0. Einleitung
In der Forschung wird allgemein anerkannt, daß keiner der katholischen Theologen der Reformationszeit in so einer imposanten Synthese die Argumente der Kirche gegen die Reformatoren gesammelt hat wie Robert BELLARMIN. Der Erfolg und die Qualität seiner theologischen Arbeit zeigt sich schon darin, daß seine Schriften von den Theologen und Bischöfen in allen katholischen Ländern publiziert und verbreitet wurden.
1. Zum Lebenslauf und der Tätigkeit
Geboren 1542 in Montepulciano, trat Roberto Francesco Romolo BELLARMIN 1560 in den Jesuitenorden ein, studierte Philosophie in Rom (1560-1563), Florenz (1563-1564) und Mandovi (1564-1567), Theologie in Padua (1567-1569) und Löwen (seit 1569). 1570 wurde er dort zum Priester geweiht und unterrichtete anschließend seine Mitbrüder, indem er ihnen als erster Theologe in Löwen die Summa Theologiae des THOMAS v. A. kommentierte. Seine späteren Schriften (De scriptoribus ecclesiasticis, 1613) bezeugen, daß er auch die Hl. Schrift, die Väter, die Scholastik, die Dokumente der Kirche und protestantische Schriften studierte. 1576 wurde er nach Rom berufen, um den Lehrstuhl für Kontroverstheologie am Collegium Romanum zu übernehmen. Dort führte er bis 1588 seinen theologischen Kurs, der ihm am meisten zum Ruhm gereichte. Zugleich verfaßte er zahlreiche Bücher vor allem gegen verschiedene Gegner des Apostolischen Stuhles und des Papstes. 1586 begann die Publikation seines größtes Werkes De controversiis Christianae fidei adversus sui temporis Haereticos, an dem er bis zum Tod arbeitete. Die ersten drei Bände erschienen in Ingolstadt (1586, 1588, 1593). Die erste vollständige Edition, durchgesehen vom Autor, erschien in 4 Bänden 1596 in Venedig. Dieses Werk verursachte von Anfang an heftige Polemiken. Der Verkauf des ersten Bandes, das sich mit dem Papstum und der Kirche beschäftigte, war in Frankreich lange Jahre verboten. Im Jahre 1587 wurde er vom Papst GREGOR XIII zum Mitglied der Kongregation ernannt, die sich mit der Revision der Vulgata beschäftigte. 1590 wurde er vom Papst SIXTUS V mit einer sehr schwierigen Mission betraut, nämlich als Theologe den Kardinal Henri CAJETAN in den Vermittlungen zwischen der Kriegsparteien in Frankreich zu begleiten. Nach Rückkehr aus Frankreich wurde er Rektor des Collegium Romanum. Als Mitglied der Kommission arbeitete er an der endgültigen ratio studiorum der Jesuiten, die im Jahre 1599 verabschiedet wurde. Im selben Jahre wurde er vom Papst KLEMENS VIII zum Kardinal ernannt. Er scheute aber nicht, dem Papst auch Vorschläge zu Reformen gegen Mißbräuche in der Kirche zu unterbreiten. In dieser Periode verfaßte er Schriften über den Heiligenkult (1596), dann auf Wunsch des Papstes zwei Katechismen (Dottrina cristiana breve, 1597; Dichiarazione più copiosa della dottrina cristiana, 1598), Traktate über den Ablaß und das Heilige Jahr (1599). Seit 1588 (Kontroverse De auxiliis) setzte er sich mit den Anschauungen seines Mitbruders MOLLINA auseinander. Seit seiner Kardinalsernennung wurde er Assessor des Kardinals MADRUZZI, des Vorsitzenden der Kongregation De auxiliis. Als der Erzbischofsstuhl in Capua vakant wurde, ernannte ihn Papst KLEMENS VIII zum dortigen Oberhirten und spendete ihm persönlich die Bischofsweihe (1602). Bald verfaßte der neue Erzbischof eine Darlegung des Glaubensbekenntnisses für die Priester (Dicchiarazione del Simbolo, 1604). In dieser Periode dürfte das Hieraticon Doron (als Antwort auf Basilicon Doron von JAKOB von England) entstanden sein. Nach dem Tod von KLEMENS VIII kam er nach Rom zum Konklave, übernahm gleich Aufgaben vor allem in der Kongregation De auxiliis und blieb dort bis zu seinem Tod. In dieser Zeit engagierte er sich in wichtigen Kontroversen: seit 1605 im Streit zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Venedig (in Sachen der kirchlichen Immunität); seit 1607 in der Auseinandersetzung um die weltliche Macht der Päpste (ausgelöst durch JAKOB I von England); seit 1610 im Zusammenhang mit der anonymen in London erschienen Schrift De potestate Papae, ebenfalls zur Frage der Macht der Päpste über weltliche Herrscher. Das Traktat De potestate Summi Ponitificis in rebus temporalibus. Adversus Berlaium wurde 1610 in Rom publiziert und im selben Jahr vom Pariser Parlament verboten. Inzwischen publizierte er 1607 eine Recognitio der eigenen bisherigen Werke, darunter auch einige Autokorrekturen zu Fragen der päpstlichen Autorität, der Gnade und Rechtfertigung. 1611 erschien sein Kommentar zu den Psalmen (Explanatio in psalmos). 1616 verfaßte er eine Ermahnung an seinen Neffen, der Bischof von Teano geworden war, über die Pflichten eines Bischofs. In den Jahren 1615-1620 publizierte er mehrere, sehr wertvolle aszetische Schriften (De septem verbis Christi in cruce prolatis, 1618; De arte bene moriendi, 1620). 1615 und 1616 nahm er als Mitglied des Heiligen Offiziums am ersten Prozess gegen GALILEI teil. 1617 äußerte er in einem Votum für das Hl. Offizium seine Ansicht, daß die Definition der Doktrin von der Unbefleckten Empfängnis „fromm und heilige“ sei. 1619 verfaßte er auf Bitten der polnischen Jesuiten ein Traktat über die Pflichten eines christlichen Prinzen (De officio principis christiani). 1621 unterbreitete er dem Papst GREGOR XV Vorschläge zur Modifikation der Papstwahl, um bekannten Mißbräuchen vorzubeugen. Er starb am 17. September 1621 in Rom.
Er sammelte das Material aus der 60 Jahre lang dauernden Polemik, eliminierte diejenigen Stellungnahmen, die auf unangemessene Weise die Häresie bekämpften, und baute aus solidesten Argumenten das Monument katholischen Doktrin. Zwar haben auch andere Theologen - wie ECK, CAJETHAN, CATHRIN, COCHLAEUS, FABER - versucht, eine Synthese der katholischen Antwort zu schaffen. Darunter waren mehrere Katechismen, wie diejenigen von Petrus CANISIUS. Diese Bücher resümierten die katholische Doktrin oder waren leidenschaftliche Polemiken. Es bestand aber ein Bedarf nach einem großen Werk, das aufgrund von Thesen der Gegner auf objektive und klare Weise das katholische Dogma und seine Argumentation präsentieren würde, das also das gesamte „Arsenal“ in geordneter Weise einsetzen würde. Diese Aufgabe fiel Robert Bellarmin zu. Dies ist ihm auch gelungen, denn selbst die Gegner gaben zu, durch seine Kontroversen ihrer meisten Waffen beraubt zu werden. Sein Katechismus wurde in alle Sprachen übersetzt. Die Königin ELISABETH von England gründete in Oxford und Cambridge eigene Lehrstühle zur Abwehr von De controversis. Die Zahl der Antworten auf dieses Werk erreichte Hunderte. Sein Seligsprechungsprozeß begann bereits 1627, stieß lange Zeit auf Widerstand vor allem seitens der weltlichen Herrscher. Die Seligsprechung erfolgte schließlich 1923, die Heiligsprechung 1930, ein Jahr später die Erhebung zum Kirchenlehrer.
Bellarmin war ein Polemist, d. h. widmete sich vor allem den Kontroversfragen. Viele wichtige Themen der Theologie blieben bei ihm unberücksichtigt oder werden nur kurz besprochen. Seine Behandlung solcher Themen wie Gotteslehre, Trinitätslehre, Menschwerdung fand aber Anerkennung auch bei seinen Gegnern. Dem Umfang nach beschäftigte er sich am meisten den Themen wie loci theologici, Kirche und Papst; auch Fragen der Gnade und Rechtfertigung werden ausführlich behandelt.
2. Zu den Quellen
Von den edierten Werken des Theologen sind für unser Thema vor allem entsprechende Traktate des Hauptwerkes De controversiis von Bedeutung, und zwar die III, IV und V Controversiae generales, in: Opera, t. I, ab 449, t. II ganz und t. III, bis 48.
Außerdem sind folgende Schriften zu nennen:
Vindiciae pro tractatu de Romano Pontifice, in: Opera, t. VII, 251-349.
Vindiciae pro tractatu de conciliis et Ecclesia, in: Opera, t. VII, 351-378.
Vindiciae pro tractatu de Ecclesia militante toto orbe terrarum diffusa, in: Opera, t. VII, 379-390.
Vindiciae pro tractatu de notis Ecclesia, in: Opera, t. VII, 391-408.
Vindiciae pro tractatu de clericis, in: Opera, t. VII, 409-442.
Vindiciae pro tractatu de monachis, in: Opera, t. VII, 443-464.
Vindiciae pro tractatu de laicis sive saecularibus, in: Opera, t. VII, 465.
Vindiciae pro tractatu der rebus, quibus superna Hierusalem ab Ecclesia in terris peregrinante colitur, in: Opera, t. VII, 511-518.
De officio principis christiani, in: Opera, t. VIII, 87-235.
Conciones argumenta continentes, ad hominem Catholicum in sua fide confirmandum, et haereticum a perfidia sua convertendum, in: Opera, t. IX , 513-583.
De potestate Summi Pontificis in temporalibus, in: Opera, t. XII, 1-113.
Apologia pro responsione sua ad librum Jacobi Magnae Britanniae regis, in: Opera, t. XII, 115-203.
