sich die Kinder nicht besprochen haben könnten, und befahl ihnen deshalb, sie sollten gar nicht mehr kommen; auch den Herren Geistlichen ließ ich durch die anwesenden Leute sagen, sie möchten doch bekannt machen, desdwegen eines obwaltenden Zweifels niemand mehr hierher kommen soll, indem ich fast mit der Absicht umging, die ganze Sache aufzuheben in der Meinung, wenn es wirklich eine Erscheinung der Heiligen Jungfrau wäre, sie Mittel und Wege genug finden werde, der Wahrheit Zeugniss zu geben.“ In diesem Sinne verbot er den Mädchen, der üblichen Andacht beizuwohnen. Szafrynska hielt sich nicht an das Verbot und kam heimlich zur Andacht; „im Versteck hinter dem Zaune“ vernahm sie „von der Erscheinung (…) die Worte: Es werden noch weniger glauben, größere Verfolgungen sein, aber zu eurem Besten“.
Weil die Kinder als wahrhaftig bekannt waren und ihr Verhalten und ihre Haltung während der Ereignisse auf tatsächlich stattfindende Erscheinungen hindeuteten, bot ein angesehener Wirt und Mitglied bei der Kirchenaufsicht dem Pfarrer an, Samulowska bei sich aufzunehmen und zu beaufsichtigen, damit die Kinder während und nach den Erscheinungen getrennt blieben. Daraufhin erlaubte es der Pfarrer wieder, dass die Mädchen an gewohnter Stelle am Rosenkranzgebet teilnehmen dürften. Da der Widerruf des zuvor erlassenen Verbots am Abend die Kinder noch nicht erreicht hatte, blieb Samulowska gehorsam zu Hause. Szafryńska dagegen meinte, durch heimliches Beobachten des abendlichen Rosenkranzgebets aus der Ferne am Zaun gegen das Verbot nicht zu verstoßen. Von dieser ungewöhnlichen Stelle aus sah sie die Erscheinung am gleichen Ort. Trotz der strengeren Maßnahmen stimmten Berichte und Antworten der Mädchen bezüglich der jeweiligen Erscheinung zumindest hinsichtlich des Inhalts und meistens auch hinsichtlich der Worte überein. Es kam aber vor, dass sie meinten, die gehörten Worte vergessen zu haben.
An dem Abend (25. Juli) behaupteten weitere zwei Mädchen (19 und 16 Jahre alt), während des Rosenkranzgebetes eine Erscheinung gehabt zu haben, die sich dann noch weitere vier Male – zwar abgeschwächt, undeutlicher – gezeigt haben soll.
Zu glaubwürdigen Zeugen der Erscheinungen zählt Pfr. Weichsel neun weitere Personen, darunter an erster Stelle seine Verwandte, das 53-jährige Fräulein Maria Durand, deren angebliche Visionen er recht ausführlich schildert, sowie acht weitere Frauen. Die bischöfliche Kommission nennt in ihrem Bericht außer den zwei Mädchen (Szafryńska und Samulowska) die Witwe Bilitewska, Fräulein Wieczorek, sowie die Verwandte des Pfarrers Maria Durand, die jedoch für die Kommission „nicht in Betracht kommt“, „da sie ganz andere verschiedenartige Visionen haben will, welche sich ihr mehr bild- und statuenartig zeigen sollen“.
Als Wieczorek nach einer Unterbrechung seit Ende Juli wieder am gemeinsamen Gebet teilnahm, begann sie mit Erlaubnis des Pfarrers ebenfalls Fragen an die Erscheinung zu stellen. Am ehesten baten Menschen Bilitewska darum, die Erscheinung zu fragen bzw. um Rat zu bitten, denn sie galt als die Verlässlichste. Die Übereinstimmung der Berichte aller vier Seherinnen erweckte Staunen und überzeugte die Menschen.
Am 30. und 31. Juli segnete die Erscheinung – auf die durch die Kinder vorgetragene Bitte des Pfarrers hin – das Volk „so wie ein Priester am Altar segnet“. Von dem Tag an segnete sie die Anwesenden bei jedem Rosenkranzgebet, gewöhnlich während des dritten Geheimnisses, was an Verneigung und Kreuzzeichen der Seherinnen zu erkennen war.
Am 7. August erreichte den Ort die erfreuliche Nachricht: Die stigmatisierte Frau in Belgien, Luise Lateau, deren Fähigkeit, geweihte Gegenstände zu erkennen, berühmt war, hatte die zu ihr gebrachten Blätter des Ahornbaumes sowie ein Leinentuch vom Erscheinungsort durch ein Lächeln identifiziert, das sie üblicherweise beim Anblick des Gottgeweihten zeigte.
Etwas Besonderes ereignete sich am 10. August. Auf dem Rückweg vom Morgengebet kehrte Szafryńska bei Frau Henning ein, die ihr ein Kleid schneiderte. Das sonst gesunde Mädchen wurde dort unerwartet so müde, daß man es hieß sich hinzulegen und es sofort einschlief. Bald erwachte es, denn es kam ihm vor, an der Hand gefasst worden zu sein, und sah vor sich die Gestalt der Jungfrau in der gleichen Weise wie sonst und zu ihren Füßen sechs Särge; einer davon war mir dem Namen des Mädchens beschriftet. Es kam ihm vor, Worte der Erscheinung gehört zu haben, bevor sie verschwand. Am nächsten Tag nach dem Nachmittagsgebet erzählte es darüber der anderen Seherin Samulowska und ließ sie zu der Schneiderin mitkommen, nachdem es von der Gastfamilie die Erlaubnis dazu bekommen hatte. Im Hause der Schneiderin überkam nun beide Mädchen Müdigkeit, so dass sie sich aufs Bett legten. Bald erblickten beide – wieder erwacht im Wachzustand – die selbe Gestalt wie auf dem Ahornbaum. Diese forderte sie auf, jeden Tag dorthin zu kommen. Danach verschwand die Erscheinung, und es erschien die Gestalt eines Engels mit einem Band in der Hand, auf dem Worte auf Polnisch zu lesen waren. Anschließend begaben sich die Mädchen zum Pfarrer und erzählten ihm alles, worauf er ihren Ungehorsam rügte. Mit Tränen in der Augen entschuldigten sich die Kinder unter Berufung auf den vermeindlichen Befehl der Allerseligsten Jungfrau. Der Pfarrer ließ sie beim abendlichen Rosenkranzgebet die Erscheinung fragen, ob sie ihm gehorchen sollen. Zur Antwort vernahmen sie die Weisung, auf den Priester zu hören. Daraufhin kehrte in ihre Herzen wieder Friede und Freude ein. Später – am 16. August – ließ man die Mädchen die Erscheinung während des Rosenkranzgebetes fragen, warum sie befohlen hatte, zur Schneiderin zu kommen, worauf die Antwort kam, dass es vom bösen Geist war.
Die zwei älteren Seherinnen berichteten ebenfalls von plötzlichen Visionen in ungewöhnlicher Zahl und von ungewöhnlichen Gestalten, an anderen Orten als dem gewohnten, außerhalb der üblichen Zeiten und in bedenklichen Situationen. Bilitewska sah am letzten Julisonntag plötzlich während des Gebets in der Kirche einer Nachbarpfarrei die bekannte Gestalt, die zu ihr sprach. Am 12. August dauerte die Vision bei den beiden Frauen (Bilitewska und Wieczorek) noch lange nachdem andere Teilnehmer am Rosenkranzgebet auseinander gegangen waren. An vier weiteren Tagen hatten sie eine Menge von Visionen. Wieczorek hatte sie während der Feldarbeit, auf dem Weg nach Hause, zu Hause, dann einige Male vor und nach dem Rosenkranzgebet, sowie sogar im Pfarrhaus und in der Kirche. Während dieser Visionen fühlte sie sich – anders als bei den früheren Erscheinungen – ungewöhnlich geschwächt und müde, danach war sie traurig, wurde verzweifelt und unfähig zu arbeiten und zu beten. Ähnliches geschah mit Bilitewska vom 13. an bis zum 17. August. Sie sah die Gestalt außerhalb des gemeinsamen Rosenkranzgebetes und neben ihr bzw. zu ihren Füßen den Papst, das Grab Christi, einen Trauerzug, Särge, und hörte Ankündigung einer Epidemie und eines massenhaften Sterbens. Am 15. August soll die Erscheinung während des Rosenkranzgebetes außergewöhnlich fröhlich und von einer Menge von Engeln umgeben gewesen sein. Als die beiden Frauen abends im Pfarrhaus vor mehreren Zeugen darüber Bericht erstatteten, wurden sie plötzlich bewusstlos und sagten dann, als sie wieder zu sich kamen, dass ihnen soeben über dem Bild der Muttergottes im Zimmer die Allerseligste Jungfrau erschienen sei. Das Gleiche wiederholte sich am nächsten Tag im Flur des Pfarrhauses. Dabei war der Gesichtsausdruck der beiden Frauen so, dass er die Anwesenden mehr erschreckte als erstaunte, denn sie sahen ganz anders aus als gewöhnlich oder während des Rosenkranzgebetes: ihre Gesichter waren entstellt und leichenblass, die Augen wie von Blut angelaufen und stark hervortretend. Im Gegensatz dazu sahen die Gesichter bei den Visionen während des Rosenkranzgebetes normal aus, verändert nur durch den Ausdruck einer herzlichen Andacht sowie unbewegliche, weit geöffnete Augen.
Die bekannt gewordenen bedenklichen Ereignisse regten dazu an, die Erscheinung genauer zu prüfen. Man wendete auch einfachere, zum Teil skurril-volkstümliche, experimentelle Mittel an. Die zwei älteren Seherinnen wurden beauftragt, die Gestalt, sobald sie während des Gebets erschien, mit Weihwasser zu besprengen. Dies wollten sie dann auch tun, waren aber dazu doch nicht imstande. Statt ihnen besprengte jemand von den Anwesenden die Stelle der Erscheinung mit Weihwasser. Den zwei Mädchen befahl man, sie sollten auf die Erscheinung spucken, sie berichteten aber dann einzeln, dass sie wegen Trockenheit im Munde es nicht tun konnten.
Am nächsten Tag stellte Bilitewska der Erscheinung die Frage, warum sie falsche Visionen – insgesamt 24 Mal – hatte. Als die Antwort auf den Hochmut hinwies, dachte sie darüber nach und prüfte sich, was damit gemeint sein konnte, und kam zu der Vermutung, dass es darum gehen könnte, dass sie sich für diejenige hielt, die besser als die anderen drei Seherinnen alles behalten und vortragen konnte. Die gleiche Frage – bezüglich der eigenen 25 falschen Visionen – stellte Wieczorek der Erscheinung und empfing den Hinweis auf ihre Sorge wegen angedrohter Verfolgung.
Eine weitere Schwierigkeit trat in der Ankündigung vom Ende der Erscheinungen auf. Am 19. August berichteten die Mädchen, dass die Erscheinung bis zur „Geburt der Muttergottes“ weilen werde. Daraufhin trug man ihnen auf, genauer zu fragen, an welchem Tag und zu welcher Stunde sich die Allerseligste Jungfrau zum letzten Mal zeigen werde. Am 22. August vernahm Szafryńska die Antwort: „Am Samstag an meinem Geburtstag abends um neun Uhr“. Samulowska stellte die Frage erst am nächsten Morgen und meinte dann vernommen zu haben: „An meinem Geburtstag am Sonntag abend“. Als man die Kinder mit der Differenz konfrontierte und sagte, dass entweder beide oder eine von ihnen lüge, zeigte keine von ihnen irgendwelche Anzeichen von Unsicherheit, Beschämung oder Angst, sondern jede blieb bei der eigenen Aussage. So befahl man ihnen, zu Mittag der Erscheinung wieder die gleiche Frage zu stellen. Danach sagte Szafryńska aus: „Die Allerseligste Jungfrau sagte zu mir: Zum letzten Mal werde ich mich am Tag meiner Geburt samstag abends um neun Uhr zeigen. Du hast gut gesagt, das andere Mädchen hat sich getäuscht“. Anschließend verhörte man Samulowska, die zuvor getrennt war und von der Aussage der Gefährten nichts mitbekam; sie bekannte: „Ich habe falsch gesagt, die andere hatte Recht. Die Allerseligste Jungfrau sagte mir: Du hast nicht aufgepasst. Ich werde mich hier zum letzten Mal zeigen am Samstag um neun Uhr“. Somit hat sich die Widersprüchlichkeit beheben lassen.
Als nach 72 Tagen, am 8. September, die Erscheinung – wie von ihr selbst angekündigt – zum letzten Mal sich zeigen sollte, kamen geschätzte 50.000 Pilger zum Teil aus entfernten Gegenden zusammen, Deutsche und Polen aus Ermland, Litauen, Masuren, Kaschubenland, Westpolen, Galizien und selbst aus Russland. Morgens berichtete Bilitewska, die Erscheinung habe ihr von sich aus dem Pfarrer ausrichten lassen, dass er seinen Wunsch, die Quelle zu segnen, beim mittäglichen Rosenkranzgebet ausdrücken sollte; in dem Fall sollten die Priester und die Seherinnen sich bei der Quelle versammeln, die in ihrer Anwesenheit gesegnet werde (zuvor – am 24. Juli – hatten die Kinder die Erscheinung gefragt, ob Menschen Wasser bringen dürften, um es während des Rosenkranzes in den Händen zu halten und dann den Kranken zu reichen, und die Antwort war zustimmend; am 12. August bat Pfr. Weichsel darum, dass die Erscheinung die Quelle auf dem pfarrlichen Felde segnen möge und die Antwort war „Später“; am 7. September ließ er durch Bilitewska seine Bitte erneuern und die Antwort lautete wiederum „Später“). Als die Witwe zu Mittag die Bitte des Pfarrers vortrug, gab die Erscheinung genau an, dass um 7 Uhr abends die Segnung vorgenommen würde und dass während dessen die Lauretanische Litanei gebetet werden sollte. So geschah es, dass während an der Quelle gebetet wurde, zuerst Bilitewska, dann Wieczorek und dann auch die zwei Mädchen die Erscheinung sahen: sie alle hatten weit geöffnete Augen, ihre Gesichter waren wie leblos, Hände und Arme kalt und erschlafft. Nach der Litanei stimmte ein Priester das Salve Regina, dann O Sanctissima und schließlich das Magnificat an. Während dessen machten die vier Seherinnen fast zeitgleich eine tiefe Verneigung, erlangten das gewöhnliche Aussehen wieder und wurden nacheinander an Ort und Stelle vor allen verhört. Jede berichtete, wie die Muttergottes sich in je anderer, eigener Weise zeigte, aber ohne das Engelsheer, dass sie auf die Anwesenden blickte, dann auf die Quelle, und schließlich diese sowie die Anwesenden segnete, ähnlich wie ein Priester in der hl. Messe zuerst den Kelch und dann das Volk bekreuzigt. Außerdem hörten die Kinder: „Geht nun zum Friedhof“ (= Kirchenplatz). Dort angekommen, wurden die vier Seherinnen getrennt, und um halb 9 Uhr begann das Rosenkranzgebet. Während des zweiten Geheimnisses machten alle vier auf einmal eine tiefe Verneigung, ihre Gesichter veränderten sich sichtbar, und sie wurden unzugänglich für äußere Eindrücke. Als sie während des dritten Geheimnisses ein Kreuzzeichen machten, so als ob die Muttergottes gerade segnen würde, rief jemand immer lauter eindringlich „Mutter Gottes bitte für uns!“, so dass Unruhe entstand und das Gebet gestört wurde. Erst beim Salve Regina zum Schluss der Andacht kehrte wieder Ruhe ein. Danach fragte man sich, was die Ursache der Unruhe war. Die Personen, die gegen den eigenen Willen geschrien hatten, konnten selbst den Grund der eigenen Erregung nicht eindeutig erklären. Ein Junge gab als den Grund an, einen plötzlichen heftigen Wind und einen schreckenerregenden grauen Vogel und dann eine weiße Gestalt in den Ästen des Baumes gesehen zu haben; eine Frau meinte, eine weiße Gestalt sei vom Ahornbaum in Richtung des Dorfes gestiegen; eine andere sah einen Stern von ungewöhnlicher Größe; wieder andere erzählten von einer „Feuermasse“, die sich vom Baum aus in Richtung des Dorfes bewegte; eine Frau behauptete, eine Menge von hässlichen Gestalten in der Luft gesehen zu haben, die den Leuten zuriefen, wegzugehen; ein Mann berichtete vom Brüllen eines wütenden Löwen. All das waren nicht nur äußerst seltsame Erlebnisse, sondern wohl Ansätze für eine Massenpanik, die jedoch letztlich ausblieb.