3. Zum Standort der Ekklesiologie
In der Praefatio zu De controversiis aus dem Jahre 1576 schreibt BELLARMIN, daß der Feind des Menschengeschlechts „non sine quodam ordine Catholicae Ecclesiae veritatem oppugnare voluit“. Diese „gewisse Ordnung“ sieht er darin, daß in den ersten zwei Jahrhunderten nach Christus der Kampf gegen den ersten Artikel des Apostolischen Symbolum („esse unum Deum, Patrem omnipotentem, creatorem caeli et terrae“) geführt wurde; nach dem Jahre 300 ging es um die Person und Natur Christi, und dann, als der Teufel gesehen hat, daß er die Pforten der Hölle die Kirche auf diese Weise nicht überwältigen können, begann er verstärkt auch gegen die übrigen Artikel anzukämpfen; dazu erwähnt der Theologe u. a. THEODOR v. Mopsvestia, EUTYCHES und auch die Griechen, die das Hervorgehen des Hl. Geistes vom Sohn leugneten, da dieser Irrtum „fundamentum“ des Schisma sei, das um das Jahr 860 ansetzte (zur Zeit des Pontifikats NIKOLAUS‘ I). Schließlich sagt er: Als der Teufel bemerkte, daß er in den Glaubensartikel, die die göttlichen Personen betreffen, wenig erreichen könne, wandte er sich gegen jene „qui ad Ecclesiam, et Sacramenta pertinent“; denn ab dem Jahre 1000 bis jetzt traten mehrere Häretiker - nämlich Berengarier, Petrobrusianer, Waldenser, Albigenser, Wiclefister, Hussiten, Lutheraner, Zwinglianer, Confessionisten und Anabaptisen - gegen die zwei Artikel auf: „Credo... sanctam Ecclesiam Catholicam, Sanctorum communionem, Remissionem Peccatorum“. Damit begründet er den Aufbau seines Werkes: Da die „haereses hujus temporis“ gegen den neunten und zehnten Artikel des Glaubensbekenntnisses verstoßen, will er gleich mit der Kirche beginnen und zwar zuerst über Christus, dem Haupt der Kirche („Princeps Ecclesiae universae“), dann von dem Teil der Kirche, der auf Erden ist, samt ihrem „sichbaren Haupt“ und dann mit all ihren Gliedern, anschließend auch von dem Teil, der im Fegefeuer leidet, und schließlich vom dem im Himmel triumphierenden; im Sinne der „Sanctorum communio“ will er über die Sakramente sprechen. All diesen Ausführungen möchte er aber die Kontroverse „der verbo Dei“ als „proemium“ vorausschicken, da auch die Häretiker zustimmen, daß das Wort Gottes „esse regulam fidei“.
Somit ist der Aufbau des Hauptwerkes De controversiis systematisch begründet und verdient deshalb Beachtung. Laut dem einleitenden Index des Verfassers besteht es aus fünfzehn Controversiae generales, d. h. einzelnen Traktaten. In der Ausführung erscheinen allerdings vierzehn Controversiae generales ( I.-X. sowie XII. und XVII.) und außerdem einfache thematisch gruppierte controversiae (XI., XIII.-XVI., XVIII-), die aus einzelnen Fragen (eingeteilt in libri, die in capita untergeteilt werden) bestehen:
I. De Verbo Dei (von der Hl. Schrift);
II. De Christo (trinitarische und inkarnatorische Christologie);
III. De Summo Pontifice (über den Primat Petri, der Päpste und zusammenhängende Frage);
IV. De Conciliis (über die Natur und die Autorität der Konzilien, und auch von der Natur und den Eigenschaften der Kirche, und schließlich über die Merkmale der wahren Kirche);
V. De membris Ecclesiae (über die Kleriker, die Mönche und die Laien);
VI. De Ecclesia patienti (vom Fegefeuer);
VII. De Ecclesia triumphante (über die Heiligen, ihre Verehrung und Verehrung der Reliquien und der Bilder, schließlich über den kirchlichen Kult);
VIII. De sacramentis in genere (über die Sakramente allgemein);
IX. De Baptismo et Confirmatione (zu den genannten Sakramenten);
X. De membris Ecclesiae (libri über die Eucharistie und die Messe);
(ohne Nummer) De poenitentia (über Bußsakrament, Reue, Beichte und Genugtuung);
XII. De extrema unctione (über die letzte Salbung);
(ohne Nummer) De sacramento ordinis (über das Weihesakrament);
(ohne Nummer) De sacramento matrimonii (über das Ehesakrament);
(ohne Nummer) De gratia primi hominis;
(ohne Nummer) De amissione gratiae;
(Controversia generalis, ohne Nummer) De reparatione gratiae;
(ohne Nummer) De gratia et libero arbitrio;
XIV. De gratia et libero arbitrio (t. VI ab liber IV.)
Aus der Konvention ergibt sich, daß diese Schriften an die Katholiken gerichtet sind: Das Hauptziel ist Widerlegung der Argumente der Gegner, es sind aber auch inhaltliche und systematische Erklärungen enthalten, die eher lehrhaften Charakter haben; außerdem beruft sich BELLARMIN auf Autoritäten der Päpste und Konzilien oder auch des hl. THOMAS v. A., woran sich zeigt, daß er sich nicht primär an die Protestanten richtet. Ausführlich bespricht er aber grundsätzlich nur die Themen, die er als kontrovers kennt.
4. Ekklesiologische Bereiche
Da die Behandlung der ekklesiologischen Themen bei BELLARMIN bereits systematisch aufgebaut ist, empfiehlt es sich, in der Darlegung grundsätzlich diesem Aufbau zu folgen.
4.1. Vom Papstum
In seiner einleitenden Vorlesung am Collegium Romanum aus dem Jahre 1577 bemerkt BELLARMIN, daß die Autorität des Papstes das einzige katholische Dogma ist, gegen das sich alle Häretiker und Schismatiker aller Zeiten und aller Länder wendeten. Juden, Heiden, Griechen, Kaiser und auch christliche Könige versuchten sie zu zerstören. Auch Unwürdigkeit einzelner Päpste spielte dabei nicht unerhebliche Rolle. Dennoch ist der Stuhl Petri der Eckstein und „der Schatz aller Güter“, von dem aus das Evangelium und das Leben der Kirche auf die ganze Welt ausströmt. Von dieser Perspektive aus wundert also nicht, daß BELLARMIN das Traktat De Summo Pontifice (die dritte Controversia generalis) als das Kernstück seiner Ekklesiologie versteht.
Das Traktat wird ausdrücklich in zwei Teile aufgeteilt, wobei jeder der Teile je sechs quaestiones umfaßt:
I. Von der Verfassung des Papstums d. h. von der Kirche als Monarchie („de instutitione Ecclesiastiae Monarchiae“):
1. Monarchie als das beste Regierungssystem;
2. Die Regierung der Kirche soll monarchisch sein;
3. Der Hl. Petrus war der erste geistliche Monarch der Kirche;
4. Der Hl. Petrus kam nach Rom und setzte dort für immer den päpstlichen Stuhl ein;
5. Der Bischof von Rom ist Nachfolger des Hl. Petrus nicht nur als Bischof von Rom, sondern auch als Oberhaupt der ganzen Kirche;
6. Der Bischof von Rom ist in keiner Weise aus dem Stellvertreter Christi zum Antichrist geworden.
II. Vom Amt und der Vollmacht der Papstes („de officio et potestate“):
1. Es ist die Sache des Papstes in Sachen des Glaubens und der Sitten zu entscheiden;
2. Er kann in diesem Urteil nicht irren;
3. Der Papst kann Gesetze erlassen, die im Gewissen wahrhaft verbindlich sind;
4. Die kirchliche Jurisdiktion ist von Christus alleine dem Papst übergeben worden, so daß sie nur durch ihn an andere übergeht;
5. Außer der geistlichen Jurisdiktion hat der Papst als solcher eine zeitliche Vollmacht;
6. Der Papst kann auch ein zeitliches Herrschaftsgebiet besitzen.
Die hauptsächlichen Thesen werden von SERVIÉRE folgendermaßen zusammengefaßt:
1° Es ist der Wille Christi, daß die von Ihm gegründete Gesellschaft monarchisch unter der Regierung Petri sei;
2° Dieser Primat Petri ist auf die Nachfolger des Bischofs von Rom übergegangen;
3° Der Papst ist kein Antichrist, wie ihn Luther und Calvin bezeichnen;
4° Der Papst ist der höchste Richter in den Fragen des Glaubens und der Sitten und als solcher besitze er in bestimmten Fällen das Privileg der Unfehlbarkeit; er besitzt auch die Jurisdiktion über die ganze Kirche;
5° Seine geistliche Macht kann in bestimmten Fällen Konsequenzen für den weltlichen Bereich haben.
Diese Thesen waren nicht originell, sondern stützten sich auf bereits bestehende theologische Arbeiten, die sich sowohl auf die schismatischen Griechen als auch auf die Protestanten bezogen. Der Verdienst BELLARMINs bestand darin, das beste Material auszuwählen und synthetisch darzulegen. Wir folgen dieser Systematisierung, indem wir uns auf die Quellen stützen.
4.1.1. Die Kirche als Monarchie
Bezüglich der Verfassung der Kirche unterscheidet BELLARMIN zuerst die bekannten Gesellschaftsformen, nämlich drei einfache - Monarchie, Aristokratie und Demokratie - und vier gemischt/ die aus allen drei einfachen gemischte, die aus Monarchie und Aristokratie gemischte, die aus Monarchie und Demokratie gemischte und schließlich die aus Demokratie und Aristokratie gemischte. Er stellt die Frage, welchen von all den sieben die beste sei („ex septem formis gubernationis optima“). Hinsichtlich dieser Frage erwähnt er die diesbezügliche Meinung CALVINs, der die Aristokratie bzw. eine Mischung aus Aristokratie und Demokratie für die beste Gesellschaftsform hält. Dagegen schließt sich der Kardinal der Meinung des hl. THOMAS v. A. und anderer katholischen Theologen („nos B. Thomam aliosque Theologos Catholicos secuti“) an, die von den einfachen Formen die Monarchie vorziehen; wegen der Verderbnis der menschlichen Natur („propter naturae humanae corruptionem“) hält er allerdings die mit Aristokratie und Demokratie gemischte Monarchie für nützlicher („utiliorem“). Diese seine These entfaltet er anschließend näher sowohl positiv, d. h. unter Berufung auf Autoritäten - Hl. Schrift, kirchliche Theologen und auch heidnische Philosophen - als auch negativ, d. h. als Kritik an den Ansichten vor allem CALVINs.
Die zweite quaestio behandelt, ob die monarchische Regierungsform der Kirche eigen sei („conveniat“). Hierzu unterscheidet er drei Unterthemen, die sich auf Meinungen der Gegner - der Protestanten - beziehen:
1° Die Kirche muß eine Regierung („regimen“) haben;
2° Die Regierung der Kirche ist geistlich und von der politischen verschieden („spirituale et distinctum a politico“);
3° Der absolute und freie König („Regem absolutum et liberum“) der ganzen Kirche ist Christus alleine. Daraus folgt, daß es in der Kirche keine eigentliche Regierungsform - weder Monarchie, noch Aristokratie noch Demokratie - gibt, sondern daß diese Regierung nur eine der „Diener und Spender“ („ministrorum et dispensatorum“) sein kann.
In der Widerlegung der Gegner weist BELLARMIN zunächst darauf hin, daß sich diese (CALVIN, ILLYRICUS) in ihrer Auffassung bezüglich der eigentlichen Regierungsform nicht einig sind. Dagegen stimmen die „Doctores Catholici“ darin überein, „ut regimen Ecclesiasticum hominibus a Deo commissum, sit illud quidem Monarchicum, sed temperatum (...) ex Aristocratia et Democratia“. Diese These beweist er in vier Schritten:
1° Die Regierung der Kirche befindet sich nicht beim Volk („non esse penes populum“);
2° Sie befindet sich auch nicht bei weltlichen Fürsten;
3° Sie befindet sich auch nicht hauptsächlich bei kirchlichen Fürsten, d. h. den Bischöfen;
4° Sie befindet sich hauptsächlich („esse praecipue penes unum...“) beim einzigen höchsten Oberhaupt und Priester der ganzen Kirche, d. h. dem Papst.
Zu 1° nennt der Kardinal mehrere Argumente. Das erste Argument bezieht sich auf allgemeine Bedingungen des demokratischen Regierens („populare regimen“). Diese sind vier: (1) das Volk bestimmt die Autorität („magistratus“) über sich selbst, (2) es macht Berufungen von den Entscheidungen dieser Autorität an das eigene Urteil, (3) die Gesetze werden auch vom Volke beurteilt, (4) die Autorität kann vom Volk angeklagt und abgesetzt werden, sogar getötet werden. All das ziemt sich nicht für das christliche Volk („nihil horum conveniat Christianae plebi“). Vor allem heißt es in der Hl. Schrift nicht, daß dem Volk die Vollmacht gegeben sei, Bischöfe und Priester einzusetzen; dagegen lesen wir in Tt 1, daß diese Vollmacht dem Bischof gegeben sei; ebenso sind die Apostel von Christus, nicht von der Kirche eingesetzt worden (Mk 6), und diese haben die eigenen Nachfolger bestellt, wie auch die Kirchenväter bezeugen. Dasselbe gilt für die übrigen Elemente. Sonst sei es nicht glaubhaft, daß Christus in seiner Kirche die Regierungsform einsetzen würde, die am schlechtesten sei, denn so sei die Demokratie, wie nicht nur etwa PLATO und ARISTOTELES, sondern auch die Kirchenväter hinwiesen. Die Regierung in der Kirche komme nicht vom Volk, sei nicht vom natürlichen Recht („non de jure naturae vel gentium“), wie die bürgerliche Vollmacht („civilis potestas“), sondern sei von Gott dem Petrus übergeben worden. Die Einwände dagegen seine nicht stichhaltig: In Mt 18, wo vom Berichten an die Kirche die Rede ist, gehe es nicht um das Urteil des Volkes, sondern um die kirchliche Autorität; die Wahl des Matthias und der Diakone (Apg 1 und 6) bedeute nicht Übertragung der kirchlichen Vollmacht, sondern den Modus, die Erwählung herauszufinden.
Die These 2° bezieht sich auf zwei Irrtümer des BRENTIUS, die auch der König Heinrich VIII von Englang übernommen hat. Gegen diese sprechen die Worte aus Ps 44 („Pro patribus tuis nati sunt tibi filii, constitues eos Principes super omnem terram“) in der Auslegung der sowohl lateinischen wie griechischen Väter: die Apostel und die Bischöfe sind die „principes Ecclesiae“; die weltlichen Fürsten seien dagegen nur für den weltlichen Bereich zuständig. Dies ergebe sich aus zahlreichen Aussagen der Theologen und der Praxis der Kirche. Das weltliche Fürstentum sei von Menschen eingesetzt und somit eine Sache des Völkerrechtes („de iure gentium“); das kirchliche Fürstentum dagegen („principatus Ecclesiasticus“) sei von Gott selbst eingesetzt worden und des göttlichen Rechtes.
Die These 3° wendet sich gegen zwei Irrtümer CALVINs: daß Bischöfe und Priester vom göttlichen Recht gleich seien und daß die Versammlung der Vorsteher („coetus Seniorum“) die höchste kirchliche Vollmacht innehabe. Vor allem ist zu bemerken, daß diese Irrtümer einander widersprechen, denn entweder wird die Kirche alleine von Bischöfen als den „Optimaten“ regiert und somit sind die Priester ihnen nicht gleich, oder sie wird von Bischöfen zusammen mit Priestern regiert, aber diese könnten nicht gleich „Optimaten“ sein. Dagegen aber hat es nie allgemeine Konzilien gegeben, wo Priester die Vollmacht der Entscheidungen und somit die Funktion der Bischöfe innehätten („cum auctoritate definiendi“). So sei vor allem zu entgegnen: (1) Die Hl. Schrift sagt an keiner Stelle, daß das „Konzil der Priester“ die höchste Vollmacht verliehen wäre, sondern diese werde immer einzelnen übergeben. (2) Wenn die Regierung der Kirche den „Optimaten“ anvertraut wäre, dann wäre die Kirche praktisch ohne Regierung, außer dann, wenn die Optimaten versammelt seien; denn die Konzilien würden in der Kirche nur „rarissime“ einberufen. (3) Dies müßte auch bedeuten, daß ein Konzil desto größere Autorität hätte, je mehr Bischöfe in ihm versammelt seien; dagegen sprechen aber geschichtliche Beispiele: Ariminense versammelte 600 Bischöfe und trotzdem wurde ihm kein Rang eines allgemeinen Konzils zuerkannt; dagegen zählte das erste Konstantinopolitanum nur 150 Bischöfe und hatte stets die höchste Autorität. (4) Fast alle Häresiarchen waren Bischöfe und Priester. Dazu widerlegt BELLARMIN die Berufung auf drei biblische Stellen. In Apg 15 stand Petrus klarerweise der Versammlung vor. In Apg 20 und 1 P 5 gehe es um die Autorität der Apostel und nicht um die höchste Vollmacht in der Kirche. Ähnliches gilt für Zeugnisse der Väter.
Die These 4° („Quod regimen Ecclesiasticum praecipue Monarchicum esse debeat“) wird am ausführlichsten behandelt. Dazu führt der Theologe folgende Gründe an:
1° Nachdem die Aristokratie und die Demokratie als Regierungsformen der Kirche ausgeschlossen wurden (in den vorausgehenden Thesen), bleibt die Monarchie übrig. Monarchie sei „optimum ac praestantissimum regimen“ und Christus wollte gewiß, daß die Kirche „optime“ regiert werde. Gegen die Behauptung CALVINs gibt BELLARMIN zu, daß Christus zwar „unus ac proprius Ecclesiae Catholicae Rex et Monarcha“, der die Kirche „spiritualiter ac invisibiliter regat et moderetur“, ist; die Kirche, die „corporalis et visibilis“ ist, braucht aber auch einen sichtbaren höchsten Richter („summo Judice“), der alle Vollmachten vereint. Sonst müßte das Argument CALVINs auch alle Bischöfe und Amtsträger in der Kirche überflüssig machen.
2° Aus biblischen und patristischen Belegen geht hervor, daß eine Ähnlichkeit zwischen der „Ecclesia mortalium hominum“ et der „Ecclesia immortalium Angelorum“ besteht. In der zweiten gibt es einen „princeps omnium Angelorum“, den Hl. Michael, und so muß es auch in der ersteren einen „princeps“ geben.
3° Das Alte Testament ist „figura novi“, das Vorbild des Neuen Testaments. In ihm war immer „unus, qui omnibus praeerat in iis, quae ad Legem et religionem pertinebant“. So gab es seit Mose einen „princeps Sacerdotum, qui omnes Synagogas totius Mundi gubernaret“. Diese „perfectio“ kann im Neuen Bund nicht verlorengehen, sondern muß vollkommener sein.
4° Dasselbe ergibt sich aus den „similitudines“, mit denen die Hl. Schrift die Kirche beschreibt: „exercitus ordinatus“ (Cant. 6), der menschliche Leib „mulieri speciosae“ (Cant. 7), „regnum“ (Dan 2), „ovile“ (Jo 1), „Domus“ (1 Tim 33), das Schiff bzw. die Arche Noahs (1 P 3); dabei handelt es sich nicht um den Vergleich vom Christus als dem Haupt und von seinen Gliedern, sondern als den Bräutigam und die Braut gemäß Apk 21, 2 Kor 11, Eph 5.
5° Die Anfänge der Regierung der Kirche („primordia gubernationis Ecclesiae“): die von Christus versammelte Kirche hatte „regimen visibile et externum Monarchicum“, da der Herr selbst sie regierte.
6° Dementsprechend wurden in einzelnen Orten nur einzelne („in locis singulis singuli“) als Bischöfe eingesetzt; dies gilt auch für Metropoliten und Patriachen. Daraus ergibt sich, daß ebenso ein „Pontifex summus“ allen Patriarchen vorstehen soll („praeesse debet“), da die Kirche nur eine ist.
7° Der weitere Grund ist „ex propagatione Ecclesiae“: Die Kirche soll wachsen und das Evangelium in der ganzen Welt predigen. Dies ist aber nur möglich, wenn „unus summus Ecclesiae Praesul“ dafür Sorge trägt und die Verkünder aussendet (gemäß Rm 10). So geschah es mit der Bekehung der Germanen durch h. BONIFATIUS, der Franken durch den hl. KILIAN, der Engländer durch den hl. AUGUSTINUS usw. Auch in Spanien, Frankreich und Afrika wurden Kirchen gegründet durch jene, die von Petrus oder seine Nachfolger gesendet wurden.
8° Die Einheit des Glaubens („unitas Fidei“), von der in Eph 4 die Rede ist, kann nur dann bestehen, wenn alle dem einem obersten Richter („unus summus Judex“) zu folgen haben („cui imnes acquiescere teneantur“).