Die Seherinnen gaben an, dass die Muttergottes zum Schluss der letzten Erscheinung am 8. September – entgegen der Erwartung – versprach, hier weiterhin zu bleiben und sich an bestimmten Tagen zu zeigen. Wieczorek hörte am letzten Tag nichts, sondern sah lediglich, wie die Gestalt beim Aufsteigen in den Himmel die Anwesenden segnete. Bilitewska bekam – wie sie nach der Erscheinung bei der Vernehmung zur Verwunderung aller angab – auf die Frage, ob die Allerseligste Jungfrau sich noch zeigen würde, die Antwort „Ich werde hier sein am Fest der Portiunkula, der Aufnahme in den Himmel und der Geburt der Mutter Gottes, und außerdem an dem Tag, als die Statue aufgestell wird“ (es ging um die geforderte Darstellung der Unbefleckten im Marterl). Dies erschien seltsam, umso mehr als die Witwe nach dem Rosenkranzgebet am nächsten Sonntag (9. Sept., der als das Fest Mariä Namen begangen wurde) morgens dem Pfarrer berichtete, wie die Allerseligste Jungfrau, allerdings ohne Engel, schweigend das Volk segnete. Daraus schloss man, dass auch während der weiteren Teile des Rosenkranzgebets die Erscheinung stattfinden würde. So kamen zu Mittag auch die anderen drei Seherinnen, die morgens verhindert waren. Allen erschien die gewohnte Gestalt, allerdings kürzer, d. h. nur zwischen dem dritten und dem vierten Geheimnis. Zu den Mädchen sagte die Erscheinung: „Kommt immer hierher“. Wieczorek fragte, ob die Muttergottes schon immer hier sein werde, und erhielt die Antwort „Ja“. Bilitewska fragte im Auftrag der Anwesenden nach dem Grund der Unruhen am Vortag und die Antwort lautete: „Diejenigen, die schrien, sahen den bösen Geist“. Beim abendlichen Gebet sahen die Mädchen nichts mehr. Wieczorek sah die Gestalt samt den vielen Engeln und hörte die Worte: „Ich werde hier für immer anwesend sein an den drei Festen“. Bilitewska berichtete ebenfalls die Worte: „Ich werde mich euch wieder zeigen, wenn die Statue aufgestellt wird, und dann jedes Jahr am Patrozinium von Portiunkula, am Fest der Aufnahme in den Himmel und der Geburt der Muttergottes“. Somit sollte nun die zweite Serie der Erscheinungen beginnen.
Zunächst hatte man an den 8. Dezember – das Fest der Unbefleckten Empfängnis – als den geeigneten Tag für das feierliche Aufstellen der Statue gedacht. Diese wurde jedoch bereits am 12. September angeliefert. Die Darstellung war nicht eigens nach den Schilderungen der Seherinnen angefertigt, sondern in der längst bekannten Form der Unbefleckten Empfängnis, wie sie in der Werkstatt Mayer in München angefertigt wurden. Als die zwei Mädchen abends die Statue erblickten, brachen sie in Tränen aus und waren untröstlich, denn sie war hässlich im Vergleich zu der Allerseligsten Jungfrau, die sie gesehen hatten. Nach dem Rosenkranzgebet berichteten sie aber, dass ihnen während des drittten und vierten Geheimnisses die Jungfrau Maria erschienen war und gesagt hatte: „Seid nicht traurig, denn die Statue ist gut“. Bilitewska gab an, die Vision und die gleichen Worte vernommen zu haben; Wieczorek hatte keine Erscheinung. Beide Frauen hatten am nächsten Morgen (13. Sept.) eine Vision für ein paar Minuten. Zu Mittag zeigte sich die Erscheinung allen vier Seherinnen kurz, und die beiden Mädchen fragten sie, wann das Marterl gesegnet werden solle; die Antwort lautete: „Am Sonntag“. Abends sahen die Mädchen nichts, die Frauen dagegen berichteten, dass sie auf die Frage, um wieviel Uhr die Segnung vorgenommen werden soll, die Antwort hörten: „Um drei Uhr nachmittags soll die Geistlichkeit hier anwesend sein und der Rosenkranz soll gebetet werden.“ An den nächsten drei Tagen sahen alle vier die Erscheinung, mit dem Unterschied, dass den Frauen vom 14. September an die Gestalt umgeben von einem Engelchor erschien. Es wurden der Erscheinung Fragen gestellt bezüglich Gebrechen von bestimmten Personen sowie bezüglich der Art und Weise, wie die Feierlichkeit abgeschlossen bzw. weiter begangen werden sollte. Die zwei Frauen fragten einmal, ob sie nächstes Jahr noch Erscheinungen sehen würden, und erhielten die Antwort: „Wenn ihr am Leben sein werdet, werdet ihr sehen“. Am 15. September abends baten sie die Erscheinung um den Segen für die Pfarrei und den Pfarrer, worauf die Jungfrau antwortete, dass am nächsten Tag der Segen für die nahe Zeit der Leiden gegeben würde.
Am 16. September, einem Sonntag, wurde in der Pfarrei zugleich der Oktavtag des Patroziniums der Pfarrkirche (Geburt der Muttergottes) und das Fest Mariä Namen gefeiert. Trotz Dauerregens kamen etwa 15.000 Menschen zusammen, obwohl man zuvor annahm, dass die letzte Erscheinung bereits am 8. September gewesen sei. In einer Prozession und mit Gesängen und Gebeten, die im diözesanem Rituale vorgesehen waren, wurde die Statue gesegnet und am Marterl aufgestellt, und sogleich hörte der Regen auf. Anschließend betete man wie gewöhnlich den Rosenkranz. Vom zweiten bis zum fünften Geheimnis beobachtete man das bei den Visionen übliche Verhalten der vier Personen, und zwar noch deutlicher als zuvor. Nach ihrem einmütigen Bericht wandte sich die Muttergottes segnend zuerst dem Marterl mit der Statue zu und dann den Anwesenden, was als Erfüllung der Bitte um den Segen für die Pfarrgemeinde und den Pfarrer verstanden wurde. Zum Schluss hörten die zwei älteren Seherinnen die Aufforderung: „Betet eifrig den Rosenkranz“. Die Witwe meinte gehört zu haben: „Ich werde mich euch wieder erst im nächsten Jahr zeigen“. Dies war jedenfalls die letzte der insgesamt 187 Erscheinungen, die 80 Tage – vom 27. Juni bis zum 16. September außer am 10. und 11. September – dauerten.
Von Anfang Juli an strömten Pilger nach Dittrichswalde in der Hoffnung, durch die Fürbitte der Muttergottes Hilfe in Krankheiten und Leiden zu erlangen. Seit Anfang August erzählten Menschen und Zeitungen von zahlreichen Heilungen, die im Ort stattgefunden haben sollten. Einige davon wurden dem Bischof von Ermland protokollarisch gemeldet, dieser leitete aber weder kanonische Untersuchungen ein noch erließ darüber ein Urteil, obwohl sich die Heilungen kaum natürlich erklären ließen.
Wie bereits erwähnt, war man den Erzählungen der Seherinnen generell nicht unkritisch eingestellt, es gab zahlreiche Bedenken und Zweifel. Die zwei jüngeren Seherinnen – Szafryńska und Samulowska — wurden während der Erscheinungen zum Teil auch sehr schmerzhaften Experimenten unterzogen, wie Kneifen und Stechen mit Nadeln bis zu den Knochen, deren Folgen sie vor allem nach den Visionen deutlich spürten (amtliche Vorgehen und Untersuchungen behandeln wir im Weiteren unter 3.1.). Sie bekamen keine Wiedergutmachung oder Vergeltung für all die äußeren und inneren Unannehmlichkeiten. Trotz Armut nahmen sie keine Geschenke an, und in ihrer Einfalt hatten sie keine Ahnung von Berühmtwerden. Pfr. Weichsel kann ebenso wenig vorgeworfen werden, Vorteile durch die Ereignisse gehabt zu haben. Seitdem diese einsetzten, hatte er seit keine freie Stunde. Sein Haus und die pfarrlichen Gebäude waren Tag und Nacht voller Menschen, zu seinem Tisch kamen täglich viele Gäste, Reiche und Arme, und alle wurden kostenlos bewirtet. Dafür wurde er von den Zeitungen verdächtigt und verleumdet. Zudem wurde befürchtet, dass er verhaftet würde, was auch eintrat: Vor Gericht geladen, wurde er aufgefordert, die Namen der Priester zu verraten, die in seiner Pfarrkirche geistliche Dienste ausübten und somit gegen sog. „Maigesetze“ verstießen; da er dies verweigerte, wurde er am 12. November verhaftet (am 17. November wieder entlassen). Es war nicht abzusehen, ob dies das Ende der Maßnahmen seitens des Staates war, denn der Pfarrer wurde mit gerichtlichen Vorladungen, Terminen und Prozessverfahren überhäuft. Andere Geistliche wurden zu Geldstrafen verurteilt, weil sie beim Dienst an den Pilgern in Dittrichswalde ausgeholfen hatten.
Der Großteil der Geistlichen, die vorwiegend Deutsche waren, rügte von den Kanzeln Wallfahrten nach Dittrichswalde. Somit war keine Unterstützung oder gar Förderung seitens des Klerus gegeben. Von Anfang an stießen die Ereignisse auf reges Interesse der Zeitungen, sowohl der deutschen wie auch der polnischen. Der Ton bzw. Die Ausrichtung der Berichterstattung und die Kommentare hingen jedoch nicht unbedingt mit der Sprache bzw. der Nationalität zusammen, sondern mit der Einstellung gegenüber der katholischen Kirche. Die katholische „Ermländische Zeitung“ enthielt sich einer eindeutigen Stellungnahme, sie veröffentlichte zuerst einige Mahnungen zur Vorsicht und wies entschieden den Vorwurf eines Betrugs ab; erst ab dem 4. September – als der Bischof am Ort weilte – publizierte sie Berichte über die Ereignisse selbst.
Allen Berichten und Zeugnissen zufolge, war sowohl die Atmosphäre als auch das Verhalten der Menschen am Ort der Erscheinungen durchwegs friedlich und erbaulich. Die Pilger beichteten entweder in ihrer Heimat vor der Pilgerreise oder erst in Dittrichswalde. Die Pfarrkirche war stets überfüllt. Trotz des großen Andrangs gab es keine Zwischenfälle oder Streitigkeiten. Auffallend war vor allem die erstaunliche Stille während des Rosenkranzgebetes. An dem kleinen Ort wurden keine Vergehen, Streitigkeiten, Trinkereien oder Diebstähle bekannt. Die anwesenden Gendarmen beobachteten die Pilger und die Versammlung, ohne einen Grund zum Einschreiten zu haben. Es wurde ebenso kein Versuch einer Unruhestiftung oder einer nationalen Agitation festgestellt. Die Pilger, die nicht selten aus fernen Gegenden unter großen Opfern und Entbehrungen kamen, wurden von den Einheimischen gastfreundlich und selbstlos empfangen. So zeigte sich bei allen der „Geist der christlichen Buße und Demut“ sowohl im Gebet und im Empfang der Sakramente, als auch insbesondere im herzlichen und großzügigen Umgang der Menschen untereinander, die aus verschiedenen sozialen Schichten und Nationen stammten: „Alle fühlten sich als Mitglieder der einen gemeinsamen Familie, als Kinder derselben himmlichen Mutter“.
Die Ereignisse hatten allerdings ein vor allem für den Ortspfarrer unangenehmes Nachspiel. Nachdem die Erscheinungen vor den Mädchen beendet waren, behaupteten die zwei Frauen, weitere Visionen zu haben, in denen ihnen vor allem der hl. Joseph erschien. Über zwei Jahre nach der ersten Serie der Erscheinungen (aus dem Jahre 1877) berichtete am 8. Januar 1880 Pfr. Weichsel an Bischof Krementz von einem „offenen Geständnis“, das Wieczorek abgelegt hatte. Durch das Geständnis der jungen Frau erwies sich, dass Bilitewska sie „fast bei jeder Vision (…) genau ausgefragt hat, was sie gehört habe“; dies geschah unter dem Vorwand, dass sie „dieselbe Offenbarung gehabt habe, ohne dieselbe ihr mitzuteilen“; außerdem „hat Bilitewska oft ihre eigenen Meinungen entweder unverständlich oder wissentlich als gehabte Offenbarung ausgegeben“; „infolge der Fälle hat sie auch die Catharina durch Bereden veranlasst, mit ihr zugleich falsche Aussagen zu machen“. Der Pfarrer bemerkt: „Catharina gesteht, mit großem inneren Gewissenskampfe der Bilitewska gefolgt zu sein“. Die Einzelheiten des Betrugs habe auch Bilitewska dem Pfarrer gegenüber „obgleich nach langem Zögern, eingestanden“. Sie erscheint in dem Bericht des Pfarrers als die Anstifterin zum Betrug und die eigentliche Betrügerin: „Es ist einigen Personen aufgefallen, dass Catharina oft etwas früher die Exstase bei den Erscheinungen bekommen habe, die Bilitewska aber erst dann, wenn sie solches bemerkt habe“. Außerdem habe Bilitewska einem sie untersuchenden Arzt gegenüber falsch ausgesagt, der sie nach Vorfällen von Fallsucht in ihrer Familie gefragt hat. Auf die Frage nach Bewahrung der Jungfräulichkeit vor dem Ehestande habe sie nicht gestanden, „eine deflorata gewesen“ zu sein. Seit dem 8. September 1877, nachdem die „scharfen Beobachtungen der Geistlichen“ vorbei waren, habe Bilitewska sich „stets herangedrängt“, um über die Erscheinungen auszufragen. Im Endergebnis meint der Pfarrer, dass „seit jener Zeit (…) die Aussagen der Bilitewska ohne Bedeutung [sind]. Ihre Visionen überhaupt wären nicht zu bezweifeln, jedoch dürften die letzteren besonders dämonische gewesen sein. Ich bin hierüber im klaren. Die frühere Haltung der Bilitewska war stets ohne Tadel, so lange ich sie kannte. In der letzten Zeit jedoch stiegen mir große Bedenken auf. Zwecksmeiner ernsten Ermahnungen bleibt sie bei der Behauptung, dass sie außer einigen Worten stets die Wahrheit gesagt habe.“ Der Pfarrer hielt die Frau für krank und hatte die Absicht, sie in ein Krankenhaus „zu geben mit der Hoffnung, dass es der Oberin und dem Herrn Erzpriester Karau gelingen wird, sie zum offenen Geständnis zu vermögen“. Allerdings gestand auch Wieczorek einen Betrug: Auf Drängen von Bilitewska habe sie bei einer Vernehmung die ihr zuvor von der Witwe erzählte angebliche Erscheinung des hl. Joseph als die eigene ausgegeben. Das Verhalten der Wieczorek, die sich zur Mittäterschaft und zum Betrug hat überreden lassen, erklärt der Pfarrer damit, dass sie „früher ganz unerfahren war, mit niemandem Umgang gehabt hat und außer dem elterlichen Hause, der Schule und der Kirche fast kein anderes Haus betreten hat. Nun wurde ihr von hohen Personen, von Gräfinnen und Fürstinnen, die sie in ihrem Hause aufsuchten, gehuldigt, sogar trotz allen Strebens die Hand geküsst; kein Wunder, dass der böse Feind sie unvermerkt zu einigen Torheiten verleiten konnte“. Dennoch meint er: „Nun ist ihre Zerknirschung sehr groß, ihr ganzes Wesen ganz klar und aufrichtig, so dass ich glaube, ihre Offenbarungen dürfen nicht vom Bösen sein. Sie ergibt sich, wie auch immer über sie verfügt wird, ganz in den Willen Gottes und würde sich freuen, wenn sie, wonach sie sich von Kindheit an gesehnt hat, in ein Kloster aufgenommen würde. Vielleicht als Dienstmädchen…“.
In seiner Antwort an Pfr. Weichsel erinnerte der Bischof nochmals an seine „begründeten Mahnungen“, „vorsichtig, ja selbst misstrauisch in betreff dieser Vision zu sein und auch an und für sich denselben keinen besonderen Wert beizulegen, diesubjektivenn Seelenzustände in denselben hineinspielen, abgesehen davon, dass dämonische oder krankhafte, natürliche Einflüsse dieselben hervorrufen, und dass namentlich bei weiblichen Personen die Sucht, die Augen auf sich zu ziehen, um sich bemerklich zu machen, Unwahrheiten und Verstellung erzeugen könne“. Nicht ohne Grund sagt der Bischof dem Priester, dass diesen „der Tadel trifft, diese anempfohlene Vorsicht nicht in dem nötigen Maße angewandt zu haben“. Infolge dessen sah sich der Bischof veranlasst, dem Pfarrer „alles Befragen, Anhören, Protokollieren dieser Personen in betreff ihrer angeblichen Visionen zu verbieten und alle Veranstaltungen zu vermeiden und zu entfernen, bei denen letztere einzutreten pflegten“. Der Pfarrer soll „den Personen strenge verbieten, über dergleichen Erscheinungen zu sprechen oder irgend etwas zu tun, wodurch dieselben sich einstellen könnten“. Den Personen soll er „wegen der schweren Versündigungen in so heiligen und bedeutungsvollen Dingen (…) schwere Bußübungen auferlegen und sie von der heiligen Kommunion auschließen“ bis der Bischof die Rücknahme der Strafe gestatten werde. Dem Pfarrer selbst wird ebenfalls untersagt, sich in der Angelegenheit schriftlich oder mündlich zu äußern. Es „soll auch kein Wasser mehr oder angeblich von der Muttergottes oder dem hl. Joseph geweihte Sachen versandt oder gebraucht werden, und an den angeblichen Erscheinungstagen sollen die betreffenden beiden Personen bei den üblichen Gebeten nicht zugegen sein“. Angesichts dieser neuen Umstände zeigte sich der Bischof auch besorgt in bezug auf „frühere angebliche Visionen“ und fordert vom Pfarrer, dass dieser „sich Aufschluss“ darüber verschaffe, „ob und inwieweit wohl auch damals Unwahrheit oder Verstellung sich eingeschlichen hat“. Außerdem wünschte sich der Bischof den Bericht darüber, „wo die beiden visionären Kinder gegenwärtig sich befinden und wie dieselben sich führen“. Abschließend lädt er den Pfarrer dazu ein, „Gott inständig“ anzurufen, „dass er diese Sache zu seiner großen Ehre und zum Heile der Kirche wenden, und was bei derselben verabsäumt oder gefehlt worden ist, durch seine Gnade ersetzen, verzeihen und berichtigen wolle“. Das harte Durchgreifen des Bischofs bestätigt seine frühere Haltung: Er ließ Sorgfalt und Umsicht walten; ohne ein leichfertiges Urteil, war er bereit unverzüglich einzuschreiten und Maßnahmen zu ergreifen, sobald ein Grund dazu ihm bekannt war.