Die dritte quaestio des ersten Teiles des Traktates bezieht sich auf die Frage, ob der Apostel Petrus als „Ecclesiae totius Caput et Princeps loco Christi“ von Christus selbst einsegetzt worden ist. Die katholische Auffassung wird von allen Häretikern negiert und dies ist „non simplex error, sed perniciosa haeresis“. Der Beweis erfolgt „triplici ratione et via“:
1° Durch zwei biblische Stellen als Vorraussage und deren Erfüllung;
2° Durch zahlreiche Privilegien und Prärogativen („ex... privilegiis ac praerogativis“) des hl. Petrus;
3° Durch offensichtliche Zeugnisse („ex apertissimis... testimoniis“) des griechischen und lateinischen Väter.
Ad 1°
Es handelt sich um Mt 16 und J 21. Die Auslegung der Mattäusstelle (16) wird in einige Einzelfragen aufgeteilt. Vor allem geht es um zwei Metaphern in bezug auf den „totius Ecclesiae principatus“: „fundamentum ac aedificium“ und „claves“. Auf dem Hintergrund der Deutung seitens der Häretiker werden folgende Einzelfragen erörtert:
- ob Petrus der Fels ist, auf dem die Kirche erbaut ist,
- ob das Fundament den Verwalter („gubernatorem“) der ganzen Kirche meint,
- ob Petrus derjenige ist, dem die Schlüssel übergeben werden,
- ob unter den Schlüsseln die „potestas plena Ecclesiam gubernandi“ gemeint ist.
Die Johannesstelle (21) wird als Erfüllung der Vorraussage, d.h. die tatsächliche Übergabe der Vollmacht, gedeutet und zwar folgendermaßen:
- die Worte „pasce oves meas“ richten sich alleine an Petrus,
- mit dem Wort „pasce“ ist die „summa Ecclesiastica potestas“ übergeben worden,
- mit den „oves meas“ ist „universa Christi Ecclesia“ gemeint.
Ad 2°
Die festgestellte und bewiesene Übergabe des Primats wird nun dadurch bestätigt, daß dem Petrus mehrere Vorrechte („praerogativa“) eigen sind. Es handelt sich dabei um Widerlegung der Argumente vor allem der Reformatoren bezüglich angeblicher Verfehlungen des Apostels. Es werden folgende „praerogativa“ einzeln dargelegt:
1. „mutatio nominis“,
2. die Aufzählung an erster Stelle in den Evangelien,
3. das Wandeln auf dem Wasser (Mt 14),
4. die Offenbarung an Petrus über den Sohn Gottes (Mt 16),
5. die Verheißung der „stabilitas“ auch des Felsens selbst, auf dem die Kirche erbaut ist (Mt 16),
6. der Befehl Christi, für sich selbst und für Petrus Steuer zu bezahlen (Mt 17).
7. die Wunder beim Fischfang (Lk 5 und J 21),
8. der Auftrag, die Brüder im Glauben zu stärken (Lk 22),
9. die Erscheinung des Auferstandenen zuerst an Petrus (Lk 24),
10. die Fußwaschung zuerst an Petrus (J 13),
11. die Voraussage des Todes alleine für Petrus (21),
12. Petrus als „paterfamilias“ versammelt die Jünger zur Wahl des Nachfolgers des Judas (Apg 1),
13. Petrus als erster verkündet nach der Geistsendung das Evangelium (Apg 2),
14. das erste Wunder zur Bezeugung des Glaubens geschieht durch Petrus (Apg 3),
15. Petrus richtet und verdammt die Hypokrisie (Apg 5),
16. Petrus ging zu allen Gläubigen (Apg 9,32),
17. Petrus als erster beginnt den Heiden zu predigen, so wie er als erster den Juden predigte (Apg 10,13),
18. als Petrus im Gefängnis war, betete die Kirche für ihn (Apg 12,5),
19. Petrus sprach als erster im Konzil (Apg 15),
20. Paulus ging nach Jerusalem, um Petrus zu sehen (Gal 1,18).
Außer diesen biblisch überlieferten („ex divinis litteris“) Praerogativen zählt BELLARMIN weitere aus anderen Autoren auf. Als letzte werden geschichtliche Tatsachen angeführt:
26. Nur jene Kirchen wurden immer als „Patriarchales et primae“angesehen, die von Petrus gegründet wurden, nämlich Rom, Alexandrien und Antiochien, wie das 1. Konzil von Nicaea bezeugt;
27. Das Fest der Cathedra Petri als das Gedächtnis der episkopalen Einsetzung Petri ist einzigartig und hat keine Parallele in irgendeinem bischöflichen Stuhl;
28. In formellen Schreiben („in litteris formatis“) wurde seit ältester Zeit nach dem Namen der hl. Dreifaltigkeit immer der Name des „Princeps Apostolorum“ angefügt.
Ad 3°
Hierzu werden zahlreiche patristische Belege angeführt und anschließend wird festgehalten, daß nur hartnäckig sein kann, wer angesichts all der Zeugnisse vor dem „hellen Licht Wahrheit“ Augen verschließen würde.
Das Liber I endet mit Widerlegung der Argumente, die sich auf Vergleiche des Petrus mit den Aposteln Jakobus und Paulus, sowie auf angebliche fünfzehn Sünden Petri beziehen.
Das Liber II fängt mit der vierten quaestio an, nämlich daß Petrus in Rom war und dort als Bischof gestorben ist. Damit nähert sich der Theologe der Thematik, die die Sukzession des Primats Petri betrifft. Diese hängt davon ab, ob Petrus in Rom seinen Bischofssitz errichtet und dort bis zum Tode sein Episkopat ausgeübt hat. So wird die erste Teilfrage formuliert: Ob Petrus Bischof von Rom war und seinen Bischofssitz niemals anderswohin versetzt hat. Es handelt sich nämlich um Überzeugung, die bis zur Zeit der Reformation von niemandem angezweifelt wurde, was aber die Reformatoren (seit GULIELMUS, dem Lehrer von J. WICLIF) in Zweifel zogen. Auf dem Hintergrund dieser Ansichten faßt BELLARMIN das Problem in vier Fragen zusammen:
1° ob Petrus in Rom war,
2° ob er in Rom gestorben ist,
3° ob er Bischof von Rom war,
4° ob das Bischofsamt von Rom („Romanum Episcopatum“) irgendwann gewechselt hat, d.h. es handelt sich um die Kontinuität bzw. die Dauer der Apostolischen Sukzession in Rom. Der Theologe bemerkt, daß diese letzte Frage praktisch entscheidend ist und gerade als die einzige etwa von CALVIN ins Spiel gebracht wurde.
Ad 1°
Daß Petrus irgendwann in Rom war, beweist BELLARMIN vor allem aus den Worten in 1 P 5,13, indem er zeigt, daß „Babylon“ die Haupstadt meint; er geht auf einzelne Einwände der Gegner ein. Schließlich bemerkt er, daß diese Frage sich von selbst löst, indem man das Martyrium Petri in Rom annimmt, d.h. die zweite Frage beantwortet hat.
Ad 2°
Für den Tod Petri in Rom spricht vor allem sein Grab, dann das einmütige Zeugnis der Geschichte, speziell die Tatsache, daß seit frühester Zeit Pilgerfahrten „ad limina Apostolorum“ unternommen wurden; denn bis J. WICLIF niemand bestritt oder nur zweifelte diese Tatsache an. So gilt, daß Petrus in der Stadt Rom viele Jahre als Bischof verbrachte und dort starb, indem er mit dem Kopf nach unten gekreuzigt wurde. Dies bezeugen auch sowohl griechische wie auch lateinische Väter (Zitate werden angeführt).
Ad 3°
Daß Petrus Bischof von Rom war und zwar bis zu seinem Tode, ergibt sich aus der „summa dignitas Romanae Ecclesiae; semper enim omnium consensu habita est prima, et praecipua omnium aliarum (...); non potest autem ulla ratio reddi hujus excellentiae, nisi quia Princeps Apostolorum illius Ecclesiae proprius Pastor, et Episcopus fuit“. Niemand hat von alters her geleugnet, daß Petrus Bischof von Rom war, vielmeht gibt es mehrere positive Zeugnisse.
Ad 4°
Fließend geht der Theologe zur Frage der Kontinuität des Petrusamtes in Rom über. Konkret geht es darum ob Petrus bis zu seinem Tod Bischof in Rom war. Außer den überlieferten Listen der römischen Bischöfe bezeugen auch die Akte der fünf Konzilien (Sardicense, Ephesinum I, Chalcedonense, das fünfte und das sechte ökumenische Konzil), daß der Bischof von Rom Nachfolger Petri ist. Konkrete Einwände und geschichtliche Reihenfolge werden einzeln behandelt.
Eigens wird die Frage behandelt, ob die Bischöfe von Rom auch den petrinischen Primat über der ganzen Kirche geerbt haben („de successione in universae Ecclesiae primatu“). Sie wird theologisch erörtert, als Begründung „ex divino jure et ratione successionis“. Dies geschieht in mehreren Beweisen, gemäß den Einwänden der Gegner:
1° „ex jure divino, et ratione successionis“: aus dem göttlichen Recht mußte jemand Petrus nachfolgen (wegen des Zieles des Papstums, „ex fine Pontificatus“, d.h. um der Kirche willen, die einen Papst braucht) und zwar konnte dies nur der Bischof von Rom sein;
2° „ex unitate Ecclesiae“: die Kirche ist eine und dieselbe zu jeder Zeit und so kann sich in ihr die „forma regiminis“ nicht ändern, d.h. sie muß einen „supremus Rector, et Caput“ haben;
3° aus dem Worten Christi „Pasce oves meas“: das Hirtenamt dauert solange die Herde dauert;
4° aus denselben Worten Christi: es handelt sich um alle Schafe Christi zu jeder Zeit;
5° der Leib Christi kann nach dem Tode Petri nicht ohne sichtbares Haupt sein;
6° aus dem Alten Testament: auch dort gab es „successio summorum Pontificum“.
Kurz gefaßt: Petrus verließ zu Lebzeiten Antiochien und errichtete in Rom seinen Bischofssitz („Sedem suam fixit“) und deshalb ist klar, daß Bischof von Rom, der ihm nachfolgt, folgt ihm „in tota ipsius dignitate et potestate“. Allerdings hätte es - rein theoretisch - auch ander sein können. Denn die „successio Romani Pontificis in Pontificatum Petri“ ist zwar „ex instituto Christi“, dennoch daß der Bischof von Rom der Nachfolger Petri ist, dies ergab sich „ex facto Petri, non ex prima Christi institutione“; Petrus hätte sich eigentlich auch einen anderen Bischofssitz wählen können. Es ist also nicht vom göttlichen Recht („de jure divino“), daß der Bischof von Rom als Bischof von Rom der Nachfolger Petri ist; es ist aber Gegenstand des katholischen Glaubens. Das Bischofsamt von Rom und das Papstamt (über der ganzen Kirche) sind also faktisch nicht zwei Ämter (obwohl dies potentiell hätte sein können). Deshalb ein zum römischen Bischof Gewählter wird „ipso facto“ „Pontifex summus Ecclesiae totius“, auch wenn die Elektoren dies nicht ausdrücklich machen.
Unter Apostelamt versteht man dreierlei: 1° ein Apostel ist „immediatus verbi minister“, 2° gründet Kirchen und verbreitet den Glauben in neuen Gebieten, 3° hat die „summam in omnem Ecclesiam potestatem“. Diese letztere Bedeutung ist gemeint, wenn der Bischofsstuhl von Rom „ab omnibus Patribus semper“ als „Apostolica Sedes“ genannt wurde. Zur Verdeutlichung betont BELLARMIN: „non ideo Romae esse Sedem Pontificalem, quia Petrus Romae obiit, sed quia Romanus Episcopus fuit, nec Sedem ex Roma unquam alio transtulit“.
Nach dem theologischen Beweis (über den Primat des Bischofs von Rom) folgt positiver Beweis, zuerst aus den Konzilien, den Zeugnissen sowohl der Päpste selbst, als auch der griechischen und lateinischen Kirchenvätern.
Es zeigt sich, daß schließlich darum geht, den Ursprung des römischen Primats von Christus zu erweisen. Es schließt sich ein negativer Beweis an: es hat nie einen Autor gegeben, der bemerkte, daß dieser Primat später angefangen hätte. Die Argumente der Gegner (die bereits TURRECREMATA behandelte) werden widerlegt und Gegenzeugnisse der Väter werden vorgebracht.
Als weiteres („sechstes“) Argument wird die Autorität herangezogen, die die Päpste gegenüber den anderen Bischöfen immer ausübten: sie setzten diesen ein und ab oder auch wieder ein. Dazu werden mehrere Zeugnisse angeführt. Ähnlich ist das „siebte Argument“: die von den Päpsten erlassenen Gesetze, Dispensen und Zensuren. Das „achte Argument“ bezieht sich auf die Tatsache, daß Päpste ihre „Vicarii“ für verschiedene Gebiete hatten. Das „neunte Argument“ betrifft das Appellationsrecht: aus verschiedenen Regionen der Christenheit wurde an den Bischof von Rom rekurriert, und zwar mit Recht, Respekt, Erfolg und dabei einzigartig. Damit zusammenhängende Thesen der Gegner (etwa vom ähnlichen Appellationsrecht des Bischofs von Konstantinopel, laut NILUS) werden widerlegt.
Als „zehntes Argument“ gilt, daß „Romanus Pontifex a nemine in terris judicari potest“. Dazu macht BELLARMIN zunächst drei Bemerkungen:
1° Gemeint ist hier nicht „Princeps temporalis“, sondern der Papst als „ratione solius Pontificatus“, und zwar daß er auf Erden weder von einem weltlichen noch einem kirchlichen bzw. von einer Versammlung der kirchlichen Fürsten - d. h. einem Konzil - gerichtet werden kann („non posse... judicari“).
2° In dieser Sache gibt es zwei Irrtümer:
- daß ein Papst vom Kaiser gerichtet, bestraft, abgesetzt werden könne (so MARSILIUS von Padua);
- daß ein Papst vom einem Konzil der Bischöfe gerichtet und bestraft werden könne (so etwa NILUS).
3° Der Hauptgrund („ratio praecipua“, „primaria“) der Ausgangsprinzips ist, daß der Papst „Princeps Ecclesiae totius“ ist und somit keinen „superiorem“ auf Erden hat; als das Oberhaupt der „Respublica spiritualis“ steht er auch über der „Republica temporalis“.
Die Beweisführung weist auf Aussagen der Konzilien, der Päpste, selbst der Kaiser, und auch der Kirchenväter und Theologen hin. Abschließend werden Argumente der Gegner (v.a. NILUS und CALVIN) entkräftet.
Als letztes Argument wird die Frage behandelt ob ein häretischer Papst abgesetzt werden könne („deponi possit“). Dazu führt BELLARMIN gibt Ansichten an:
1° A. PIGHIUS meint, daß eine Papst nicht häretisch sein könne; diese These ist „probabilis“ und „defendi potest facile“, ist aber nicht „certa“ und somit soll der Fall eines häretischen Papstes behandelt werden.
2° J. de TURRECREMATA vertritt die Auffassung, daß ein Papst durch die Tatsache („eo ipso“) des - auch nur inneren - Häretischseins sich außerhalb der Kirche befinde und „von Gott abgesetzt“ sei („depositum a Deo“), und folglich von der Kirche gerichtet und für abgesetzt erklärt werden könne. Diese Ansicht nimmt BELLARMIN nicht an mit der Begründung, daß die „jurisdictio“ dem Papst zwar von Gott gegeben wird, aber „hominum opera concurrente“, und somit von Gott durch die Menschen entzogen wird („non aufertur a Deo nisi per hominem“); ein heimlicher Häretiker („haereticus occultus“) kann aber von keinem Menschen gerichtet werden; als falsch bezeichnet der Theologe die Thesem daß „haeretici occulti“ sich außerhalb der Kirche befänden.
3° Schließlich meint die andere extreme These, daß ein Papst weder durch heimliche noch durch offensichtliche („per manifestam...“) Häresie abgesetzt sei bzw. abgesetzt werden könne. Diese bezeichnet BELLARMIN als „valde improbabilis“. Denn erstens ein häretischer Papst kann gerichtet, wie selbst die Kanones der Konzilien bestimmen, zweitens „esset miserrima conditio Ecclesiae, si lupum manifeste grassantem, pro Pastore agnoscere cogeretur“.
4° Die Ansicht von CAJETAN: ein offensichtlich häretischer („haereticum manifestum“) Papst ist zwar nicht „ipso facto“ abgesetzt, kann aber und soll von der Kirche abgesetzt werden. Laut BELLARMIN ist diese These nicht haltbar, denn vor allem ist ein offensichtlicher Häretiker „ipso facto“ abgesetzt.
(5°) Die eigene Ansicht des Theologen (der sich J. DRIEDO und M. CANO anschließt), die er auf mehrere Zeugnisse stützt, besteht aus folgenden Thesen: Ein Nichtchrist kann nicht Papst sein. Das Christsein besteht aber aus zweierlei: dem Glauben und dem „character“. Ein Häretiker hat zwar den Glauben nicht, behält aber den „character“ und „ratione ilius adhuc adhaeret aliquo modo Ecclesiae, et capax est jurisdictionis; proinde adhuc est Papa, sed deponendus; quia per haeresim est dispositus, dispositione ultima, ad non esse Papam“. Mit anderen Worten: „Papam haereticum manifestum per se desinere esse Papam et Caput, sicut per se desinit esse Christianus et membrum corporis Ecclesiae; quae ab Ecclesia posse eum judicari et puniri“. Dies entspricht der allgemeinen Auffassung der Väter, „haereticos manifestos mox amittere omnem jurisdictionem“.
Das „letzte Argument“ bezieht sich auf fünfzehn Titel („nomina“), die den Päpsten „tribui solent“. Den Hintergrund bilden hier ebenfalls Vorwürfe der Reformatoren, die die Sache letztlich auf Usurpation zurückführten.
Zur Frage, welchen Souverän Christus für diese Monarchie bestimmt hat, zieht der Theologe Stellen des Evangeliums heran. In Mt 16,18 sieht er zwei bedeutsame Metaphoren: der Fels und die Schlüssel, aus denen er den Primat Petri über die anderen Apostel ableitet. Dabei weist die Interpretationen von ERASMUS (der Fels sei jeder Glaubender), CALVIN (der einzige Fels sei Christus), LUTHER (der Fels sei der Glaube des Apostels Petrus bzw. das Bekenntnis dessen) zurück. Die eigene Interpretation stützt er auf Zeugnisse der Väter, darunter die Akte des Konzils von Chalkedon. Er verschweigt nicht, daß die Häretiker sich auch auf die Väter berufen, er entkräftet aber diese Argumentation als Fehlinterpretationen oder relativiert die Worte der Väter (zu AUGUSTINUS weist er auf dessen Unkenntnis des Hebräischen und damit der eigentlichen Aussage Christi).
Der zweite Teil der Worte Christi ist für BELLARMIN nicht weniger deutlich. Er leugnet nicht, wie es LUTHER meinte, daß die Verleihung „der Schlüssel des Himmelreiches“ der ganzen Kirche gelte: Petrus erhielt die Schlüssel als das Hauptsubjekt als persönliches Privileg, aufgrund dessen er das Verliehene der ganzen Kirche mitteilt. Unter der Schlüsselgewalt versteht der Theologe die souveräne Macht über der ganzen Kirche. Im selben Sinne interpetiert er die Worte in J 21,17: darin wird noch deutlicher, daß Christus dem Petrus persönlich die Hirtengewalt anvertraut hat. Jeder Hirtenamt in der Kirche ist Teilhabe an dieser petrinischen Hirtengewalt. In diesen Zusammenhang gehört der berühmte Apostelstreit (Gal 2,4ff): Da Petrus nach dem Rat der anderen Apostel handelte, kann das nicht gegen seinen Primat herangezogen werden.
Auf die Einwände der Protestanten, die 15 Stellen aus dem Neuen Testament von angeblichen Verfehlungen Petri anführten, stellt BELLARMIN 28 Beispiele für den Vorrang dieses Apostel über den anderen. Er führt auch Stellen aus griechischen und lateinischen Kirchenvätern (die ältesten sind ORIGENES und CYPRIAN) an, die die besondere Würde Petri bestätigen. Er entkräftet auch einzelne Beispiele der Protestanten, samt der dreifachen Verleugnung des Herrn vor dem Leiden. Zur letzteren bringt er Worte GREGORs des Großen, daß dieser Fall von Gott zugelassen wurde, damit der zukünftige Papst Milde gegenüber den anderen Menschen habe.