Sechs Jahre nach den ersten Erscheinungen (1883) hebt Pfr. Weichsel in seinem Nachwort zur zweiten polnischen Auflage des Buches von Regens Hipler (mit bischöflicher Erlaubnis) hervor, dass es die Aufgabe dieses auf amtlichen Akten beruhenden Berichtes war, falsche Gerüchte und Angaben zu den Ereignissen zu widerlegen; zudem hatten sich grobe, seitens der antikatholischen Presse verbreitete Angriffe und Unterstellungen eines vermeintlichen Betrugs eingestellt. Da er bis zu seinem Tod (im Jahre 1909) als Pfarrer in Dittrichswalde blieb, ist anzunehmen, dass er nach wie vor trotz des bedenklichen Epilogs das Vertrauen des Ortsbischof genoss und seine Aufgabe unbescholten erfüllte.
Zusammenfassend ist folgendes hervorzuheben:
1° Die erste Vision (am 27. Juni) scheint sich deutlich von allen weiteren in der Hinsicht zu unterscheiden, dass sie nicht in einer Ekstase geschah, weil das Mädchen das Erlebte bzw. Gesehene simultan erzählen konnte.
2° Weitere Visionen, mindestens die als solche geltenden, haben Kennzeichen einer Ekstase, und zwar einer echten, die sich deutlich von den als satanisch identifizierten abhebt.
3° Neben den als echt geltenden Erscheinungen traten auch solche auf, die mindestens im Nachhinein als satanische Phänomene erkannt wurden; das wohl wichtigste Kennzeichen der echten Erscheinungen war es, dass sie an dem ursprünglichen Ort und während des Rosenkranzgebetes stattfanden.
4° Alle als echt identifizierten Visionen geschahen während eines Gebets, d. h. die erste beim Angelus-Gebet, alle anderen im Laufe des Rosenkranzes – ziemlich genau in dessen Mitte – bis auf diejenige bei der Quelle, wo die Lauretanische Litanei gebetet wurde.
5° Sehr ungewöhnlich ist die große, sonst bei den für echt befundenen Privatoffenbarungen nicht einmal annähernd bekannte Anzahl und fast ununterbrochene Dauer der Erscheinungen (selbst wenn man die als unecht identifizierten ausklammert).
6° Das Verhalten und Vorgehen des zuständigen Pfarrers ist zwar nicht in jeder Hinsicht einwandfrei, grobe Versäumnisse oder Fehlentscheidungen sind aber nicht gegeben, da man ihm das allernotwendigste Ausmaß an Vorsicht bzw. Skepsis nicht absprechen kann; wohlwollende und zurückhaltende Unterstützung für die Seherinnen bzw. die Ereignisse lässt sich allerdings nicht leugnen.
7° Auffallend und unbestritten überaus positiv und vorteilhaft sind die Begleitumstände bzw. Wirkungen der Ereignisse auf das gläubige Volk; es sind ausnahmslos keine Hinweise für eine außerreligiöse Motivation oder Beeinflussung bei irgendeiner der an den Ereignissen aktiv beteiligten Personen gegeben.
1.1.2. Visuelle Dimension
Zwar lassen sich die einzelnen Aspekte des Phänomens voneinander nicht trennen, jedoch scheint es zielführend, sie im Hinblick auf eine möglichst präzise Erfassung analytisch zu unterscheiden.
In der ersten Erscheinung erblickte Szafryńska „etwas Weißes“, „etwas Großes, was wie ein Mensch“ bzw. wie eine „große Helligkeit und eine weiße Gestalt“ aussah. Der Ahornbaum – der Ort der Erscheinung – war „ganz hell“ und erschien, als ob er „brannte“. Zwischen zwei verdorrten Zweigen des Ahornbaumes waren ein mit Perlen geschmückter Sessel und „eine schöne Jungfrau“ in Weiß mit langem, hellem, auf die Schulter fallendem Haar zu sehen; die Gestalt, „sehr schön und lebendig“, schaute auf das Mädchen und den Pfarrer; über ihr war eine „große Helligkeit“ und „kaum erträgliche Strahlen“, so dass das Mädchen kaum mehr sehen konnte. Die Vision wurde intensiver, als „alles noch heller“ wurde und „ein Kindlein vom Himmel“ (wohl ein Engel) herabstieg, das weiß-gold gekleidet war, mit goldenen Flügeln und einem weißen Kranz auf dem Haupt. Es folgte eine Verneigung des Kindleins vor der Jungfrau in Weiß und der gemeinsame Aufstieg – das Kindlein an der Linken – in den Himmel, der „oben war, ohne Wolken“. Die Szene verschwand stufenweise: zuerst blieb noch die Helligkeit bestehen, und erst dann verschwand die Vision vollständig.
In der zweiten Vision „umfing den Baum eine seltsame Helligkeit wie von einem Blitz“; an der Stelle, wo am Vortag die Gestalt zu sehen war, erschien „ein länglicher glänzender Ring“. Anschließend erblickte Szafryńska den bereits bekannten „herrlichen Thron in Gold und mit Perlen“; die „schöne Frau“ stieg in Begleitung und gestützt von zwei Engeln herunter und ließ sich auf den Thron nieder; die Engel verneigten sich tief und blieben an beiden Seiten stehen. Die Thronende hatte die Gestalt einer „unvergleichlich schönen Jungfrau“ im Alter zwischen 16 und 18 Jahren; sie war von „ungewöhnlicher Helligkeit“ und mit einer „blauen Wolke“ umgeben; vom unbedeckten Haupt ging „üppiges, langes, helles Haar“; „blaue Augen“ der Gestalt, der Hals, Details des Kleides, die Hände, unbeschuhte Füße waren ebenfalls sichtbar. Von den sichtbaren Körperteilen – den Händen, dem Hals und den Füßen – „gingen Strahlen aus“. Die Gestalt war lebendig, d. h. deutlich von einer bildhaften Darstellung unterscheidbar; von einer gewöhnlichen weiblichen Gestalt unterschied sie sich lediglich durch „Glanz und Schönheit“. Nach einer Weile brachten zwei Engel vom Himmel „ein leuchtendes Kind“, weiß-gold gekleidet; es hielt in der linken Hand eine „glänzende Kugel“ mit einem kleinen Kreuz darauf, seine Rechte ruhte auf dem Knie. Die Engeln legten es auf den Schoß der Jungfrau und verschwanden. Zwei andere Engel brachten eine glänzende Krone, die sie über dem Haupt der Jungfrau hielten. Es kam ein dritter Engel, der eine Art Zepter in Form einer goldenen Blume brachte und es über der Krone hielt. Zuletzt ließ sich über den drei Engeln ein „glänzendes Kreuz“ nieder – es war von der Größe des Kreuzes in der Pfarrkirche, nur ohne den Kruzifix – und blieb „horizontal in hellen Wolken hängen“. Schließlich erhob sich die ganze Szene langsam nach oben und verschwand.
Pfr. Weichsel berichtet: „Auf meinen Wunsch kam das Kind den folgenden Tag abends wieder her und betete mit einigen Mitschülerinnen, denen sie hiervon erzählt hatte, an besagter Stelle den Rosenkranz. Beim Läuten zum Engel des Herrn war der ganze Baum von einem gelben Glanze erleuchtet, dann bildete sich ein gelber Kreis an der Stelle, an welcher am vorigen Tage die Erscheinung war und in dem Kreise ein Thron von Gold mit Perlen besetzt: zwei Engel mit hellem Glanze führten, den Ellenbogen berührend, die Heilige Jungfrau, die sich auf dem Thron niederließ, währenddes die beiden Engel zu beiden Seiten stehenblieben. Zwei Engel brachten dann in himmlischem Glanze das Kindlein Jesu, die Weltkugel in der linken Hand haltend, fast gekleidet wie die Heilige Jungfrau in einem weißen mit Gold durchwebten Kleide und setzten es auf das linke Knie der Heiligen Jungfrau, worauf die Engel zum Himmel fuhren. Zwei andere Engel erschienen dann mit einer am hellsten glänzenden Krone und hielten sie zu beiden Seiten schwebend über dem Haupte der Heiligen Jundfrau: ein anderer Engel brachte die genannte Krone (über dem Haupte der Heiligen Jungfrau) in seiner rechten Hand. Über diesem Engel erschien ein großes Kreuz (––––+–––– in dieser Gestalt) in der Größe wie das an der Decke der Kirche, aber ohne Figur. Diese Erscheinung dauerte etwa eine halbe Stunde und schwebte ziemlich in derselben Stellung in den Himmel.“
Es war die letzte dermaßen reichhaltige Vision, obwohl die „leuchtende Jungfrau“ weiterhin erschien, d. h. ohne die Engel und das Kind. Die Erscheinung zeigte sich an den ersten drei Tagen (27-29. Juni) in einer fast theatralischen Inszenierung, wie eine Inthronisation. Danach erschien die Gestalt den zwei Mädchen alleine auf dem Thron „gleich von Anfang sitzend“. Nur noch am 15. August, dem Fest der Assumptio, sowie an zwei Tagen während der Oktav erschien die Gestalt von „sehr vielen umgeben“ bzw. in Begleitung von „zwei knieenden Engeln“.
Am 1. Juli sah Samulowska lediglich eine Helligkeit um den Baum. Am nächsten Tag hatte sie nachts zu Hause die gleiche Vision wie erstmals am Baum, wobei die Erscheinung auf dem gleichen Thron saß, der diesmal neben dem Bett stand.
Deutlich verschieden war die Vision, von der Bilitewska berichtete. Am 12. Juli sah sie „plötzlich den oberen Teil“ der Gestalt „mit leuchtender Krone“, am 14. Juli dagegen eine ganze Gestalt, mal stehend, mal über dem Thron schwebend, das Gesicht und die sichtbaren Zähen der Füße waren „weiß leuchtend“, die rechte Hand erhoben „wie zum Segen“, am linken Arm das weiß gekleidete Jesuskind, dessen Haar „gold-lockig“ war und das eine „gold glänzende Kugel mit einem Kreuz darauf“ hielt.
Am gleichen 12. Juli sah Wieczorek zuerst den Ahornbaum in einem „ungewöhnlichen Glanz“, später dann während des Rosenkranzes eine Gestalt der „Jungfrau im weißen, strahlenden Kleid“, die auf den Baum herabstieg, gleich aber verschwand. Ein weiteres Mal erschien die Gestalt auf einer „leichten Wolke“ über dem Ahornbaum, diesmal in einem grauen, leuchtenden Gewand; auf dem Haupt hatte sie eine bunt glänzende Krone; ihr Gesicht war weiß und strahlend, aus den nach unten gerichteten Händen gingen Strahlen aus; die Füße waren nicht sichtbar. Die Vision verschwand plötzlich nach einigen Minuten, viel früher als die Schauung bei den zwei Mädchen. Nach einer Unterbrechung während der Abwesenheit am gemeinsamen Gebet sah das Fräulein wieder stets die gleiche Gestalt mit unbedecktem Haupt und weiß gekleidet.
In der Woche zwischen dem 15. und dem 22. Juli zeigte sich die Erscheinung jeweils mit einem traurigen Gesicht und mit Tränen in den Augen. Am 24. Juli – bei der ersten Erscheinung nach der hl. Messe, d. h. in den Morgenstunden, dagegen war sie fröhlich. Beim zweiten, dem schmerzhaften Teil des Rosenkranzes, der zu Mittag gebetet wurde, erschien die Gestalt nicht, sondern lediglich ein helles Licht, das sich über die Anwesenden verteilte und dann langsam verschwand. Am Abend desselben Tages war die Erscheinung die gleiche, mit dem Unterschied, dass nach dem Rosenkranz zwischen den Ästen des Ahornbaumes zwei Sterne von der Größe des Mondes erschienen.
Wie oben (1.1.1.) ausgeführt, trat zu Mittag des 25. Juli ein Unterschied auf: Während Szafryńska von der Forderung berichtete, Kreuz und Banner aufzustellen, behauptete Samulowska, diese als neben der Muttergottes aufgestellt gesehen zu haben.
Am Abend zeigte die Erscheinung vor Szafryńska ein trauriges Gesicht; ab dem 28. Juli war es dann schon immer fröhlich. Die Erscheinung am Abend des 25. Juli vor zwei weiteren Personen sah aus wie eine „Jungfrau mit leuchtender Krone auf dem Haupt“, von Blumen umgeben und mit einem Kind auf dem linken Arm; weitere vier Male soll sich diese Vision abgeschwächt gezeigt haben. Am 2. August erschien die Gestalt in außergewöhnlicher Helligkeit; die zwei älteren Seherinnen (Wieczorek und Bilitewska) sahen sie außerdem von den Engeln umgeben.
In den falschen – wie sich im Nachhinein herausstellte – Visionen am 10. und am 11. August war die gleiche Gestalt der „Allerseligsten Jungfrau“ erschienen, sowie an dem letzteren Tag die Gestalt eines Engels mit einem Band samt einer Inschrift auf Polnisch.
Bilitewska sah Ende Juli die bekannte Gestalt während einer Andacht in einer Nachbarpfarrei. Auch Wieczorek hatte viele bedenkliche Visionen, während derer die Gestalt sich immer wieder veränderte; am häufigsten war sie in einem weißen Gewand mit einem blauen Mantel; daneben stand das Kind. Einmal erschien die Gestalt in der Kirche, indem sie kleiner war als sonst; mit einem weißen Gewand und Mantel stand sie so vor dem Allerheiligsten, dass sie es samt den brennenden Kerzen verdeckte. Zwischen dem 13. und dem 17. August sah Bilitewska die Gestalt in einem gold leuchtenden Mantel. Bei den Erscheinungen außerhalb des gemeinsamen Rosenkranzgebetes war der Mantel nie gold-gelb, sondern blau ober weiß. Daneben oder unten sah sie den Papst, das Grab Christi, einen Trauerzug und Särge.
Als die Frauen am 17. August den Auftrag, die Gestalt mit Weihwasser zu besprengen, ausführen wollten, lächelte diese, sprach sie an und wurde heller und schöner.
Am Vorabend vom 8. September sahen die zwei Frauen die Gestalt umgeben von einem unzähligen Heer von Engeln. Am Fest der Geburt selbst war sie – auch nach dem Bericht der zwei Mädchen – besonders fröhlich und strahlend wie nie zuvor. Sie stieg in Begleitung von singenden Engeln vom Himmel herab; zwei Engel führten sie an den Händen zum Thron, der Rest umgab sie knieend und mit gefalteten Händen.
Zusammenfassend lässt sich sagen:
1° Die Erscheinung, mindestens die als echt identifizierte, erscheint in einem hellen Glanze; einige Male leuchtet der sichtbare Körper (Gesicht, Hals, Hände, Füße), was dem üblichen, auch intuitiv erkennbaren Sinnbild für das Göttliche, das Heilige entspricht. Somit ist sie durch eine Anziehungskraft gekennzeichnet, die zu Ehrfurcht anregt; der gleiche Eindruck ist allerdings in der falschen, dämonischen Erscheinung gegeben (wie im Haus der Frau Hennig), die erst durch Nachfragen bei der echten Erscheinung (während des Rosenkranzes) als solche entlarvt wird. Diejenige, die sich dann als falsch herausgestellt hat, muss äußerlich (visuell) gleich bzw. ohne auffallende Unterschiede ausgesehen haben.
2° Die Visionen geschehen sowohl szenisch (als eine theatralische Handlung) wie auch statisch im Sinne eines stabilen Bildes (eventuell mit Betreten des Platzes und dessen Verlassen nach der Art von Betreten der Bühne und Verlassen der Bühne), wobei Elemente aus der sakralen Kunst bzw. der Ikonographie erkennbar sind. Meistens setzte sich die weibliche Gestalt auf einen Thron, einer königlichen Inthronisierung ähnlich, einige Male von Engeln begleitet; diese hielten die Krone, brachten ein Kind und legten es auf den Arm.
3° Die Gestalt wird in den echten Visionen eindeutig als lebendig, d. h. nicht als eine Darstellung, sondern mit den Zügen einer lebenden Person identifiziert.
4° Dass die Frau mit unbedecktem blonden Haar erscheint, ist ungewöhnlich (gegenüber den Erscheinungen in Lourdes und Fatima); unbeschuhte Füße sind dagegen typisch. Somit lässt sich die Gestalt dem üblichen Typus einer Unbefleckten Empfängnis nicht vollständig zuordnen.