4.1.2. Sukzession des Primats Petri
Mehrere protestantische Autoren stellte die Behauptung auf, daß Petrus nicht nach Rom kam, sondern in Jerusalem starb. CALVIN meinte, daß der Apostel sich zwar in der Hauptstadt aufhielt, lediglich aber kurz und nicht als der Bischof. Dagegen stellt BELLARMIN folgende Fakten fest:
1° Petrus war in Rom und zwar gründete dort vor Paulus die christliche Gemeinde;
2° Petrus starb in Rom, was sein Grab bezeugt;
3° Petrus war Bischof von Rom und blieb das bis zu seinem Tod;
4° Die nachfolgenden Bischöfe von Rom erbten auch seine höchste Gewalt über die ganze Kirche; die Dauer ist wegen der Kontinuität in der Identität der Kirche verlangt. Eingehend auf die Einwände erörtert der Kardinal mehrere historische Beispiele zur Anerkennung des Primats und des höchsten Ranges der Päpste, darunter auch seitens der östlichen Bischöfe.
Vor dem Hintergrund der Betonung, daß der Vollmacht des Papstes alle unterliegen und daß niemand die Vollmacht über den Papst hat, erscheint die Frage, wie es sich mit einem häretischen Papst verhält. Zur Zeit BELLARMINs wurden verschiedene Ansichten dazu vertreten:
1° PIGHI meinte, daß ein Papst nicht häretisch werden könne, da das Privileg der Unfehlbarkeit sich auch auf die Person und nicht nur auf das Petrusamt ausstrecke. Diese Ansicht hält BELLARMIN für wahrscheinlich, aber nicht gesichert.
2° TURRECREMATA lehrte, daß ein Papst durch die Tatsache, auch nur innerlich häretisch geworden zu sein, automatisch von der Kirche ausgeschlossen sei und somit von der Kirche gerichtet werden könne, die seine Absetzung erklären könne. Diese Ansicht hält BELLARMIN für unhaltbar, denn die Vollmacht ist dem Papst von Gott durch menschliche Wahl verliehen worden und sie kann ihm nur ebenso - d.h. durch menschliche Absetzung - genommen werden. Zugleich könne ein heimlicher Häretiker von der Kirche nicht gerichtet werden und er befinde sich nicht notwendig außerhalb der Kirche (De Rom. Pont. 2,30; in: Opera t. 1, 608).
3° CAJETAN vertrat die Ansicht, daß ein Papst, der häretisch geworden ist, nicht automatisch seiner Vollmacht beraubt sei, sondern erst von der Kirche abgesetzt werden könne und solle. Auch dieser These schließt sich BELLARMIN nicht an.
Dagegen meint er, daß ein offensichtlich häretisch Gewordener automatisch aufhört, Papst zu sein („papam haereticum manifestum per se desinere esse papam“), und könne von der Kirche gerichtet werden, da „haereticus manifestus nullo modo est membrum Ecclesiae, neque animo, neque corpore“. Auf diese Weis wird der antike Grundsatz gewahrt, daß „prima sedes a nemine iudicatur“.
4.1.3. Gegen die Bezeichnung des Papstes als Antichrist
Das dritte Buch des Traktates ist der Frage gewidmet, ob irgendwann ein Bischof von Rom aus dem Petrusprimat ausgefallen sei („ab isto gradu exciderit“). Diese quaestio bezieht sich zunächst ausdrücklich auf „die Griechen“, deren Vertreter NILUS von Thessalonich behauptete, daß es gegenwärtig keinen Nachfolger Petri gäbe, da die Päpste der Häresie verfallen seien. Ähnliches behaupteten WICLIF, CALVIN, LUTHER, Centuriatores von Magdeburg, ILLYRICUS und andere, die dazu noch die Bezeichnung „Antichrist“ für den Bischof von Rom verwendeten. Das Ergebnis seiner Untersuchung vorwegnehmend, kündigt der BELLARMIN gleich an, nicht nur die Behauptung der genannten Häretiker als töricht zu erweisen, sondern auch zu zeigen, daß ein Bischof von Rom niemals aufgehört hat „Bischof und Hirte der ganzen Kirche (Episcopus et Pastor totius Ecclesiae)“ zu sein.
Das Problem behandelt BELLARMIN in neun Einzelfragen:
1° Die Bezeichnung „Antichrist“, wie sie in der Hl. Schrift vorkommt, hat nichts mit dem Titel „Vicarius Christi“ zu tun, sondern bezieht sich auf eine zukünftige Person;
2° Der Antichrist ist ein Einzelner und nicht ein „genus hominum“;
3° Er ist noch nicht gekommen, wird am Ende der Welt kommen, begleitet von Umständen, die in der Hl. Schrift angegeben werden (Verkündigung des Evangeliums in der ganzen Welt, „desolatio omnimoda Romani Imperii“, Ankunft des Elia und der Henoch, grausame Verfolgung der Kirche „ita ut cessent omnes publicae religionis ceremoniae et sacrificia“, vgl. Mt 24; Mt 17); der Zeitpunkt ist ungewiß; dagegen folgert BELLARMIN aus seinen bisherigen Ausführungen: der Antichrist ist noch nicht gekommen, der Papst ist kein Antichrist, vielmehr sind die gegenwärtigen Häretiker Vorläufer des Antichrist, „cum nihil ardentius optent, quam sacrificium Eucharistiae penitus abolere“;
4° Zu seinem eigentlichen Namen - v. a. hinsichtlich der Bedeutung der Zahl 666 (Apk 13) - läßt sich nichts klares sagen; hier schließt sich die Fragen nach dem „character“ des Antichrist an: auch diesbezüglich kann man ihn nicht kennen, bis der Antichrist kommt;
5° Zur Herkunft gibt es zwei wahrscheinliche Thesen der Väter: der Antichrist wird 1° aus einer ehebrecherischen Frau und zwar 2° aus dem Stamme Dan geboren (vgl. Jer 8), und außerdem zwei sichere Angaben: 1° er wird um der Juden willen kommen („propter Judaeos venturum“) und wird von ihnen als der Messias und ihr König angenommen, 2° er wird als Jude geboren, beschnitten, den Sabbat und andere jüdische Bräuche halten, und zwar bis zu gewisser Zeit (vgl. J 5; 2Thess 2,2);
6° Er werde in Jerusalem und zwar den salomonischen Tempel als seinen Sitz haben;
7° Seine Doktrin wird 1° Jesus als den Christus leugnen, 2° die von Christus eingesetzten Sakramente bekämpfen, die alttestamentlichen Riten dagegen wiederherstellen, 3° sich selbst als Gott behaupten und alle andere, die für Gott gehalten werden, bekämpfen;
8° Der Antichrist wird viele Wunder wirken, sie werden aber lügnerisch hinsichtlich aller Ursachen („causarum: finalis, efficientis, materiae, formae“) sein: ihre Ursache wird natürlich sein, aber für die Menschen verborgen („omnia causa naturales, sed hominibus occultas“), so daß sie als wunderbar erscheinen können;
9° Schließlich stellt BELLARMIN die Auskünfte der Hl. Schrift bezüglich der konkreten Vorgänge („de regno et praeliis“) zusammen: Obwohl von niedriger Herkunft, wird der Antichrist mittels Täuschung und Betrug das Königtum der Juden erlangen, mit drei anderen Königreichen - Ägypt, Lybien und Ätiopien - kämpfen, besiegen und sie besetzen, darüber hinaus sich auch sieben andere Reiche unterwerfen, so als der Monarch der ganzen Welt auftreten und mit unzähligem Heer die Christen auf der ganzen Welt verfolgen.
Zum Schluß fest der Kardinal als das Ergebnis fest: „... evidenter ostendimus, nihil eorum summo Pontifici convenire, quae Antichristo Scripturae divinae attribuunt.“ Er will aber noch einmal die Beweise widerlegen, die „Lutherus, libellus Smalchaldicus, Calvinus, Illyricus, Tilmannus, et Chytraeus“ zugunsten ihrer Behauptung heranziehen. Vor allem bemerkt er, daß die Worte des Propheten Daniel für keinen sonst Menschen (außer dem Antichrist selbst) besser passen als für LUTHER selbst: dieser als Priester und Mönch hat eine Nonne geheiratet, unzählige Lügen geschrieben, als einfacher Priester behauptete, den Papst LEO X exkommunizieren zu können. Es werden auch Aussagen der anderen genannten Protestanten zitiert und widerlegt.
Zum Schluß des Liber III. kommt der Theologe auf die Fabel von der angeblichen Päpstin Johanna zu sprechen, auf die CALVIN und ILLYRICUS als auf einen Beweis für den Verfall des Episkopats des römischen Stuhles hinwiesen. Es geht also ebenfalls um die Frage der Kontinuität des apostolischen Sukzession der Bischöfe von Rom. BELLARMIN antwortet, daß es sich zweifellos bloß um eine Fabel handelt. Dazu weist er auf sowohl lateinische wie griechische Schriftsteller: der Zeitgenosse des Papstes JOHANNES VIII, der angeblich Frau gewesen sein sollte, ANASTASIUS Bibliothecarius schreibt, daß nach dem Pontifikat LEO IV der Apostolische Stuhl nur 15 Tage vakant war und dann BENEDIKT III gewählt wurde; auch ADO, Bischof von Vienne, der nicht im Verdacht stehen kann, zugunsten des Papstums zu lügen, bezeugt, daß es keinen Papst bzw. Päpstin zwischen den zwei genannten gegeben hat; ähnliches bezeugen alle anderen Historiker. Erst MARTINUS Polonus, der vierhundert Jahre nach der angeblichen Päpstin lebte, schrieb von dieser Gestalt und erst nach ihm PLATINUS und andere Autoren. Die Stellen, die in gedruckten Werken SIGEBERTUS und MARIANUS Scotus von der Johanna sprechen, befinden sich nicht in ältesten Manuskripten und sind deshalb als Fälschungen anzusehen. Auch griechische Autoren vor MARTINUS, die sicher nicht zugunsten des Papstums sprechen, wissen nichst von dieser Geschichte. Außerdem hat dessen Erzählung nur den Charakter einer Fabel, da auch sonstige Angaben offensichtlich widersprüchlich, seltsam bzw. historisch unzutreffend sind. Der Kardinal gibt ihre wahrscheinliche Genese an: Papst LEO IX schrieb an MICHAEL Bischof von Konstantinopel, daß dort nicht nur Eunuchen, sondern selbst eine Frau auf dem Bischofsstuhl gewesen sei; so etwas hätte der Papst sicher nicht zum Vorwurf gemacht, wenn so etwas auch in Rom passiert wäre. Dies dürfte auch der Ursprung der Fabel gewesen sein: der Haß der Feinde des Papstums hat sie umgedreht und auf Rom angewendet in Umlauf gesetzt. MARTINUS beruft sich auch auf keinen Autor oder Quelle, sondern sagt, daß so etwas „erzählt wird (fertur)“; sonst schreibt er auch andere zahlreiche Fabel so als ob sie „historiae probatissimae“ wären.