1.1.3. Verbale Dimension
Die ersten drei Erscheinungen geschahen ohne Worte: Die erschienene Gestalt sagte nichts. Erst am 30. Juni wurde sie im Auftrag des Pfarrers von der Seherin gefragt und gab zur Antwort: „Ich verlange, dass ihr täglich den Rosenkranz betet“. Dem Mädchen schienen die Worte so laut gesprochen zu sein, dass – wie es meinte – alle Versammelten sie vernehmen konnten. Am 1. Juli fragte Szafryńska die Erscheinung, wer sie sei, und erhielt die Antwort: „Ich bin die Allerseligste Jungfrau Maria, die unbefleckt Empfangene“. Bei der Erscheinung nachts am 2. Juli vor Samulowska zu Hause beantwortete die Erscheinung die gleiche Frage: „Ich bin die unbefleckt Empfangene“. Diese Worte meinte auch die Mutter des Mädchens gehört zu haben.
Die Frage, ob Kranke geheilt werden, beantwortete die Erscheinung: „Später“. Am 3. Juli fragten die Kinder, wie lange die Erscheinungen noch dauern würden, und erhielten die Antwort: „Ich werde hier noch zwei Monate sein“. Auf die am nächsten Tag gestellte Frage, was die Kranken tun sollten, um geheilt zu werden, kam die Antwort: „Sie sollen den Rosenkranz beten“. Das am 5. Juli auf die Äste des Ahornbaumes gelegte Leinentuch verwies die Erscheinung auf den Boden. Am 6. Juli wurde gefragt, ob die Erscheinung sonst etwas – außer dem Rosenkranzgebet – fordere, worauf diese antwortete: „Es soll hier ein gemauertes Kreuz mit einer Statue der Unbefleckten Jungfrau aufgestellt werden, und zu ihren Füßen soll ein Leinentuch gelegt werden zur Heilung für Kranke“. Auf Nachfragen präzisierte sie, dass „ein Kreuz genügt“, d. h. es keine Kapelle im Sinne eines überdachten Gebäudes sein muss, und dass die Statue „stehend sein soll“ und somit dem Typus der Erscheinung von Lourdes entsprechend.
Als sich die Erscheinung mit einem traurigen Gesicht und mit Tränen in den Augen zeigte, fragten die sehenden Mädchen, ob sie etwa nicht gut genug gebetet hätten, was jedoch von ihr verneint wurde: „Sehr gut“. Auf wiederholtes Nachfragen nach dem Grund der Traurigkeit kam die Antwort, dass bei den anderen Menschen nicht genug Andacht und Ehrfurcht gegeben sei, dass viele nicht niederknieten, und dass die Erscheinung nicht mehr stattfinden würde, wenn sie sich nicht besserten. Am 24. Juli äußerte sie den Wunsch, dass die Kinder jeden Tag nach der hl. Messe – also bereits morgens und nicht wie bisher erst abends – zum Ort der Erscheinung kommen sollten, um den Rosenkranz zu beten.
Am 25. Juli zu Mittag vernahm Szafryńska die Forderung der Erscheinung, dass während des Rosenkranzgebetes Banner und Kreuz aufgestellt werden sollten, während Samulowska behauptete, Kreuz und Banner in der Vision gesehen zu haben; somit stimmter die Aussagen nicht überein. Am Abend hörte die erstere die Erscheinung sagen: „Menschen werden noch weniger glauben, größere Verfolgungen werden über euch kommen, aber das zu eurem Wohl“ sowie „Samulowska soll sagen, was sie gesehen hatte“. Somit handelte es sich sowohl um ein Ineinandergreifen von Vision und Audition als auch um eine gezielte Differenzierung der Erscheinung (die bei den beiden Mädchen vollständig gleich war) mit dem Zweck, den Glauben der Menschen und die Standhaftigkeit der Seherinnen zu prüfen.
Die unechte Erscheinung am 10. August sagte zu Szafryńska im Haus der Schneiderin: „Komm immer hierher“, und ähnlich am nächsten Tag zu den beiden Mädchen: „Ich werde mich euch nun immer hier zeigen. Kommt jeden Tag hierher, auch wenn andere es euch verbieten würden“. Die in der Hand einer Engelsgestalt gehaltene Inschrift lautete: „Erleuchtung über die eigenen Sünden, sie gut erkennen zu wollen“. Beim abendlichen Rosenkranzgebet am gewöhnlichen Ort beantwortete die Erscheinung die Frage der Mädchen bezüglich der fraglichen Vision und des eigenen Verhaltens mit den Worten: „Ihr sollt auf den Priester hören“. Am 16. August sagte sie auf erneutes Nachfragen bezüglich der Erlebnisse bei der Schneiderin: „Das war vom bösen Geist“.
Die Erscheinung vor Bilitewska Ende Juli in der Kirche der Nachbarpfarrei sprach: „Ich bin auch hier“. Bei den Visionen zwischen dem 13. und dem 17. August hörte sie die Worte: „Dieser Sarg ist für euch alle, denn es wird eine ansteckende Krankheit kommen und viele werden sterben“. Als am 17. August die zwei Mädchen beim gewöhnlichen Rosenkranzgebet die Erscheinung fragten, ob sie von den anderen Personen an anderen Orten und außerhalb des Gebetes geschilderten Visionen echt seien, bekamen sie die Antwort: „Das war vom Teufel“. Während die Frauen am gleichen Tag die Gestalt mit Weihwasser besprengen wollten, sagte diese: „Was wollt ihr nun?“. Am nächsten Tag fragte Bilitewska die Erscheinung, warum sie falsche Visionen gehabt hatte, vernahm sie die Antwort: „Um des Hochmuts willen“. Die gleiche Frage der Wieczorek wurde beantwortet: „Du hast dir zu viel in den Kopf geschlagen bezüglich der Verfolgung“. Szafryńska hörte am 17. August auf die gleiche Frage die Antwort: „Ihr sollt auf den Priester hören“.
Außer Fragen bezüglich der Identität der Erscheinung und ihrer Wünsche, die auf Veranlassung von Pfr. Weichsel an die Erscheinung gestellt wurden, brachten die Seherinnen Fragen und Anliegen der Gläubigen vor: Wie lange werden die Erscheinungen noch dauern, was sollen Kranke tun, um geheilt zu werden, ob der Hl. Vater noch den Triumph der Kirche erleben wird, warum so viele Menschen falsch schwören, ob auch fremde Geistliche kommen können, ob ein Kloster wieder geöffnet wird, ob eine alte Statue ausgebessert oder ob eine neue beschafft werden soll, ob jemand ins Kloster gehen soll, ob ein Vermisster noch am Leben ist, ob bestimmte Verstorbene bereits im Himmel sind. Manchmal wurden Fragen nicht beantwortet. Sowohl schweigende Zurückhaltung als auch erteilte Antworten überstiegen durch ihren ausgewogenen Inhalt die geistige Kapazität der Kinder. Manchmal wiesen Antworten an verschiedene Personen Differenzen auf, die von Pfr. Weichsel und der bischöflichen Kommission festgehalten wurden. Meistens folgte als Antwort die Aufforderung zum Gebet; mit dem Gebet, vor allem mit dem Rosenkranz, verband die Erscheinung das Wohlergehen und die Erfüllung der Bitten, obwohl nicht im Sinne eines Automatismus (so z. B. die Ankündigung der Wiedereröffnung des Klosters Lonk, „wenn fleißig gebetet werden wird“).
Im Allgemeinen enthalten die von der Erscheinung gehörten Worte hauptsächlich Ermutigung zu geistlichen Übungen, Besserung der Lebensführung und Gottesfurcht. Außer der Aufforderung zum Rosenkranzgebet, wurden Kranke angewiesen, das gesegnete Wasser und die gesegneten Leinentücher zu benützen und sich des Alkohols zu enthalten. Verwaiste Pfarreigemeinden wurden ermutigt, eifrig zu beten, und es wurde ihnen versprochen, dass sie Seelenhirten und Kirchengebäude zurück bekommen würden. Beharrliches Gebet sollte den Sieg der Wahrheit beschleunigen, vor weiteren Leiden bewahren, das Volk vom Bösen abschrecken. Man sollte für Vestorbene beten und hl. Messen aufopfern; die Sonntagsmesse darf man nicht vernachlässigen. Meineidigen, Trinkern und Unzüchtigen wurden Strafen angedroht; der Ordensstand wurde als gut und nützlich bezeichnet. Die Antworten auf die an die Erscheinung gerichteten Fragen waren sowohl tiefsinnig wie auch schlicht und der Fassungskraft der einfachen Menschen angepasst, wobei der Inhalt die Intelligenz der Seherinnen, vor allem der Mädchen, deutlich übertraf. Auf die Frage am 28. Juli: „Warum begehen so viele Menschen Meineid?“ hieß es: „Der Satan geht jetzt vor dem Ende der Welt wie ein hungriger Hund umher, um Seelen zu fressen“. Am 8. August wurde gefragt: „Welches Gebet wird eher erhört, ein an Gott oder an die Allerseligste Jungfrau Maria gerichtetes?“, worauf die Antwort lautete: „So soll man nicht fragen, sondern beten“. Am 11. August wurde gefragt, welche Buße eine bestimmte skrupulante Person tun soll, was beantwortet wurde: „Sie soll den Beichtvater fragen“. Am 17. August kam auf die Frage: „Womit kann man das Volk von dem Bösen abwenden?“ die Antwort: „Durch Gebet“.
Das Gespräch der Seherinnen mit der Erscheinung betraf auch konkrete Dinge. Am 5. Juli wurde z. B. – unter Einfluss eines Brauches aus einem anderen Ort – eine Leinwand auf den Baum gelegt, und „die Kinder baten um den Segen auf dieselbe; erhielten aber als Antwort auf diese Bitte: Die Leinwand soll auf der Erde liegen“. Am 6. Juli fragten die Kinder die Erscheinung, was sie verlange, und „bekamen zur Antwort: Es soll ein gemauertes Kreuz gebaut werden mit der Figur der unbefleckten Empfängnis, und Leinwand soll unter die Füsse gelegt werden zur Heilung der Kranken“. Da die Aussage nicht klar erschien, wurde am 9. Juli „die Frage gestellt, ob die Kapelle oder ein Kreuz gebaut werden soll, und die Antwort lautete darauf: Es ist gleich, ob Kapelle oder Kreuz.“ Die Erscheinung soll nach den Worten der Kinder ein Wunder sowie Heilung der Kranken versprochen haben.
Auf Bitten der Kinder gab die Erscheinung am 30. Juli den Segen, und zwar „sitzend, indem sie mit der rechten Hand das heilige Kreuzzeichen macht, während die linke auf dem linken Knie ruhen bleibt“. Die am Abend des 2. August wiederholte Bitte um den Segen wurde beantwortet: „Ich segne jetzt immer“.
Die Erscheinung – sowohl in echten als auch unechten Visionen – sprach immer auf Polnisch, nachdem sie in dieser Sprache erst von dem Mädchen Szafryńska angefragt worden war. Zudem wurde den Kindern einmal eine Inschrift ebenfalls auf Polnisch gezeigt, die jedoch bald verschwand, ohne dass sie dies lesen konnten; als sie am 15. August nachfragten, kam die Antwort, dass sich das „später erklären wird“. Somit macht die Erscheinung nochmals ihre Souveränität deutlich, die einerseits auf Bitten und Anliegen eingeht, andererseits aber ihre uneingeschränkte Führungsrolle in der Kette der Ereignisse bewahrt und hervorhebt.
Die verbalen Aussagen ergeben folgende zu markierende Schwerpunkte:
1° Wie eine der Seherinnen berichtet, bewegte die Erscheinung die Lippen, „ähnlich“ wie ein Mensch spricht. Dies deutet darauf hin, dass es kein physisches Sprechen war. Die Worte der Erscheinung konnten nur der Seherinnen hören.
2° Die Äußerungen der Erscheinung sind immer knapp gehalten und konkret, ohne Ausschmückungen, Wiederholungen, überflüssige oder unbestimmte Worte bzw. Ausdrücke. Sie haben den Charakter einer normalen Aussage einer realen Person, die sich auf das Tägliche, Einfache bezieht.
3° Es findet gleichsam ein Dialog der Erscheinung mit den Seherinen statt (bzw. den anderen Personen, in deren Namen die Seherinnen zu der Erscheinung sprechen), wobei die Initiative bei den letzteren liegt. Die Erscheinung fängt erst an zu sprechen, nachdem sie angesprochen, genauer von der Seherin im Auftrag des Pfarrers nach ihrer Identität gefragt worden ist. Die Auskunft ist länger als dies etwa in Lourdes der Fall war. Die Frage nach den Wünschen bzw. Forderungen wird knapp beantwortet, nämlich als Forderung nach dem täglichen Rosenkranzgebet. Eine weitere Forderung bezieht sich auf Errichtung eines Denkmals mit Kreuz und einer Darstellung der Unbefleckten Empfängnis. Auf Nachfragen bezüglich der Beschaffenheit wird ebenfalls einfach geantwortet. Weitere konkrete Fragen werden ebenfalls konkret beantwortet, einige Male erfolgt jedoch keine Antwort. Sowohl Aussagen als auch Schweigen bzw. Verweigerung der Antwort erscheinen bedeutungsvoll, nicht zufällig oder willkürlich. Manchmal fallen Antworten, die von verschiedenen Seherinnen berichtet werden, unterschiedlich aus. Differenzen lassen sich in der Regel durch Missverständnisse seitens der Seherinnen erklären.
4° Indikative Aussagen lassen sich meistens als wahr qualifizieren, bis auf solche, deren Inhalt nicht eindeutig ist (wie z.B. dass der Hl. Vater den Triumph der Kirche erleben werde) oder von den Seherinnen nicht genau bzw. irrtümlich wiedergegeben wurde (wie die Vorhersage des letzten Tages der Erscheinung).
5° Die performative Botschaft lässt sich als Aufforderung zum eifrigen, guten Gebet sowie zu Umkehr und sittlicher Besserung zusammenfassen.
1.2. Theologischer Gehalt
In den sinnenhaft wahrgenommenen Fakten – samt ihren visuellen und verbalen Komponenten – scheinen Inhalte durch, die naturgemäß (wegen der Situation des Gebetes und zwar in unmittelbarer Nähe des Gotteshauses) theologisch zu lesen und zu fassen sind.
1° Das Leuchten und die hellen – von weiß über gold bis hellblau – Farben der erschienenen Gestalt bzw. der Erscheinung insgesamt deuten mehr auf die Natur des Phänomens als auf ihren göttlichen Ursprung hin (denn Helligkeit ist auch in den unechten, d. h. als satanisch identifizierten Erscheinungen gegeben), nämlich Vermittlung einer Erkenntnis bzw. Erleuchtung.
2° Die Eigenangabe der erschienenen Gestalt bezüglich ihrer Identität – eine Formel, die im kirchlichen Alltag häufig vorkommt – weist eindeutig auf Maria hin, genauer auf die mariologischen Dogmen der Jungfräulichkeit und der Unbefleckten Empfängnis. Die visuelle Komponente fügt dem die Mutterschaft hinzu, sowie die gleichsam königliche Würde, indem die Gestalt in Begleitung von Engeln auftrittt, die ihr dienen und sie verehren; somit kann man von einer „Königin der Engel“ sprechen.
Von den ersten Berichten an war klar, dass die zwei Mädchen die Erscheinung anders sahen im Vergleich zu der Witwe und der jungen Frau. Unterschiede betrafen sowohl das Gesehene als auch das Gehörte, die meisten von ihnen betreffen lediglich Details, wie das Aussehen des Gewandes. Im Laufe der Untersuchung durch die bischöfliche Kommission stellte sich darüber hinaus, dass auch die beiden Frauen Unterschiedliches sahen: Es ging um einige Details in der Kleidung sowie die von den sichtbaren Körperteilen ausgehenden Strahlen (laut Szafryńska gingen Strahlen von den Händen, dem Hals und den Füßen aus, laut Samulowska von den Händen und Füßen). Die Vielfalt der Erscheinungsformen ist sehr ungewöhnlich. Dabei scheint es fraglich, ob sich die Unterschiede in den Visionen der vier Seherinnen durch „Alter, Lebensstand, Äußerlichkeit und geistigen Fähigkeiten“ erklären lassen (thronend als Mutter, Lehrmeisterin und der Sitz der Weisheit an die Mädchen, als Muttergottes an die Witwe und als unbefleckte Jungfrau an das Fräulein). Regens Hipler weist auf eine theologische Erklärung aus der Natur der göttlichen Offenbarungen hin, wie sie seit Jahrhunderten bei den Theologen zu finden ist, dass nämlich selbst bei den biblisch bezeugten Erscheinungen und Offenbarungen stets die Möglichkeit besteht, dass diese beim Durchgehen durch den menschlichen Geist und bei der Wiedergabe durch denselben selbst getrübt werden und somit zum Teil irrtümlich wiedergegeben werden. In diesen Fällen handelt es sich nicht um die Gabe der Irrtumslosigkeit im Verstehen, Behalten und Wiedergeben, die den Verfassern der Hl. Schrift verliehen war; es sind also keine direkt geoffenbarten Wahrheiten, sondern sie müssen erst zuweilen mühsam gleichsam herausgeschält bzw. ausgehoben werden.
3° Das in einigen – den „theatralischen“ – Visionen auftretende Kind mit einer Kugel samt einem kleinen Kreuz darauf in der Hand spielt lediglich eine Nebenrolle, gleichsam nur zur Andeutung der Mutterschaft der weiblichen Gestalt; es sind keine Anzeichen einer Verehrung für dieses Kind gegeben, weder seitens der Frau noch seitens der Engel. Die gleiche weibliche Gestalt verdeckte in einer nachträglich als unecht identifizierten Vision (an Bilitewska) den Blick auf das Allerheiligste Sakrament in der Kirche.