4.1.4. Von der geistlichen Vollmacht des Papstes
Es wurde bisher erwiesen, daß der römische Bischof von Christus zum höchsten Hirten der ganzen Kirche eingesetzt ist und niemals diese seine Würde verloren hat. Nun erörtert BELLARMIN genauer die dem Papst verliehene Vollmacht, nämlich sowohl die geistliche („potestas spiritualis“) wie auch die weltliche („temporalis“). Im Liber IV spricht er von der ersteren, indem er folgende quaestiones behandelt:
1. „potestas judicandi controversias Fidei et morum“;
2. von der Gewißheit dieser dieser Entscheidungen („de certidudine... sive de infallibilitate hujus iudicii“);
3. „de potestate coactiva legum ferendarum“, d. h. ob der Papst „posset leges ferre, quae homines in conscientia obligent et cogant credere, aut agere, prout summus Pontifex judicavit“;
4. „de communicatione hujus potestatis“, d. h. „sit ne omnium aliorum Ecclesiasticorum Praesulum jurisdictio a summo Pontifice illis communicata, an a Deo immediate accepta“.
Einzelne zusammenhängende Fragen - wie die Vollmacht des Papstes bezüglich der Konzilien, der Ablässe, der Heiligsprechung, der Approbation der Orden, der Ernennung bzw. Bestätigung der Wahl des Bischofs - kündigt er für weitere Teile seines Traktates an.
ad 1.
Zur ersten questio weist BELLARMIN zunächst auf Dtn 17,8ff. hin, wo zwischen der priesterlichen und der richterlichen Gewalt des Hohenpriesters unterschieden wird („duas personas distingui, Sacerdotis et Judicis, hoc est, Pontificis et Principis“). Denselben Sinn sieht er in den Worten J 20,17: „pasce oves meas“, daß hier nämlich die Unterscheidung zwischen guten und schlechten Weiden enthalten ist. Zur Bestätigung bringt er einige Zitate aus den Kirchenvätern und Päpsten (Hieronymus, Leo I, Gregor d.Gr.). Aus den Aussagen ergibt sich, daß hier Urteile in Glaubensfragen gemeint sind, allerdings nicht im Sinne lediglich der Belehrung, sondern auch der Feststellung der Irrlehren.
ad 2.
Er fährt mit der Frage fort, ob ein Urteil des Papstes sicher sei. Diesbezüglich unterscheidet er vier Bedeutungen des Wortes Papst: („Pontifex“): als „persona particularis sive Doctor particularis“, als „Ponitfex solus“, als „Pontifex adjuncto coetu solito consiliariorum“ und schließlich als „Pontifex una cum Concilio generali“. Zu jeder Bedeutung unterscheidet er dazu noch folgende Fragen:
1° ob ein Papst selbst ein Häretiker sein könnte;
2° ob er eine Häresie lehren könnte, und diesbezüglich ist zwischen den Dekreten, die in Sachen des Glaubens und der Sitten der ganzen Kirche vorgelegt werden, und solchen, die sich auf einzelne beziehen wie z.B. Ernennung oder Absetzung eines Bischofs.
Demnach stimmen die Katholiken und die Häretiker in zweierlei überein:
1° Der Papst kann sowohl alleine als auch mit seinen Beratern oder samt einem allgemeinen Konzil irren „in controversiis facti particularibus, quae ex informatione, testimoniisque hominum praecipue pendent“;
2° er kann auch irren als privater Lehrer („ut privatum Doctorem“), und zwar in Sachen des universalen Rechtes bezüglich des Glaubens und der Sitten, wie etwa aus Unwissen, so wie im Falle anderer Theologen.
Alle Katholiken stimmen weiterhin in folgende überein (aber nicht die Häretiker):
1° Der Papst samt einem allgemeinen Konzil kann nicht irren in Dekreten bezüglich des Glaubens und der allgemeinen Sittenlehre;
2° Wenn der Papst allein oder samt einem Partikularkonzil in einer zweifelhaften Sache Stellung nimmt, müssen alle Gläubigen auf ihn hören („esse obedienter audiendum“), egal, ob er darin irren kann oder nicht.
Somit bleiben folgende folgende Meinungen zu erörtern:
1° Der Papst als Papst evtl. samt einem allgemeinen Konzil könne selbst Häretiker sein und eine Häresie lehren (es geht um die These LUTHERs und CALVINs);
2° Der Papst als Papst und ohne ein Konzil könne Häretiker sein und eine Häresie lehren (es geht um die These des NILUS v. Thessalonich und einiger Pariser Theologen);
3° Der Papst könne auf keinen Fall weder selbst Häretiker sein noch öffentlich eine Häresie lehren;
4° Der Papst, unabhängig davon, ob der selbst ein Häretiker ist oder nicht, kann auf jeden Fall nichts Häretisches als für die ganze Kirche verbindlich definieren; dies ist „communissims sententia fere omnium Catholicorum“ (wie THOMAS v.A., THOMAS Waldensis, J. de TURRECREMATA, J. DRIEDO, CAJETAN, HOSIUS,. J. ECK, Johannes von Lovanium, Petrus A SOTO, MELCHIOR CANO); allerdings gibt es hier auch einen Meinungsunterschied: die einen meinen, daß der Papst nicht könne, wenn er die Sache reiflich überlegt und den Rat anderer Bischöfe gehört hat, die anderen sagen dagegen, daß der Papst auch ganz alleine nicht irren könne. Letztlich aber liegt auch hier keine Differenz vor, denn auch die Letzteren setzen voraus, daß der Papst die Sache überlegt und Gelehrte konsultiert, und wollen nur unterstreichen, daß die Unfehlbarkeit nicht „in coetu consiliariorum vel in Concilio Episcoporum“, sondern „in solo Pontifice“ liegt.
Von diesen vier Meinungen bezeichnet BELLARMIN die erste als Häretisch. Dies wagt er nicht in bezug auf die zweite zu sagen, denn ihre Vertreter werden von der Kirche toleriert, er sagt aber, daß sie „omnino erronea et haeresi proxima“ ist, so daß sie von der Kirche zu Recht für häretisch erklärt werden könnte. Die dritte hält er für „probabilis, non tamen certa“. Die vierte ist für ihn „certissima es asserenda“; ihr widmet er auch anschließende Beweisführung.
In diesem Sinne legt der Kardinal eigene „propositiones“ vor. Die erste lautet: „Summus Pontifex cum totam Ecclesiam docet, in his quae ad Fidem pertinent nullo casu errare potest.“ Der Beweis geht von Lk 22 aus: verschiedene Deutungen dieser Stelle werden diskutiert und die wahre wird dargelegt: Die Worte des Herrn beziehen sich nicht auf die Kirche, sondern auf Petrus selbst. Somit erbat der Herr für den Petrus zwei Privilegien: 1° daß er selbst niemals den wahren Glauben verlasse und 2° daß er als Papst niemals etwas gegen den Glauben lehre. Von diesen Privilegien ging das erste nicht auch die Nachfolger Petri über, das zweite aber schon. Zum ersten bringt BELLARMIN mehrere Zeugnisse der Väter. Zum zweiten weist er vor allem auf Zeugnisse von sieben antiken und heiligen Päpsten hin: LUCIUS I, FELIX I, LEO I, AGATHON, NIKOLAUS I, LEO IX, INNOZENZ III; er bringt aber auch andere Autoren, die diese Stelle ähnlich auslegen (THEOPHYLACTUS, Petrus CHRYSOLOGUS, BERNARD).
Diskutiert werden auch Einwände gegen die gegebene Interpretation. Abschließend wird ein Beweis aus dem Alten Testament vorgebracht, nämlich die Worte aus Ex 28 von der „doctrina et veritate“ des Hohenpriesters. Als letztes wird auf den Beweis „ab experimento“, d.h. aus der geschichtlichen Erfahung hingewiesen, und zwar zweifach:
1° alle Patriarchensitze außer dem römischen sind vom Glauben abgefallen, d.h. auf ihnen saßen Häretiker und Bekenner der Häresien, wie vor allem die Häresiarchen MAKEDONIUS, NESTORIUS, SERGIUS in Konstantinopel, die Häresiarchen GREGORIUS, LUCIUS, der Eutychianer DIOSKORUS und der Monothelit KYRUS in Alexandrien, der Häresiarch PAUL von Samosata, der Eutychianer PETRUS Gnaphaeus, der Monothelit MACHARIUS in Antiochien, der Origenist JOHANNES und vor ihm die Arianer EUTYCHES, IRENAEUS und HILARIUS in Jerusalem. Für den römischen Stuhl gilt aber , was bereits RUFINUS (In expos. Symb.) sagte: „In Ecclesia urbis Romae neque haeresis ulla sumpsit exordium, et mos ibi servatur antiquus.“
2° Viele Häresien - wie der Pelagianismus, Priszilianismus, Jovinianismus, Vigilantismus - wurden von Päpsten ohne ein allgemeines Konzil verurteilt und somit von der ganzen Kirche für Häresien gehalten; daran zeigt sich, daß die ganze Kirche fühlt („sentire“), daß der Papst in solchen Sachen nicht irren könne.