4° Der Gestus des Segens, der mehrfach als derjenige in der Art einer priesterlich am Altar vollzogenen Handlung erkannt wird, wirft die Frage auf, wie sich das mit der Demut der Mutter Jesu vereinbaren lässt, die kein Priester war und ist. Mit anderen Worten: Kann bzw. darf sich die „Magd des Herrn“ eines Gestus bedienen, der in der kirchlich festgelegten Form einem Priester vorbehalten ist? Lässt sich diese Schwierigkeit damit lösen, dass der Gestus an sich keine priesterliche Handlung im eigentlichen Sinne und somit nicht für eine priesterlich-liturgische Aktion reserviert ist? Selbst wenn es so wäre, bleibt zu fragen, was die Mutter Jesu damit zum Ausdruck bringen wollte. Jedenfalls ist davon auszugehen, dass die Art des Segens nicht zufällig und nicht ohne Bedeutung sein kann.
Einen Hinweis könnte die Aussage von jemandem darstellen, der die Menge von Gläubigen sah, die nach Dittrichswalde pilgerte und dann geistig erbaut und gestärkt zurückkam: „Als die Jesuiten aus dem Land ausgewiesen wurden, hält die Muttergottes selbst die Volksmission“.
5° Die eindeutige und betonte Affirmation sowohl der marianischen Gebete (Angelus, Rosenkranz, Lauretanische Litanei), der hl. Messe, des Betens überhaupt, der Autorität eines Priesters (Pfr. Weichsel, Beichtväter allgemein), des Ordensstandes als auch der den Geboten Gottes entsprechenden Haltung zielt unmissverständlich und zweifellos auf Anregung, Stärkung und Festigung der christlichen Lebensführung hin; alles ist letztlich auf Trost und Besserung der Menschen ausgerichtet, vor allem mittels des Rosenkranzgebets. Als ein sicheres Anzeichen des bösen Geistes müsste gelten, wenn die Erscheinung das Zeichen des Kreuzes, Sakramentalien (z. B. das Weihwasser), die Namen Jesus und Maria meiden würde.
6° Ein Teil der Dialoge – d. h. Fragen der Seherinnen meistens im Auftrag anderer und Antworten der erschienenen Gestalt – haben den Anschein, bloß der menschlichen Neugierde zu dienen (wie bezüglich der Zukunft der Pfarreien, Klöster, oder des Zustandes bestimmter Verstorbenen, d. h. ob sie noch des Gebets bedürfen). Dies lässt sich durchaus mit der einfachen Direktheit der Menschen sowie der Güte erklären, mit der die Erscheinung auf deren Sorgen und Nöte eingeht, um sie zum Gebetseifer zu motivieren.
Dies entkräftet den Einwand, dass zwar dem Inhalt nach nichts festzustellen ist, was dem Glauben und den guten Sitten entgegensetzt wäre, aber auch nichts gesagt wird, was besondere Beachtung verdienen würde.
Eine weitere Schwierigkeit stellt der Wunsch der Erscheinung dar, ein Marterl mit einer Statue der Unbefleckten Empfängnis aufzustellen, denn ein solches befand sich – laut einer zeitgenössischen Auskunft – bereits in der Nähe am Weg zur Kirche. Nun ist wohl zwischen der Botschaft der Erscheinungen selbst und ihrem Denkmal (in der Gestalt des „Marterls“) zu unterscheiden sowie ihr Zusammenhang zu sehen: Die Botschaft selbst, obwohl sie theologisch bzw. doktrinal nichts Neues enthält, stellt nichts Besonderes dar, kann nicht häufig und eindringlich genug immer wieder artikuliert und eingeschärft werden; Gegenstände, die dieser Einschärfung dienen, können kaum häufig genug verwendet werden.
Wozu aber so häufige Mahnungen zum Rosenkranzgebet? Sind nicht Priester dazu da, die Gläubigen zu Frömmigkeit und Tugenden anzuregen? Diesen Einwand könnte man eigentlich jeder Privatoffenbarung entgegenhalten.
7° Ähnlich lässt sich die enorme Häufigkeit und Anzahl der Erscheinungen mindestens zum Teil rechtfertigen. Allerdings ist das der auffallendste Unterschied zu anderen kirchlich anerkannten Privatoffenbarungen.
Obłąk bemerkt sowohl zahlreiche Ähnlichkeiten als auch Unterschiede gegenüber den Erscheinungen von Lourdes und Fatima:
1° Die Seher waren einfache Bauernkinder, die aus armen aber frommen Familien stammten. Die zwei Seherinnen waren keine außergewöhnlichen, sondern ganz normale Kinder, die normalen Umgang mit ihren Gleichaltrigen hatten.
2° Am Anfang und am Ende der Erscheinungen machten die Seherinnen tiefe Verneigungen bis zum Boden.
3° Die Erscheinungen fanden im Freien statt, nicht in geschlossenen Räumen.
4° Die Muttergottes erschien als Unbefleckte Jungfrau, worauf auch ihre Worte – in jeweils verschiedenen Bezeichnungen – hinwiesen.
5° Die Seherinnen beteten während der Erscheinungen den Rosenkranz, die Muttergottes forderte zum Rosenkranzgebet auf und machte den Empfang der Gnaden von diesem Gebet abhängig.
6° Von Anfang an strömten viele Pilger zu den Erscheinungsstätten.
Nicht unbedeutend sind allerdings die Unterschiede:
1° Während die Erscheinungen in Lourdes 18 Mal, in Fatima nur 6 Mal stattfanden, beträgt ihre Zahl in Gietrzwałd 160, wobei sie im Zeitraum vom 27. Juni bis zum 16. September fast täglich geschahen und an einem Tag, dem 24. Juli, sogar 3 Mal stattfanden.
2° Ein Unterschied ist ebenfalls in der Botschaft zu bemerken. In Lourdes und Fatima waren Aufrufe zur Umkehr, Buße und Sühne waren, auch unter Androhung der Strafen, sowie die Forderung zur Weihe an das Unbefleckte Herz der hauptsächliche Inhalt. In Gietrzwałd lud die Muttergottes zum Gebet in vielerlei Nöten ein, vor allem zum Rosenkranz, und zwar mehr als in den anderen Erscheinungen. Es ist viel mehr eine ermutigende, tröstende Botschaft, nicht eine drohende oder warnende.
8° Die theologisch fassbare Besonderheit bzw. spezielle Ausrichtung der Erscheinungen in Dittrichswalde kann man in ihrer prophetischen Komponente erblicken. Neben den Bezügen auf die damalige, durchwegs schwierige und leidvolle Situation der katholischen Kirche im preußischen Staat des „Kulturkampfes“ (unbesetzte Pfarreien, aufgehobene Klöster, Behinderungen in personalen und pastoralen Angelegenheiten) ist hierzu an die Tatsache zu denken, deren Bedeutsamkeit den Zeitgenossen – den Katholiken wie Nichtkatholiken, den Geistlichen wie den staatlichen Behörden und den Zeitungen – offensichtlich bewusst war, dass nämlich die Erscheinung an einem fast ausschließlich von der polnischen Bevölkerung bewohnten Ort stattfand und Polnisch sprach.
Es seien nun zwei gewichtige Beispiele einer geschichtstheologischen Deutung angeführt. Die erste Interpretation stammt aus der Feder des gelehrten Priesters und Regens des bischöflichen Priesterseminars Franz Hipler, der im Auftrag des Bischofs ein Zeuge der Ereignisse war und den hier häufig zitierten, auf amtlichen Akten gestützten Bericht verfasste. Darin betont er, dass Polen wie Deutsche zusammenkamen wie „Kinder der einen Mutter vereint in brüderlicher Liebe“. Außerdem schreibt er: „War es nicht eine besondere göttlich Fügung, dass gerade von dem altpreußischen Boden eine Mahnung an die katholische Welt ergangen ist, dass sie zum Rosenkranz greife? Denn gerade die Ritter Mariens, mit dem schwarzen Kreuz auf dem weißen Mantel, die Deutschen Ritter der Allerseligsten Jungfrau Maria von Jerusalem haben zusammen mit den Söhnen des hl. Dominikus die in der Finsternis des Heidentums gefangenen Preußen zum Christentum bekehrt; sie haben also das Schwert verbunden mit dem Rosenkranz. Preußen, der ursprünglich lettische Boden, Preußen, von dem die mit der Zeit gewaltigste deutsche Weltmacht ihren Namen nahm, tritt nun auf die Bühne der Geschichte als der Boden der Königin des hl. Rosenkranzes. (…) Warum sollten wir nicht unter solchen Umständen mit besonderer Freude und Hoffnung diese Ermutigung zur Rosenkranzandacht begrüßen und annehmen? Gott wirkt ja Großes gewöhnlich durch schwache Werkzeuge!“
Der zweite prominente, sogar wohl der prominenteste Zeuge, und zwar aus der Zeit der offiziellen Anerkennung der Erscheinung, ist Kardinal Karol Wojtyła, der als Erzbischof von Krakau bei den Feierlichkeiten eine Predigt hielt und etwa ein Jahr später zum Papst gewählt wurde. Von den ersten Worten des Hebräerbriefs (Hebr 1,1-2) und den Ereignissen von 1877 samt dem historischen Kontext ausgehend, skizziert der spätere Papst Johannes Paul II eine Theologie der Kultur, die in der Inkarnation des göttlichen Logos gründet. Er sagt u.a.: „Die Organisatoren des ‘Kulturkampfes‘ dachten nicht daran, dass an der Wurzel der wahren menschlichen Kultur, die immer mit einem menschlichen Wort geschaffen wird, das Göttliche Wort seinen Platz nahm. (…) Man muss in Erinnerung behalten, dass die Kultur einer jeden Generation gemäß den tiefen Gesetzlichkeiten der menschlichen Seele, des Geistes, des Willens und des Herzens gebildet wird. Man kann sie nicht künstlich erschaffen in Loslösung von dem, was der Mensch denkt, was er lebt. Und man kann sie nicht erschaffen gegen Gott, an den der Mensch glaubt, zu dem sich der Mensch bekennt, den der Mensch lebt. Man kann auch nicht behaupten, dass es irgendeine Basis im Leben und in der Geschichte des Volkes gibt, in der Gott nicht anwesend wäre. Denn Gott hat ja, indem Er Mensch wurde, das besondere Bürgerrecht Gottes im Menschen, in der Menschheitsfamilie, in den Jahrhunderten und Generationen, in Nationen und Völkern geschaffen – das besondere Recht der Gegenwart Gottes. (…) Gott inkarnierte sich in Völkern und Nationen mit Seiner Wahrheit, mit Seiner Liebe. In all diese Völker und Nationen trug Er ein und Er trägt ein das Bürgerrecht Gottes in ihrem Leben, insbesondere in ihrer Kultur. (…) Man kann auch nicht ein kulturelles Monopol akzeptieren, das auf ganz anderen Prämissen beruht, wo nicht nur Gott und Christus abwesend ist, sondern auch der Mensch, der an Gott glaubt und Christus bekennt.“ In einer tiefsinnigen Zusammenschau von Geschichte und Gegenwart sowie von Anthropologie und Theologie entwarf der Prediger eine überzeitliche Interpretation der Erscheinungen von Gietrzwałd, die ihren historischen Bezügen zugleich gerecht wird.
2. Theologische Prinzipien in bezug auf Privatoffenbarungen
Als Zeugen für kirchliche Grundsätze im Umgang mit sog. Privatoffenbarungen seien drei Quellen von hohem kirchenlehramtlichem Rang angeführt.
2.1. Privatoffenbarungen im Zusammenhang der Selig- und Heiligsprechungen (Benedikt XIV.)
Die wohl bekannteste amtliche Behandlung der Thematik der Visionen und Erscheinungen liegt in dem Werk von Papst Benedikt XIV. De servorum Dei beatificatione… im Zusammenhang mit den Verfahren der Selig- und Heiligsprechungen vor, genauer anlässlich der Behandlung der gratiae gratis datae. Solche Phänomene wie Ekstasen, Visionen, Erscheinungen und Offenbarungen zählen zwar nicht unmittelbar zu diesen gratiae, sind aber mit ihnen gewissermaßen verbunden.
Der Papst unterscheidet zwischen revelationes zum einen und den visiones und apparitiones zum anderen. Der Unterschied zwischen den zwei letzteren besteht darin, dass visiones etwas Unerkanntes auf übernatürliche Art sehen lassen, während in den apparitiones das Erscheinende auch erkannt wird. In den revelationes wird etwas nicht nur gesehen und erkannt, sondern auch verstanden, und zwar durch übernatürliche Erleuchtung. Umgangssprachlich werden allerdings die drei Arten als revelationes bezeichnet, was insofern zulässig ist, als für sie alle die gleichen Kriterien der Unterscheidung gelten.
Unter revelatio privata versteht Benedikt XIV. eine solche revelatio, die nicht der Kirche, sondern speziell einer bestimmten Person vorgelegt wird; eine solche Offenbarung betrifft nicht an sich das Gemeinwohl der Kirche, sie kann es aber in einer abgeleiteten Weise betreffen. Selbst wenn sie von Kirche approbiert ist, gebührt ihr keine Zustimmung kraft des katholischen Glaubens, sondern lediglich mittels menschlicher Glaubwürdigkeit.
Dem Ursprung nach unterscheidet der Papst 1° natürliche, 2° satanische (dämonische) und 3° himmlische (göttliche) Offenbarungen. Alleine in den letzteren wird eine auserwählte Person durch Gott erleuchtet und belehrt zu ihrem Wohl oder auch zum Wohle der anderen. Besondere Aufmerksamkeit wird der Glaubwürdigkeit bzw. Echtheit im Sinne des übernatürlichen, göttlichen Ursprungs geschenkt. Hierzu ist auf folgende Kriterien zu achten: 1° den Gegenstand bzw. Inhalt, ob er mit dem katholischen Glauben und den guten Sitten übereinstimmt; 2° die Umstände bezüglich der empfangenden Person und der Art der Mitteilung; sowie 3° die Folgen bzw. Wirkungen der betreffenden Offenbarung. Das hauptsächliche und allgemeine Kriterium stellt die Demut als das Gegenteil des satanischen Stolzes dar.
2.2. Privatoffenbarungen im katholischen Offenbarungsbegriff (R. Garrigou- Lagrange)
Das Handbuch des thomistischen Lehrmeisters R. Garrigou-Lagrange OP De Revelatione behandelt dogmatische Grundlagen der Privatoffenbarungen, die dem theologischen Thema der Prophetie – als einem äußeren Motiv der Glaubwürdigkeit der öffentlichen Offenbarung (neben dem Wunder) – angehören. Die Etymologie des Wortes weist durch ihre Verwurzelung im Alten Testament auf den Zusammenhang mit der Offenbarung im weiteren Sinne hin. Die zwei Deutungsvarianten (abgeleitet von "πρό-φαίνω, praemanifestare seu praenuntiare vel apparere", oder von "προφάναι, praenuntiare", wobei "προ non designat prioritatem temporis sed «pro alio»") vereinen das Offenbaren bzw. Offenlegen mit der Vermittlung. Der katholische Begriff der Prophetie enthält vor allem das, was die natürliche Erkenntnisfähigkeit des menschlichen Geistes übersteigt (wegen der räumlichen, der inneren oder der zeitlichen Erhabenheit bzw. Unerreichbarkeit des Inhaltes). In der Definition („Prophetia proprie dicta difinitur: infallibilis praedictio futuri contingentis, quod, solo supernaturali lumine, certo praevideri potest“) bezieht sich das wesentliche Merkmal nicht auf die Vorhersage eines zukünftigen Ereignisses, sondern auf die Übernatürlichkeit der Erkenntnis („Quod est principalius in revelatione prophetica est lumen supernaturale, non repraesentatio rei futurae“). Aus den Betrachtungsweisen hinsichtlich des Objektes und des Subjektes ergeben sich die Arten der Prophetie: 1° Je nach dem Bezug der prophetischen Erkenntnis auf das Zukünftige – entweder bezüglich des Umfangs (quoad cognitionis extensionem ad rem futuram: ad determinatum tempus, ad originem prophetiae, ad significationem rei futurae) oder bezüglich der Bedingtheit des Zukünftigen (quoad naturam futuri contingentis: futurum absolutum [prophetia praescientiae], futurum conditionatum [prophetia comminationis]), oder 2° je nach dem modus der Erkenntnis – in formaler Hinsicht (formaliter: per visionem intellectualem, per visionem imaginariam, per visionem sensibilem) und in materieller Hinsicht (materialiter: in vigilia, in extasi, in somno). Je größer der Umfang der Erkenntnis umso höher ist der Grad der Prophetie bzw. ihre Gewißheit, d. h. Echtheit im Sinne des göttlichen, übernatürlichen Ursprungs. Dies ist zu beachten wegen der Möglichkeit der Unterscheidung zwischen Prophetie als einer übernatürlichen Gabe zum einen und menschlichen Mutmaßungen oder Weissagungen der Geister zum andern. Prophetien lassen sich zwar mit Gewißheit als solche erkennen, jedoch nur mit moralischer Gewißheit (cum certitudine morali), d. h. durch Berücksichtigung der verschiedenen Umstände (quis, quid, ubi, quibus auxiliis, cur, quomodo, quando), ähnlich wie Wunder; dazu gehören sog. Privatoffenbarungen, die deswegen einer sorgfältigen Untersuchung und Prüfung bedürfen. Hierzu ist der Charakter einer Offenbarung zu beachten: ob sie ernst, anständig, fromm ist, oder im Gegenteil (utrum circumstantiae gravitatem, honestatem, religionem prae se ferant, an e contra impietatem, curiositatem, nocumentum spirituale animae). Des Weiteren ist die Person, die vom Ereignis berichtet, zu untersuchen, denn wiewohl Gott sich auch eines unanständigen Menschen bedienen kann, dennoch pflegt er generell gute Menschen auszuwählen, um etwas mitzuteilen. Zwar folgt aus der Bosheit der Person nicht zwangsläufig Falschheit der Prophetie, dennoch sind in solch einem Fall Bedenken angebracht. Das heiligmäßige Leben einer Person spricht gegen Betrug und somit zugunsten der Echtheit der Prophetie, d. h. für ihren göttlichen Ursprung, allerdings ohne alleine als Beweis auszureichen.
2.3. Privatoffenbarungen im Leben der Kirche (J. Ratzinger)
Das jüngste lehramtliche Dokument zum Thema ist der theologische Kommentar des Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre, Kard. Joseph Ratzinger, zu der Veröffentlichung des sog. Dritten Geheimnisses von Fatima im Jahre 2000. Einleitend bemerkt der Kardinal, dass das nun nach Jahrzehnten der Geheimhaltung und der Spekulationen voröffentlichte Geheimnis wegen seiner Einfachheit und zugleich weiterhin bestehenden Unklarheit überraschen und verwundern kann. Daher gibt er vor allem „einige notwendige Klarstellungen“ auf der Basis der Lehre der Kirche zum Verständnis solcher Phänomene „im Inneren des Glaubenslebens“ („sono necessarie alcune chiarificazioni di fondo circa il modo in cui, secondo la dottrina della Chiesa, devono essere compresi all‘ interno della vita di fede fenomeni come quello di Fatima“). Nun die Ausführungen in einem Resümee:
1° Zwischen der „öffentlichen Offenbarung“ – der an die gesamte Menschheit gerichteten und in der Bibel schriftlich formulierten göttlichen Mitteilung Seiner selbst – und den „Privatoffenbarungen“ besteht ein Unterschied nicht nur des Grades, sondern des Wesens („differenza… di essenza“).
2° Die öffentliche Offenbarung ist in Jesus Christus endgültig und vollständig abgeschlossen.
3° Die Einmaligkeit und dauerhafte Gültigkeit dieser Offenbarung schließt einen Fortschritt in ihrem Verständnis („il progresso nella sua comprensione“) nicht aus; Der Hl. Geist führt die Kirche stets zur Vertiefung in die unerschöpfliche Fülle des selben Schatzes Jesu Christi.
4° Die Bezeichnung „Privatoffenbarungen“ bezieht sich auf „alle Visionen und Offenbarungen, die sich nach dem Abschluss des Neuen Testaments ereignet haben“ („si riferisce a tutte le visioni e revelazioni che si verificano dopo la conclusione del Nuovo Testamento)“; dazu zählt z.B. die Botschaft von Fatima. Ihre Bedeutung besteht nicht in einer Ergänzung der einen Offenbarung Jesu Christi, sondern darin, dass sie „helfen“, diese Offenbarung „vollständiger zu leben in einer bestimmten Epoche der Geschichte“ („di aiutare a viverla più pienamente in una determinata epoca storica“). Daraus folgt:
- Die Autorität der Privatoffenbarungen ist wesentlich verschieden („essenzialmente diversa“) von der Autorität der öffentlichen Offenbarung, die auf der Autorität Gottes selber beruht und somit zum Glauben verpflichtet;
- Privatoffenbarungen sind „eine Hilfe“ für den Glauben an die öffentliche Offenbarung („un aiuto per questa fede)“ – also ein Angebot und keine Verpflichtung („offerto, del quale non è obligatorio fare uso“) – und schöpfen ihre Autorität aus diesem Verweischarakter in bezug auf die öffentliche Offenbarung; sie können also lediglich mit dem menschlichen Glauben gemäß den Regeln der Klugheit angenommen werden, als wahrscheinlich und glaubwürdig („un assentimento di fede umana conforme alle regole della prudenza, che ce le presenta come probabili e piamente credibili“).
5° Privatoffenbarungen können neue Akzente setzen, Entstehung neuer Frömmigkeitsformen oder Vertiefung bzw. Wiederbelebung der alten Formen anregen; bei all dem muss es sich um eine Nahrung für den Glauben, die Hoffnung und die Liebe handeln, die den immer gültigen Weg des Heiles darstellen.
6° Positiv gesehen gehören Privatoffenbarungen der theologischen Kategorie der Prophetie im biblischen Sinne an, d. h. nicht als Vorhersage der Zukunft, sondern als Kundmachung des Willens Gottes für die Gegenwart und somit das Aufzeigen des richtigen Weges in die Zukunft („spiegare la volontà di Dio per il presente e quindi mostrare la retta via verso il futuro“); Vorhersagen der Zukunft sind hierbei sekundär. Ein prophetisches Wort ist vor allem Wegweisung oder Zuspruch, oder auch beides („avvertimento o anche consolazione o entrambi insieme“).
7° Die betreffenden Offenbarungen sind weder eine rein äußere, sinnlich-gegenständliche Perzeption noch rein subjektive Produkte der Phantasie, sondern eine eigene Art der Wahrnehmung („propria maniera di verificare“), nämlich eine von Gott geschenkte „innere Perzeption“ („percezione interiore“), an der auch das wahrnehmende Subjekt mit seinen Fähigkeiten mitbeteiligt ist. Die oft darin angewandte bildhafte Sprache hat nicht den Charakter einer Fotografie der historischen Ereignisse, sondern einer deutenden Synthese, die oft „eher a posteriori entziffert werden“ kann.
8° Kirchliche Approbation einer Privatoffenbarung bedeutet ein dreifaches:
- die betreffende Botschaft enthält nichts, was der katholischen Glaubens- und Sittenlehre entgegengesetzt wäre;
- es wird erlaubt, die Botschaft zu veröffentlichen;
- den Gläubigen wird gestattet, ihre Wertschätzung für die Botschaft in einer klugen Form zum Ausdruck zu bringen (z. B. durch Anfertigung und Aufstellung der entsprechenden Darstellungen).
Das an sich nicht umfangreiche Dokument legt also stets gültige Prinzipien des kirchlichen Umgangs mit Privatoffenbarungen auf eine neue Weise dar, indem es sowohl die theologische und lehramtliche Tradition aufgreift als auch die neuesten Entwicklungen in den Wissenschaften und im Lehramt einbezieht.
3. Kirchliche Begutachtung der Ereignisse von Dittrichswalde
3.1. Amtliche Handlungen und angewandte Kriterien
Der Ortspfarrer in Dittrichswalde, Augustin Weichsel, unterließ es zunächst, die kirchliche Obrigkeit zu verständigen und zu Rate zu ziehen. Der zuständige Bischof von Ermland, Philipp Krementz (später Erzbischof von Köln und Kardinal), der von den Ereignissen aus den Zeitungen erfuhr, forderte den Pfarrer mit einem Brief vom 4. August 1877 in einem scharfen Ton auf, einen genauen Bericht zukommen zu lassen. Die amtliche Berichterstattung des Pfarrers erfolgte am 8. August; am folgenden 24. August wurde außerdem eine unter Mitwirkung der bischöflichen Kommissare verfasste Vervollständigung an den Bischof gesandt.
Am 18. August setzte Bischof Krementz eine kanonische Kommission ein mit dem Auftrag, die Ereignisse in Dittrichswalde zu untersuchen. Zu Mitgliedern ernannte der Bischof zwei Dekane, die sich noch einen Notar zu Hilfe nehmen sollten: Erzpriester Augustin Karau aus Allenstein und Erzpriester Eduard Stock aus Wartenburg. Beide waren erfahrene Gymnasiallehrer in katholischer Religion, staatliche Schulinspektoren und Seelsorger unter der polnischen Bevölkerung. Der Auftrag lautete: „Die Tatsachen, auf welchen der Glaube an diese fraglichen Offenbarungen beruht, festzustellen und genauer zu prüfen, um ein richtiges Urteil in dieser Angelegenheit zu ermöglichen“. Zu diesem Zweck seien laut dem bischöflichen Dekret „hauptsächlich folgende Momente zu berücksichtigen“:
„1° Die Persönlichkeit und Glaubwürdigkeit der Zeugen nach Charakter, Anlage, religiös-sittlichem Betragen, Verhalten vor, bei und nach den von ihnen bezeugten Vorgängen, Unbefangenheit, Uneigennützigkeit usw.
2° Der Inhalt und die Übereinstimmung ihrer Aussagen, der geschehenen Anfragen und resp. Antworten und Aufträge mit möglichst genauer Angabe der Zeit und sonstigen Modalitäten;
3° Angeblich wunderbare Vorgänge, Heilungen und dergleichen;
4° Die Wirkungen der Ereignisse auf das gläubige Volk, auf Andersgläubige, auf sittliche Besserung und Umkehr, Belebung des religiösen Lebens, die Zahl und Menge der zuströmenden Leute, ihr Verhalten, alle Umstände, welche die Glaubwürdigkeit der berichteten Dinge mehren oder mindern können usw.
5° Die Eindrücke und Überzeugungen, welche sich bei Ihnen selbst durch eigene Wahrnehmung und Anschauung geltend gemacht haben.“
Die Kommissare weilten am Ort insgesamt 4 Tage (vom 22. bis zum 24. sowie am 30. August 1877). Sie verhörten die hauptsächlichen an den Erscheinungen Beteiligten und verfassten Protokolle in Anwesenheit einiger anderer Geistlichen. Zudem verlangten sie von Pfarrer Weichsel die Übergabe seiner Notizen über die Ereignisse, die sie zusammen mit dem eigenen Bericht am 31. August dem Bischof übersandten.
Des Weiteren entsandte Bischof Krementz den Subregens seines Priesterseminars, Augustin Kolberg, damit dieser sich am Ort über die Ereignisse ein Bild mache und ihm Bericht erstatte. Es war kein kanonischer Auftrag, sondern eine Bitte an einen besonders vertrauenswürdigen Priester. Dieser beobachtete die Seherinnen und vernahm sie in Anwesenheit anderer Priester. Am 25. August folgte sein Bericht.
Am 31. August, kam Regens Franz Hipler, der als der gelehrteste Priester der Diözese galt, im Auftrag des Bischofs an den Ort, wo er bis zum Ende der Erscheinungen blieb. Wenige Monate später veröffentlichte er auf der Grundlage sowohl der vorhandenen Akte als auch der eigenen Untersuchungen und Beobachtungen einen Bericht über die Ereignisse. Der Bischof gab dazu seine amtliche Druckerlaubnis (datiert am 21. November 1877), in der er bescheinigte, dass die Erscheinungen nichts enthalten, was der katholischen Glaubens- und Sittenlehre widersprechen würde; er merkte allerdings an, dass dieses Imprimatur kein kirchliches Urteil bezüglich des Ursprungs und des Charakters der Erscheinungen enthalte und dass es eine eigene Urteilsbildung des Lesers nicht ersetzen möchte. Diese Worte stellen die einzige offizielle Äußerung des Bischofs in der causa dar.
Die Haltung des Bischofs beruhte – außer den bereits angeführten Punkten – auf folgenden Erkenntnisquellen: Der Bischof nutzte die Gelegenheit seiner kanonischen Visitation in der Gegend dazu, um sich persönlich über die Ereignisse ein Bild zu machen. Er kam am 4. September nach Dittrichswalde, beobachtete an diesem und dem folgenden Tag die Seherinnen während der Visionen und sprach anschließend mit ihnen. Danach äußerte er seine Verwunderung, dass bis dahin kein Arzt dieses Phänomen untersucht hatte. Teils auf Wunsch des Bischofs, teils aus eigenem Antrieb kamen an den Ort unabhängig voneinander drei Ärzte, um die Seherinnen medizinischen Untersuchungen zu unterziehen. Von ihnen waren zwei katholisch (Dittrich und Poschmann), der dritte (A. Sonntag) war ein Protestant. Jeder von ihnen untersuchte die Seherinnen selbständig (Dittrich am 5. und 6. Sept. drei Mal; Poschmann am 7. Sept. zwei Mal; Sonntag am 7. Sept. nur einmal). Jeder von ihnen verfasste einen eigenen Bericht. Insgesamt ist zu sagen, dass der Bischof alle notwendigen ihm zur Verfügung stehenden Mittel für eine möglichst gründliche und objektive Urteilsbildung in der Angelegenheit angewendet hat.
Nachfolgende Bischöfe von Ermland gaben keine amtlichen Erklärungen in der Sache ab. Bischof Augustin Bludau (1908-1930) hatte zwar vor, die Angelegenheit in Angriff zu nehmen, ließ aber von der Absicht ab, nachdem ihm ein negatives Gutachten eines Sachverständigen vorgelegt worden war. Bischof Maximilian Kaller (1930-1945) brachte in der schweren Zeit des Nationalsozialismus seine Wertschätzung für Dittrichswalde zum Ausdruck, indem er den Ort nicht nur offiziell besuchte, sondern dort offizielle Diözesanwallfahrten abhielt.
Jahrzehnte später folgten weitere Schritte der kirchlichen Obrigkeit. Diese können in der Kontinuität der Haltung und Vorgehensweise der früheren Oberhirten gesehen werden. Zuerst wurde die Bedeutung und der Rang des Ortes als einer Stätte der Marienverehrung hervorheboben. Am 20. Oktober 1963 gestattete der Apostolische Stuhl auf Bitten von Bischof Tomasz Wilczyński, dass das Gnadenbild der Muttergottes in Gietrzwałd feierlich gekrönt wurde. Einige Jahre später (am 1. Juni 1967) bestätigte der Apostolische Stuhl das Messformular der Votivmesse „in Nativitate B.M.V. seu B.M.V. de Gietrzwałd“. Am 2. Februar 1970 verlieh Papst Paul VI. der Pfarrkirche in Gietrzwałd den Titel basilica minor. Diese Entscheidungen betreffen zwar die Privatoffenbarungen nicht direkt, dennoch unterstreichen und bestätigen sie die Wertschätzung des Ortes und seinen Charakter als Marienheiligtum. Ein Brief des vatikanischen Staatssekretariats vom 18. Mai 1977 anlässlich des Mariologisch-Marianischen Kongresses in Olsztyn erwähnt Gietrzwałd als denjenigen, „ibi, ut traditur, Beata Dei Genitrix se conspiciendam dedit“. Diese durchaus ungewöhnliche oder zumindest sehr seltene Äußerung der Apostolischen Stuhles ist wohl als eine indirekte Zustimmung zu einer offiziellen Anerkennung der Erscheinungen zu deuten.
Für eine solche Anerkennung, die dem Ortsbischof obliegt, sprachen sich die Teilnehmer des besagten Mariologischen Kongresses in ihrer Resolution vom 25. Juni 1977 aus. Das entsprechende Dekret von Bischof Józef Drzazga wurde am 11. September 1977 anlässlich der Feierlichkeiten zum hundertjährigen Jahrestag der Ereignisse veröffentlicht (dazu s. unter 3.3.).
3.2. Stellungnahmen der Amtspersonen
Bevor wir das Approbationsdekret näher vorstellen, weisen wir auf einige hauptsächliche Ergebnisse der amtlichen Untersuchungen hin.
3.2.1. Bezüglich der Inhalte
Die bischöflichen Kommissare betonen in ihrem kanonischen Bericht, dass infolge besonderer Vorkehrungen in bezug auf die Kinder „eine gegenseitige Mitteilung oder Besprechung unter denselben mithin ausgeschlossen ist; so wird auch der Inhalt der Antworten, wenn derselbe über den Bildungsgrad der einfachen Kinder hinausgeht, jedenfalls als Kriterium für die Aufrichtigkeit dieser Kinder und für die Realität der Erscheinung Beachtung verdienen“. Es wird berichtet, dass „die Erscheinung (…) durch die erteilten Antworten stets auf besondere Andachtsübungen, auf Lebensbesserung hinweist und zur Gottesfurcht auffordert“; sie „verlangt, dass von den Leuten hier täglich der Rosenkranz gebetet würde. Den Kranken, welche sehr viele Anfragen stellen, wird durchweg Gebet empfohlen und aufgegeben und nur wenige Male mit dem Zusatze, sie sollten das geweihte Wasser und die geweihte Leinwand brauchen“. Zur Verweigerung der Antworten auf manche Fragen wird erklärt: „Im allgemeinen scheinen jene Fragen nicht beantwortet zu werden, in denen sich ein Mangel an Glauben ausspricht“.
Als erhebliche Unterschiede in den Visionen auftraten, trug die Kommission den Seherinnen auf, die Erscheinung zu fragen, warum jede von ihnen die Muttergottes anders sehe. Am 22. August abends erhielt Samulowska die Antwort: „Seid zufrieden damit, wie ich mich euch zeige“; Szafryńska dagegen vernahm: „Damit die Menschen besser glauben“. Meistens werden differierende Auskünfte der Erscheinungen, die von Pfr. Weichsel und der bischöflichen Kommission festgehalten wurden, entweder auf Unachtsamkeit bzw. Missverständnisse seitens der Seherinnen, oder auf Unechtheit der Erscheinung selbst zurückgeführt.
3.2.2. Bezüglich der Personen
Pfr. Weichsel schließt seinen Bericht mit folgenden Worten ab: „Was mich anbetrifft, so bin ich von der wirklich stattfindenden Erscheinung vollkommen überzeugt, teils wenn ich die Kinder sehe, denen man die Unschuld, Einfalt, ja Kindlichkeit vom Gesichte ablesen kann, teils durch andere Umstände zum Glauben bewogen, indem Leute zu mir gekommen sind, von denen man unverhohlen sagen kann, dass sie von der Gnade Gottes getrieben, die Reise hierher gemacht haben.“ Subregens A. Kolberg schrieb infolge seiner Beobachtungen und Untersuchungen am 25. August an den Bischof: „Das Verhalten der Kinder ist von der Art, dass man sie nicht eines Betrugs oder einer Simulation bezichtigen kann. So lautete auch die allgemeine Meinung der Priester, die die Kinder sahen. (…) Obwohl ich mit Skepsis an die Sache herangetreten bin, wich die Skepsis dem Vertrauen, dass die Sache der Ehre Gottes und des Heils der Seelen einen günstigen Verlauf nimmt“.
Ähnlich werden die zwei Mädchen von der bischöflichen Kommission beschrieben: „Beide Kinder erscheinen anspruchslos, einfach und natürlich, fern von jeder Verschlagenheit, bescheiden in ihrem Auftreten, zeigen sich vor wie nach den angeblichen Erscheinungen kindlich und vollständig unbefangen, ja sogar teilnahmslos an diesen Vorgängen, welche so viele in Erregung setzen; bietet sich ihnen die Gelegenheit zum Spielen mit anderen Kindern, so beteiligen sie sich daran nach Kinderart mit voller Lust unmittelbar vor wie nach den Visionen. Sie beantworten die an sie gestellten Fragen zwar etwas schüchtern, besonders wenn sie jemandenm zum ersten Mal gegenüber stehen, aber doch ohne Verlegenheit und ohne Zögern, so dass schon für uns zu erkennen ist, dass sie geben das in Antworten wiedergeben, was ihnen wirklich vorgeschwebt hat; über die ihnen gewordenen Erscheinungen scheinen sie in keiner Weise zu reflektieren, sondern dieselben unbefangen hinzunehmen, wie sie sich ihnen darbieten. (…) All dies zusammengefasst führt zum Schlusse, dass die Kinder nicht betrügen wollen, dass ihre Aussagen im Allgemeinen wahr sind, und das Vergessen der aufgegebenen Fragen, einzeln vorkommende Diffenrenzen in den Antworten, welche sie erhalten haben, sollen wohl nur auf Rechnung ihrer geringeren Auffassungsgabe und geringerern Befähigung zu setzen sein. Dass eine Überredung von anderer Stelle stattgefunden, dass sie unter sich über die Antworten übereinkommen oder, dass sie die letztere sich selbst ersonnen hätten, zu diesem Verdacht liegt zwar kein Anhalt vor.“ Im Endergebnis wird also festgehalten, dass die Mädchen Szafryńska und Samulowska wahrhaftig sind, nichts vortäuschen und nichts Unwahres sagen; etwaige kleine Unterschiede in ihren Berichten lassen sich auf Mangelhaftigkeit des Gedächtnisses und der Fassungskraft zurückführen.
Bedenken wirft allerdings die folgende Tatsache auf: „Nur hat aber die Erscheinung durch die Kinder auch betreffs der Durand, Czarniecki und Tolksdorf die Antwort gegeben, dass auch diese Personen sähen, wiewohl diese Personen auch außer der Zeit des Rosenkranzgebetes verschiedene Erscheinungen gesehen haben wollen“. Hierzu meinen die bischöflichen Kommissare: „Ein Urteil über diese Erscheinungen, inwiefern sie wahre oder falsche seien mögen, steht uns nicht zu, und wir müssen die Entscheidung über das weitere Verfahren betreffs jener Erscheinungen (…) dem Hochehrwürdigsten Herrn Bischofe noch anheimgeben“.
Wie hingewiesen, erwähnt Pfr. Weichsel (außer den zwei Mädchen Szafryńska und Samulowska) drei weitere Personen als glaubwürdige Zeugen der Erscheinungen. Die bischöfliche Kommission dagegen hält in ihrem offiziellen Bericht an den Bischof vom 30. August 1877 nur zwei von ihnen für glaubwürdig, nämlich die 45-jährige Witwe E. Bilitewska und das Fräulein C. Wieczorek. Zu der ersteren bezeugen die Kommissare: Sie „macht durch ihr äußeres Auftreten den Eindruck einer ruhigen, besonnenen und bescheidenen Person. (…) Sie zeigt sich in der Unterhaltung verständig, ohne Überspanntheit, gibt ihre Erklärungen ohne Zögern und mit klaren Worten ab. Auch hat sie allgemein einen guten Leumund, und auch bei ihr scheint jeder Zweifel an ihrer Wahrheitsliebe und Aufrichtigkeit ausgeschlossen“. Sie hatte „eine Vision erst in der dritten Woche der Erscheinungen und sah da die Heilige Jungfrau nur als Bruststück, am dritten Tage darauf in voller Gestalt stehend mit dem Jesuskind auf dem linken Arme und die rechte wie zum Segen erhoben“; später „sah sie häufig diese Gestalt von vielen Engeln umgeben und hörte auch (…) Musik und Gesang“. Über die 24-jährige Frau Wieczorek heißt es: „Auch sie gibt sich einfach und bescheiden. In ihren Erzählungen findet sich nichts Gesuchtes, sie teilt schlicht, ja etwas unbeholfen, aber ohne Zögern mit, was sie gesehen haben will, und macht in ihrer ganzen Erscheinung den Eindruck einer gesitteten, bescheidenen und wahrheitsliebenden Person“. Die Kommission bemerkt zwar, die Frauen nicht ebenso strengen Prüfungen und Untersuchungen unterzogen zu haben wie die zwei Mädchen, und fügt hinzu, dass viele – im Falle der Frauen – als offensichtlich falsch zu bezeichnende Visionen den Grund zu mehr Vorsicht darstellen, sie fällt aber ebenfalls ein überaus positives Urteil über diese Personen, die – wie sich im Nachhinein herausstellte – mindestens im weiteren Verlauf der Ereignisse (d. h. nach dem Ende der Erscheinungen an die Mädchen) einen Betrug begangen haben. Allerdings spricht die Tatsache, dass sie sich zum Betrug bekannt und den Rest ihres Leben im Ordensstand verbracht haben, zugunsten ihrer grundsätzlichen Ehrlichkeit.
Fünf Jahre nach den Erscheinungen vermerkt Pfr. Weichsel in seinem Nachwort zur Neuausgabe des Berichtes von Regens Hipler, dass alle vier Seherinnen freiwillig und gerne den Ort verlassen haben, um in klösterlicher Stille mit Gebet und guten Werken den Rest ihres Lebens zu verbringen. Sie bestätigen weiterhin als gewissenhafte und ehrliche Wahrheit all das, was in den amtlichen Dokumenten festgehalten ist.
Jeder der Ärzte, die die Seherinnen untersuchten, verfasste einen eigenen Bericht. Darin bescheinigten sie einmütig allen Seherinnen, dass keine psychische oder neurotische Erkrankung festgestellt wurde. Die zwei ersteren bezeugten außerdem, dass die Seherinnen während der Ekstasen unempfindlich auf sinnliche Reize wurden; der dritte Arzt, der Protestant, hat dies nicht bestätigt.
3.2.3. Bezüglich der Wirkungen („Früchte“)
Bezüglich der äußeren Wirkung auf die Seherinnen machten die bischöflichen Kommissare die folgende Beobachtung: Während der Visionen erschienen die Personen „blass, leichenhaft, mit teilweise geröteten und aufgetriebenen Augen, gleich Ohnmächtigen kraftlos, während bei den Exstasen während des Rosenkranzgebetes das natürliche Aussehen bewahrt bleibt“. Diese Beobachtung führte die Kommissare zu der Auffassung, dass „solche Erscheinungen (…) wohl für dämonische Einwirkungen anzusehen sein würden“.
In den nächsten Jahren (bis 1883), wie Pfr. Weichsel bezeugt, dauerte der Zustrom der Pilger am 2. und 15. August sowie am 8. und 16. September trotz Hindernissen weiterhin an und verstärkte sich sogar. Zudem machte sich in der Pfarrei selbst „ein sehr großer Fortschritt in der Sittlichkeit und im Eifer für den Dienst Gottes“ bemerkbar; dies beweisen etwa die stets steigende Zahl der Mitglieder der Abstinenzbruderschaft, der Eifer im Gebetsleben, häufiger Sakramentenempfang, vor allem die Liebe zum hl. Rosenkranz, der nicht nur in der Kirche, sondern auch zu Hause gebetet wird, zudem zahlreiche Konversionen der Andersgläubigen und die Wertschätzung der Jungfräulichkeit, so dass viele Jungfrauen das Klosterleben wählten. Dieser „Fortschritt in echter Frömmigkeit“ betreffe nicht nur die Pfarrei in Dittrichswalde, sondern auch weitere Gegenden, auch jenseits der Grenzen.
Bezüglich der Wirkung auf das gläubige Volk bescheinigt die bischöfliche Kommission, sie „ist eine gute, was sich besonders dadurch dokumentiert, dass wohl fast sämtliche Besucher jenes Ortes vorher in ihren Pfarrkirchen das hl. Bußsakrament empfangen. Auch in Dittrichswalde selbst, wenn sie von weit her gekommen sind, beichten. (…) Der Zusammenfluss der Menschen ist seit dem ersten Tage derselbe geblieben. An den Wochentagen tausend bis zweitausend trotz der Erntezeit. An Sonntagen sicher einige tausend mehr; die am 15. und 16. August dort befindliche Menge mag sich wohl auf ca. zehntausend beziffern. (…) ungeachtet dieser großen Menge, welche sich während des Gebets auf dem Kirchhofe vor dem qu. Ahornbaume versammelt, herrscht eine imponierende Ruhe (…). Die Kirche ist immer gefüllt, und so viele sich auch immer im Dorfe befinden und in den einzelnen Häusern ein Unterkommen suchen, nirgend ist die geringste Störung oder Ungehörigkeit vorgekommen, so dass selbst die dort aufgestellte Polizeitgewalt hat anerkennen müssen, sie sei dort ganz unnütz und wünsche sich eine andere nötige Verwendung. (…) Diese Ruhe und Ordnung hast selbst Andersgläubigen imponiert“.
Der zeitgenössische Priester, Theologe und Autor Zieliński beschreibt recht ausführlich und – trotz aller teils auch sehr scharfen Kritik – anerkennnd folgende gute Früchte: 1° Die Eintracht, Friedlichkeit und Frömmigkeit der versammelten Menge, die aus Menschen verschiedener Nationen, Polen und Deutschen, Armen und Reichen, Adeligen und und einfachen Bauern, sogar auch aus Nichtkatholiken bestand; 2° Die Bewunderung selbst seitens der Andersgläubigen und staatlicher Behörden für die dort herrschende Frömmigkeit und den Gebetsgeist; 3° Die Verbreitung des Rosenkranzgebets, ausgehend von Dittrichswalde bis in andere Gebiete und Länder. Da diese guten Wirkungen bereits vier Jahre lang dauern, entsprechen sie dem von Papst Benedikt XIV. genannten Kriterium (der Dauerhaftigkeit).
Pfr. Weichsel berichtet zwar, von mehreren Wundern erfahren zu haben, von deren „Richtigkeit“ er „überzeugt“ war, bemerkt aber, für sie „nicht bürgen“ zu können, „weil hierüber keine Protokolle aufgenommen sind“. Ähnliches hielten die bischöflichen Kommissariene fest: „Wunderbare Vorgänge und Heilungen sind bis jetzt nicht konstatiert, wiewohl über einzelne derartige Heilungen referiert wurde. Einzelnes ergab sich bei näherer Nachforschung als übertrieben, bei anderen konnten die näheren Umstände nicht ermittelt werden, und so müssen die Erhebungen in dieser Beziehung vorbehalten bleiben“. Insgesamt „haben sich die Erscheinungen bis dahin durch keine offenbaren und unglaubbaren Wunder und Heilungen dokumentiert“. Dagegen wurden den Worten von Pfr. Weichsel aus dem Jahre 1883 zufolge stets mündlich und schriftlich zahlreiche und auffallende Heilungen und Gnadenerweise gemeldet, die auf die Fürbitte der Muttergottes von Dittrichswalde erbeten wurden, und die nach Möglichkeit protokollarisch festgehalten wurden.
Fast zur gleichen Zeit, vier Jahre nach den ersten Erscheinungen (1882), hält ein zeitgenössischer Theologe im Resümee seiner Analyse der Ereignisse sowie ihrer Botschaften und Früchte fest: „In Anbetracht all dessen, was zugunsten der Offenbarungen in Gietrzwałd als auch gegen sie spricht, ist es angebracht zuzugeben, dass es viel mehr Einwände gibt, die man zu Recht gegen sie erheben kann, als vorteilhafte Beweise für ihre Echtheit. Der einzige derartige Beweis scheint ihre gute Wirkung und die Beeinflussung der Verbreitung der Rosenkranzandacht zu sein. Ohne diesen Umstand wäre Gietrzwałd wohl längst vergessen. Jedoch hat sich im Laufe der Abhandlung herausgestellt, dass auch dieser Beweis noch zweifelhaft ist.“
3.2.4. Gesamtergebnis
Als das Ergebnis der Untersuchungen hielt die bischöfliche Kommission fest: „Aus allen Untersuchungen (…) haben wir die Überzeugung gewonnen, dass die Erscheinungen in Dittrichswalde einen realen Untergrund haben müssen“. Dieses Urteil beruht vor allem auf dem untersuchten Verhalten der zwei Mädchen Szafryńska und Samulowska. Zu ihnen heißt es, „dass bei dieser Einfalt und Einfachheit alles andere möglich wäre, nur nicht Schlauheit und List“. Allerdings wird „ein ähnliches“, obwohl wesentlich differenzierteres „Urteil“ über die Frauen Wieczorek und Bilitewska abgegeben. Zu diesen wird bemerkt, dass sie „mehr im Hintergrund geblieben“ und „weniger einer strengen Prüfung und Beobachtung unterworfen“ worden sind. Dabei „fordern die vielfachen, anerkannt falschen Visionen, welche sie gehabt haben, zu größerer Vorsicht auf. Das steht jedoch unserer Ansicht nach fest, dass auch bei ihnen ein wirkliches Schauen vorhanden ist. Dass sich bei allen vorgekommenen Erscheinungen auch dämonische Einflüsse geltend gemacht haben, ist wohl nicht zu leugnen.“ Die zwei Mädchen hatten ebenfalls falsche Visionen, nämlich die in der Wohnung von Frau Hennig, als sie zum Unterlassen der Teilnahme am gemeinsamen Rosenkranzgebet bei der Kirche und zum Ungehorsam gegenüber dem Pfarrer aufgefordert wurden. Als dämonisch sah die Kommission die Visionen von Wieczorek und Bilitewska an, durch welche die Personen „im Äußeren entstellt und ganz kraftlos wurden“ oder wo neben der Erscheinung Särge zu sehen waren. So zurückhaltend dieses Urteil ist, wird es im weiteren Verlauf sowohl bestätigt wie auch relativiert.
Ein Priester richtete an Bischof Krementz als „rechtmäßigen Nachfolger der Apostel“ am 7. September 1877 einen Brief mit der Frage, „ob an der sogenannten Erscheinung der Offenbarung der Gottesmutter in Dittrichswalde etwas Wahres ist?“ und fügte hinzu: „Ich meinerseits hielt es bisher für Schwindel“. Der Bischof erwiderte: „dass kirchlicherseits ein Urteil über die Vorgänge in Dittrichswalde bislang nicht gefällt worden ist, und dass es daher einem jeden überlassen bleibt, nach reiflicher Prüfung derselben sich ein Urteil zu bilden“.
Die persönliche und zugleich amtliche Einstellung des Bischofs zeigt sich deutlicher in seiner Antwort an eine Dame, die um eine Auskunft bat, wie die Darstellung der Erscheinung auszusehen habe. Bischof Krementz antwortete darauf, dass er keine Zustimmung für eine solche Darstellung geben könne, denn nach den Regeln der Kirche sei eine Darstellung erst dann erlaubt, wenn die Erscheinungen kirchlich approbiert sind; die Kirche pflege „große Sorgfalt und größte Strenge“ in bezug auf Ereignisse, die nach der Meinung der Gläubigen übernatürlichen Ursprungs seien; in bezug auf Dittrichswalde liege noch kein Urteil vor; es fehle noch „die höchste Bestätigung, durch die der übernatürliche Charakter bezeugt würde, nämlich durch ein von der Kirche anerkanntes Wunder“. Deshalb empfiehlt der Bischof der Dame die Gabe für ein anderes Werk zu verwenden, das nicht weniger zur Ehre Gottes und der Gottesmutter dienen würde, wie z. B. für die nötige Vergrößerung der Pfarrkirche in Dittrichswalde oder für die Errichtung einer Kapelle in dieser Kirche zur Ehre der Unbefleckten Empfängnis.
In seinem kanonischen Bericht an den Apostolischen Stuhl anlässlich des ad limina- Besuchs (relatio status dioecesis) im Jahre 1877 widmete Bischof Krementz viel Platz dem Phänomen in Dittrichswalde. Es bezeichnete dieses als „repetitas apparitiones B. Mariae Virg.“ und „speciale protectionis signum“ des allmächtigen Gottes; er habe noch kein endgültiges Urteil („judicium finale“) darüber erlassen, könne aber jedweden Betrug sicher ausschließen. Die Details der Berichterstattung lehnen sich an die amtlichen Akten der bischöflichen Kommission sowie die Schrift von Regens Hipler an.
Der letztere bemerkt zum Schluss seines ebenfalls bald nach den Ereignissen publizierten Berichtes: „Nach fünfmonatigen Erfahrungen kann man als sicher annehmen, dass gegenwärtig niemand sich finden würde, der den vier Seherinnen Betrug oder Lüge vorzuwerfen wagte oder dies beweisen wollte“. Sonst müsste man annehmen, dass nicht nur die Seherinnen und ihre Verwandte, sondern auch das ganze Dorf, die Pfarrgemeinde, der Pfarrer, der ganze Klerus und die Pilger an diesem Betrug beteiligt wären.
3.3. Offizielle Anerkennung
Die kirchliche Approbation erfolgte mit dem Dekret von Bischof Józef Drzazga vom 11. September 1977 anlässlich der Feierlichkeiten zum hundertjährigen Jahrestag der Ereignisse. Darin heißt es vor allem:
„Es ist eine historische, quellenmäßig bestätigte Tatsache, dass die ermländischen Mädchen, Barbara Samulowska und Justyna Szafryńska im Jahre 1877 ihre Visionen der Mutter Gottes und deren gehörte Worte bezeugten: «Ich bin die Seligste Jungfrau Maria, die unbefleckt Empfangene», «Ich wünsche, dass ihr täglich den Rosenkranz betet», «Seid nicht traurig, denn Ich werde immer bei euch sein». Die vom Bischof von Ermland zur Untersuchung der Offenbarungen in Gietrzwałd einberufene offizielle bischöfliche Kommission befand diese für authentisch. (…) Indem wir die Übereinstimmung der Inhalte der Offenbarungen von Gietrzwałd mit dem Glauben und der Moral, die Aufrichtigkeit der Personen, die sie empfangen haben, sowie die segensreiche Wirkung der Offenbarungen in Gietrzwałd im Laufe des ganzen Jahrhunderts in Betracht ziehen, (…) bestätigen wir den Kult der Erscheinungen der Muttergottes in Gietrzwałd als solchen, der sich dem Glauben sowie der christlichen Moral nicht widersetzt und sich auf glaubwürdige Tatsachen stützt, deren übernatürlicher und göttlicher Charakter sich nicht ausschließen lässt.“
In dem Dekret sind folgende Elemente zu erkennen:
1° Der Bischof anerkennt die Visionen als solche, in denen sich die Muttergottes zeigte;
2° Auf diese Identität der erschienenen Gestalt schließt er aus den Worten, die von den zwei Mädchen bezeugt wurden;
3° Alleine die zwei Mädchen werden als glaubwürdige Zeugen bestätigt;
4° Alleine die drei zitierten Sätze der Erscheinung werden als authentisch anerkannt, über die vielen anderen Äußerungen der Erscheinung wird nichts gesagt;
5° Der Bischof stützt sich auf die Stellungnahme der bischöflichen Kommission von 1877 und interpretiert sie als Anerkennung der Authentizität, d. h. des übernatürlichen Charakters der Ereignisse;
6° Am umfangreichsten bezieht sich der Bischof auf die Wirkungen der Erscheinungen. Zu diesen zählt erstens die Tatsache, dass die genannten Seherinnen in den Orden der Barmherzigen Schwestern eingetreten sind; es wird der weitere Lebensweg lediglich der Seherin Samulowska, die im Ordensstand verblieb und verstarb, erwähnt; der Weg von Szafryńska, die chronologisch die erste Seherin war, wird nicht erwähnt. Als weitere gute Wirkungen werden der Anstieg der Pilgerzahl, die Ausbreitung des Rosenkranzgebetes und die Besserung der Sitten genannt. Es wird erwähnt, dass „viele Pilger in ihren Gebeten erhört wurden“; es handelt sich also um einfache Gebetserhörungen und keine Wunder im eigentlichen Sinne. Als eine weitere gute Wirkung nennt der Bischof die Tatsache, dass der Kapuziner Honorat Koźmiński unter Einfluss der Erscheinungen im Jahre 1878 eine Ordensgemeinschaft gründete, die „sich großartig entfaltete und mit ihrer Tätigkeit ganz Polen umfasste“.
7° Als ein weiteres Argument für seine Entscheidung führt der Bischof die Tatsachen an, dass der Apostolische Stuhl die Krönung des Gnadenbildes gestattete, liturgische Texte (für Messliturgie und Offizium) und das Einfügen des Festes der Muttergottes von Gietrzwałd in den Diözesankalender bestätigte sowie das Heiligtum mit dem Titel der basilica minor auszeichnete. Somit wird ein Zusammenhang zwischen den Erscheinungen und den Privilegien für das Heiligtum, das an sich bereits viel früher und unabhängig von den Erscheinungen berühmt geworden war, hergestellt.
8° Wohl um der theologischen Korrektheit willen und zur Belehrung der Gläubigen wird der theologische Status der Privatoffenbarungen generell erwähnt:
(1) die Offenbarung ist mit dem Tode des letzten Apostels abgeschlossen und enthält alles, was heilsnotwendig ist;
(2) Privatoffenbarungen sind möglich;
(3) diese fügen dem Depositum der Offenbarung nichts Neues hinzu;
(4) die Kirche verpflichtet niemanden, an Privatoffenbarungen zu glauben, sondern deklariert lediglich, dass sie gegebenfalls ohne Gefahr für das religiöse Leben angenommen werden können.
Insgesamt sind das starke Argumente und somit eine solide Grundlegung für die erlassene Approbation. Sie beziehen sich allerdings nicht auf die komplexe Gesamtheit der Ereignisse: zuvor amtlich festgehaltene Momente des offensichtlich satanischen Einwirkens und des nachgewiesenen Betrugs werden nicht erwähnt. Somit besagt das Dokument, dass in den betreffenden Phänomenen von 1877 Gott am Werk war, und zwar auf eine sicher erkannte Art in den zitierten Geschehen und Worten. Es wird also kein Urteil gefällt über alle Ereignisse in einem bestimmten Zeitraum und auch nicht über alle Zeugnisse, die von den für glaubwürdig befundenen Seherinnen stammen; ihre Glaubwürdigkeit wird lediglich darauf bezogen, dass keine Anhaltspunkte gegeben sind, sie eines Betrugs oder einer Lüge zu verdächtigen.
4. Fundamentaltheologische Erkenntnisse: Zusammenfassung und Ausblick
Kirchliche Normen und Prinzipien im Umgang mit den Phänomenen der Prophetie bzw. speziell der Privatoffenbarungen beruhen zum einen auf den fundamentalen Glaubenswahrheiten und zum anderen auf der jahrhundertelangen Erfahrung, die in der Hl. Schrift, den Schriften der Kirchenväter und der Theologen, sowie in lehramtlichen Dokumenten (theoretischer als auch mehr praktisch-juristischer Art) bezeugt ist. Da jeder einzelne Fall zum Teil immer einzigartig ist, entsteht die oft schwierige Aufgabe und besondere Herausforderung, bei der Anwendung der allgemeinen, bisher angewandten Prinzipien auf eine neue Erfahrung dieser letzteren gerecht zu werden. Dieses Vorgehen ist kein bloß administrativer, juridischer Akt, sondern berührt die Mitte der Theologie und den Kern unseres Glaubens: Gott ist immer der gleiche, aber sein Reichtum, die Fülle seines Lebens und Wirkens ist unerschöpflich und übersteigt unendlich alles kontingente Geschehen, auch wenn sie sich darin zeigt. Diese fundamentale Wahrheit des christlichen Gottesbegriffes gilt es stets im Auge zu behalten, indem man das Wirken Gottes in der Welt behandelt, speziell im Zusammenhang der sog. Privatoffenbarungen.
Die Problematik ist ebenfalls erkenntnistheoretischer Art im Sinne der theologischen Erkenntnislehre: Wie verhält sich das einmalig, endgültig und unwiderruflich gegebene Depositum der Offenbarung zum Leben der Kirche? Welche Relevanz hat das letztere für das erstere, d. h. die geschichtliche Erfahrung der Kirche für das stets gültige Glaubensgut? Warum gibt es etwa die Privatoffenbarungen, wenn der Heilsweg in der öffentlichen Offenbarung bereits vollständig enthalten ist und erkannt werden kann? Sind die sog. Privatoffenbarungen wirklich „privat“, wenn sie – wie mehrfach gegeben (Fronleichnam, Herz-Jesu-Verehrung, mehrere Ordensgründungen, das liturgische Fest der Erscheinungen in Lourdes) – zum offiziell liturgischen Allgemeingut der Kirche geworden sind? Wie verhalten sich die Privatoffenbarungen zu den Erkenntnissen, die zwar ohne einen spektakulären Rahmen außergewöhlicher Geschehen, aber offensichtlich kraft des übernatürlichen Glaubens (in Verbindung mit der Tätigkeit der vom übernatürlichen Glauben erleuchteten Vernunft) gewonnen werden? Diese allgemeine Fragen finden zwar keine direkte Antwort in den soeben besprochenen Ereignissen von Dittrichswalde/ Gietrzwałd, es kann jedoch versucht werden, einige betreffende Erkenntnisse zu gewinnen.
1° Die Erscheinungen knüpften genau an das gewöhnliche Leben der Kirche an (der Ort war seit langem durch Marienverehrung und das Gnadenbild bekannt; das Mädchen Szafryńska kam gerade vom Examen vor der Erstkommunion; die Erscheinungen wünschte, dass der Rosenkranz gebetet werde; sie forderte zu Umkehr und Besserung der Sitten auf). Sie brachten keine neuen Inhalte und auch keine neue Andachtsform, sondern riefen in Erinnerung und bestärkten bereits bekannte Wahrheiten und Formen.
2° Beinahe von Anfang an machte sich zugleich das Wirken des bösen Geistes bemerkbar, und zwar in einer solchen äußeren Ähnlichkeit, dass sie von den Seherinnen für echt gehalten werden konnte. Die Unterscheidung erforderte also eine besondere Sorgfalt und konnte nur auf der Grundlage weiterer Kriterien geleistet werden. Wo Gott auf eine besondere Weise am Werk ist, dort wirkt auch der böse Geist besonders ausgefallen – diese Dramatik darf (bei aller glaubensmäßig-theologischen Gewissheit über die Disproportion zwischen der Allmacht Gottes und der begrenzten, kreatürlichen Macht Satans) nicht vergessen werden.
3° Das Vorgehen der kirchlichen Amtsträger war weitgehend vom Prinzip der Kontinuität geleitet. Dazu ist auch das Verhalten des Ortspfarrers Weichsel zu zählen, das bisweilen zu leichtfertig positiv war, obwohl letztlich der bischöflichen Obrigkeit gegenüber folgsam. Bischof Krementz wandte in seinen mehrfachen Untersuchungen allgemeine kirchliche Prinzipien an und ließ sich allem Anschein nach von außertheologischen Faktoren, etwa den politischen Rücksichten, nicht leiten; sein umsichtiges, zurückhaltendes und zugleich offenes und freundliches, wenn auch klares und entschiedenes Vorgehen kann man durchaus als vorbildlich bezeichnen. Eine Ausnahme stellt allerdings die Tatsache dar, dass der Bischof sehr bald nach den Ereignissen (nach den Erscheinungen an die zwei Mädchen und während weitere – wie später offensichtlich wurde unechte – Erscheinungen an weitere Personen noch dauerten) eine Veröffentlichung der Ergebnisse der Untersuchungen in Auftrag gab und mit seinem Imprimatur ausstattete. Hierzu ist auf die von Kard. Ratzinger herausgestellte Bedeutung einer kirchlichen Approbation hinzuweisen: Erst diese berechtigt zur Veröffentlichung und Verbreitung der betreffenden Botschaften. Der Bischof betonte dabei, dass damit kein offizielles kirchliches Urteil gefällt werde und dass es sich lediglich um ein Mittel dazu handele, damit jeder selbst sich ein Urteil bilden könne. Dies kann nur Folgendes bedeuten: Entweder hielt sich der Bischof mit der Ausübung seiner Autorität zurück und gab sie sozusagen an das gläubige Volk weiter, oder er gab faktisch indirekt – wohl aus politischen Gründen verdeckt unter der Schrift eines anderen Autors – seine informelle Approbation. Daran konnten Jahrzehnte später seine Nachfolger anknüpfen: Einzelne Akte, die letztlich vom Apostolischen Stuhl authorisiert wurden (Krönung des Gnadenbildes, Approbation der liturgischen Feiern, Auszeichnung der Pfarrkirche), stellten unmittelbar eine Bestärkung der gewöhnlichen Lebens der Pfarrgemeinde und der Kirche dar, letztlich aber waren sie offensichtlich als ein Vorspann bzw. eine Vorbereitung der offiziellen, formellen Approbation der Erscheinungen anzusehen.
4° Diskontinuität besteht dagegen in einem anderen Punkt. Bischof Krementz brachte mehrfach zum Ausdruck, dass er eine Bestätigung der Übernatürlichkeit der Erscheinungen, nämlich durch Wunder, für erforderlich hielt. Ein Wunder im eigentlichen Sinne, d. h. eine kirchlich als übernatürlich anerkannte Heilung, gab es in Gietrzwałd nicht. Das Dekret von Bischof Drzazga spricht lediglich von Gebetserhörungen, die eine andere Kategorie darstellen. Während es für die erste Zeit der Erscheinungen nachvollziehbar sein könnte, dass keine genauen Protokolle über wunderbare Heilungen geführt wurden, was damals als das Hindernis für deren kirchliche Prüfung und Anerkennung galt, ist anzunehmen, dass in der neueren Zeit solch eine Heilung bestimmt aufgegriffen worden wäre. Da es nicht der Fall ist, muss man anzunehmen, dass es solche Fälle nicht gab, bzw. dass jene, die es gab, für eine eingehendere fachliche (medizinisch-theologische) Untersuchung nicht qualifiziert werden konnten. Offensichtlich hielt Bischof Drzazga – mit der erwähnten Authorisierung von Rom aus – es für nicht erforderlich, eine derartige Bestätigung der Übernatürlichkeit der Ereignisse abzuwarten.
5° Das prophetische Element im engeren Sinne, d. h. die Vorhersage der Zukunft, stellt ein politisch heikles Problem dar. In der neueren Zeit wird es eigentlich nur in der polnischsprachigen Literatur zur Sprache gebracht bzw. eher dezent angedeutet. Bekanntlich sprach die Erscheinung in Dittrichswalde auf Polnisch. Die von den Seherinnen berichteten Szenen und Bilder erinnern an die Darstellung der Gottesmutter auf dem Gnadenbild in der Pfarrkirche, das seinerseits weitgehend dem Gnadenbild von Częstochowa ähnelt und machmal für dessen Kopie gehalten wurde: Es handelt sich um die thronende Muttergottes, manchmal mit dem Jesuskind auf dem Arm, mit dem Segensgestus der rechten Hand, umgeben von den Engeln, die sich verneigen bzw. die Krone halten. Darf man diese bildlichen Verknüpfungen für eine Ankündigung der späteren Geschichte dieses Gebietes halten? Diese Frage kann man für nebensächlich halten. Wichtiger, sozusagen prophetischer scheint die Tatsache zu sein, dass sowohl der Ortspfarrer Weichsel als auch der Ortsbischof Krementz, die beide Deutsche waren, in ihrer Haltung und Handlungsweise sich von den politischen Motiven und Vorurteilen nicht bestimmen ließen, und dies trotz der weit überwiegenden – sowohl sachlich wie auch persönlich motivierten – negativen Einstellung des Klerus in der Diözese.
Abschließend ist vor allem zu betonen, dass die nun thematisierten Erscheinungen für die theologische Reflexion einen überaus komplexen und schwierigen casus darstellen. Zu der offiziellen Anerkennung scheinen hauptsächlich zwei Beweggründe – trotz gegenteiliger Argumente – geführt zu haben:
1° die Zielsetzung der Botschaft, d. h. der theologisch einwandfreie Inhalt sowie der Aufruf zu Gebet und Umkehr;
2° die Tatsache, dass seitens der kirchlichen Autorität (der Ortsbischöfe) niemals ein negatives Urteil – bezüglich der Inhalte, der Personen sowie der Wirkungen – gefällt wurde.
Ob einzig diese Kriterien für eine kirchliche Anerkennung aller Fälle von derartigen Phänomenen ausreichen, bleibt eine theologisch und juristisch noch offene Frage. Eine fundierte und eventuell immer wieder präzisierte bzw. vervollständigte Kriteriologie wird sich jedenfalls des faktographischen Materials bezüglich der bereits kirchlich anerkannten Geschehnisse und seiner interdisziplinären – vor allem psychosomatischen, medizinischen, parapsychologischen und theologischen – Auswertung zu bedienen haben.
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