Die zweite „propositio“ BELLARMINs lautet: „Non solum Pontifex Romanus non potest errare in Fide; se neque Romana particularis Ecclesia.“ Es handelt sich aber um eine andere Unfehlbarkeit: Der Papst kann nicht irren „errore judiciali, id est, dum judicat et definit quaestionem Fidei“, die römische Kirche im Sinne von „populus et clerus Romanus“ dagegen kann nicht irren „errore personali, ita ut omnes omnino errent, et nulli sint in Romana Ecclesia Fideles et Pontifici adhaerentes“, es kann aber jeder einzelne irren, obwohl nicht alle auf einmal. Das ist dadurch bedingt, daß der Apostolische Stuhl sich in Rom befindet und nicht anderswohin übertragen werden kann. Dazu werden mehrere Zeugnisse der Kirchenväter herangezogen. Allerdings ist es keine Sache des Glaubens, daß der Apostolische Stuhl von der römischen Kirchen nicht getrennt werden könnte, d.h. es gibt weder in der Hl. Schrift noch in der Tradition die Zusicherung, daß der Apostolische Stuhl von Rom nicht wegziehen könnte. Es ist nur „pia et probabilissima sententia, non posse separari Petri Cathedram a Roma, et proinde Romanam Ecclesiam absolute non posse errare, nec deficere“. Dafür spricht die Geschichte: trotz Verfolgungen und Widerwärtigkeiten ist der Apostolische Stuhl immer mit Rom verbunden geblieben. Vor allem aber ist es offensichtlich der Wille Gottes, daß durch den Tod Petri der Apostolische Stuhl an Rom gebunden ist. Dies ist aber nicht Sache des Glaubens bzw. des unveränderlichen göttlichen Gebotes, sondern der Geschichte, die auf den Willen Gottes auf sehr wahrscheinliche Weise schließen läßt.
Die dritte „propositio“ lautet: „Non solum in decretis Fidei errare non potest summus Pontifex, sed neque in praeceptis morum, quae toti Ecclesiae praescribuntur, et quae in rebus necessariis ad salutem, vel in iis quae per se bona, vel mala sunt, versantur“. Dies bedeutet: Der Papst kann nicht in dem Sinne irren, daß er ein Laster gebieten oder eine Tugend, etwas zum Heil Notwendiges (wie Taufe oder Eucharistie) verbieten würde. Es kann aber passieren, daß er etwas gebietet, was nicht gut, aber nicht schlecht an sich oder gegen das Heil ist; es ist aber nicht die Sache der Untergebenen darüber zu urteilen („judicare“), sondern einfach zu gehorchen („simpliciter obedire“). Diese Prinzipien beweist BELLARMIN mehrfach. Zum letzteren z.B. betont er, daß die Kirche in zweifelhaften Sachen verpflichtet ist, mit dem Papst einverstanden zu sein, seine Befehle auszuführen bzw. seine Verbote einzuhalten.
Die vierte propositio besagt: „Probabile est, pieque credi potest, summum Pontificem non solum ut Pontificem errare non posse, sed etiam ut particularem personam haereticum esse non posse, falsum aliquod contra Fidem pertinaciter credendo.“ Diese These wird folgendermaßen begründet:
1° Dies wird von milden Verfügung der göttlichen Vorsehung gefordert, denn der Papst muß immer die Wahrheit lehren und die Brüder im Glauben stärken (laut Lk 20, 31) und dies wäre kaum damit zu vereinbaren, daß er selbst häretisch wäre. Zwar kann Gott auch aus einem häretischen Herzen das Bekenntnis des wahren Glaubens hervorbringen, wie Er in den Mund der Eselin des Baalam gewisse Worte legte, dies würde aber durch Gewalt geschehen und nicht in der üblichen Vorgehensweise der göttlichen Vorsehung. Er bringt auch Antworten auf einzelne Einwände . Ein Papst könnte nur so häretisch werden, daß er eine vor ihm definierte Wahrheit negiert. Er kann aber nicht auf solche Weise häretisch werden, daß er selbst etwas Neues definiert, denn dann würde nicht gegen etwas von der Kirche Definiertes meinen. Wenn der Papst (eventuell samt dem Konzil) ein Urteil nicht in einer Sache des Glaubens („de judicio Fidei“), sondern bezüglich der Tatsachen („judicio facti“) fällt, dann hat er nicht den Beistand des Hl. Geistes („non habere assistentiam Spiritus Sancti“). Von seiner Natur aus kann er zwar häretisch werden, aber nicht mit dem Beistand Gottes („posita singulari Dei assistentia“). Ein Papst kann zwar durch sein Beispiel Gelegenheit zum Irrtum geben („exemplo suo praebere occasionem errandi“), kann aber nicht kraft samtes Lehramtes („ex cathedra“) der ganzen Kirche ein Irrtum zu befolgen vorschreiben.
2° Dies beweist auch die Geschichte, denn kein Papst war je häretisch oder konnte mit Sicherheit als Häretiker erwiesen werden. Dazu erörtert BELLARMIN recht ausführlich einzelne Fälle - insgesamt vierzig - aus der Geschichte, auf die sich die Gegner berufen (Petrus, Linus, Anaklet, Telesphor, Viktor, Zephirin, Urban, Pontian, Cornelius, Marcellinus, Liberius, Felix II, Siricius, Innozenz, Coelestin, Leo, Gelasius, Anastiasius II, Vigilius, Gregor I, Bonifaz V, Honorius I, Martin I, Gregor III, Nikolaus I, Stephan VI, Sergius III, Johannes XIII, Gregor VII, Alexander III, Coelestin III, Innozenz III, Nikolaus IV, Johannes XXII, Johannes XXIII, Benedikt XIII, Eugenius IV, Innozenz VIII).
ad 3.
Es handelt sich um die Frage, ob der Papst eine „koaktive“ Jurisdiktion hat, d.h. eine solche, daß er Gesetze erlassen kann, die im Gewissen verpflichten, und daß er Urteile erlassen und Strafen verhängen kann. Mit anderen Worten geht es darum, ob der Papst die Gläubigen verpflichten kann, das zu glauben bzw. zu tun, was er entscheidet. Dasselbe gilt entsprechend auch für die Bischöfe. Dabei ist ein Bischof nicht als ein weltlicher Herrscher („Princeps“) gemeint, denn es ist unumstritten, daß ein solcher verbindliche Gesetze erlassen kann. Es handelt sich um den „Pontifex ut Pontifex totius Catholicae Ecclesiae“, um seine „potestas in spiritualibus“ („de potestate spirituali, sive Ecclesiastica, cujus finis est vita aeterna“).
Zuerst sagt BELLARMIN, daß nur gerechte Gesetze („leges justae“) wahre Gesetze sind und im Gewissen verpflichten. Diese erfüllen folgende Bedingungen:
1° hinsichtlich des Zieles: sie sind auf das gemeinsame Wohl hingeordnet („ad bonum commune ordinetur“);
2° hinsichtlich des Gesetzgebers: sie stammen von einer Autorität („ab habente auctoritatem“);
3° hinsichtlich der Materie: es kann nicht eine Tugend verbieten oder ein Laster gebieten;
4° hinsichtlich der Form: es muß auf entsprechende Weise und ordentlich („debito modo et ordine“) erlassen werden.
Diese Unterscheidung ist insoweit von Bedeutung, daß der jeweilige Aspekt darüber entscheidet, ob ein Erlaß nicht nur verpflichtet, sondern überhaupt ausgeführt werden darf. So z.B. wenn ein Erlaß hinsichtlich der Materie etwas gegen das göttliche oder natürliche Gesetz gebietet, ist er nicht nur nicht bindend (und ist kein Gesetz), sondern darf auch in keiner Weise nicht befolgt werden. Wenn aber ein Erlaß hinsichtlich des Zieles, des Gesetzgebers oder der Form ungerecht ist, soll er befolgt werden, wenn Nichtbefolgung ein Ärgernis wäre.
Auf dem Hintergrund dieser Prinzipien möchte der Kardinal einzelne Thesen behandeln, die seit den Waldensern, über MARSILIUS v. Padua, JAN HUS bis hin zu den Reformatoren vertreten wurden. Gleich stellt er ihnen den katholischen Grundsatz entgegen, daß „die Bischöfe in ihren Diözesen und der Papst in der ganzen Kirche vere esse Principes Ecclesiasticos, qui possint sua auctoritate etiam sine plebis consensu, vel Presbyterorum consilio, leges ferre, quae in conscientia obligent, judicare in causis Ecclesiasticis more aliorum judicum, ac demum punire“.
Dies wird mehrfach bewiesen: biblisch (alt- und neutestamentlich) und patristisch, und zwar zuerst positiv, dann als Widerlegung der biblischen und patristischen Argumentation der Gegner.
ad 4.
Als eigene quaestio wird die Abstammung der kirchlichen Vollmacht vom Papst behandelt, d. h. die These, daß Christus nur dem Papst die kirchliche Jurisdiktion direkt („immediate“) übertragen hat, d. h. daß alle anderen Bischöfe nur durch den Papst die Jurisdiktion empfangen können. Zuerst unterscheidet er in der päpstlichen Vollmacht dreilei („triplicem in Pontifice aliisque Episcopis potestatem“):
1° die Weihegewalt („Ordinis“), die sich auf den Vollzug und Spendung des Sakramente bezieht;
2° die interne Rechtsprechung („jurisdictionis interioris“), die sich auf das Regieren des christlichen Volkes „in foro interiori conscientiae“ bezieht;
3° die externe Rechtsprechung („jurisdictionis exterioris“), die sich auf das Regieren desselben Volkes im Äußeren bezieht. Die erste wird direkt von Gott bei einer ordnungsgemäß vollzogenen Weihe verliehen. Zur zweiten gehen die Meinungen teilweise auseinander, d.h. bezüglich der Frage, ob die bereits mit der Weihe gegeben ist; dazu sagt BELLARMIN, daß sie auf jeden Fall von der letzten (3°) abhängt. An dieser Stelle handelt es sich lediglich um diese letztere. Zuerst wird erörtert, ob die - kanonisch gewählten - Bischöfe direkt von Gott die (externe) Jurisdiktion empfangen (so wie der Papst), oder vom Papst. Hierzu gibt es drei Meinungen der Theologen:
1° Sowohl die Apostel als auch andere Bischöfe haben empfangen bzw. empfangen die Vollmacht direkt von Gott;
2° Die Apostel haben nicht von Christus, sondern vom Petrus die Vollmacht empfangen und so empfangen die Bischöfe die Vollmacht vom Nachfolger Petri;
3° Die Apostel haben zwar die Vollmacht direkt von Christus empfangen, doch die Bischöfo empfangen sie durch den Papst. Diese letztere Meinung bezeichnet BELLARMIN als „verissima“ und begründet sie. Er beantwortet auch Einwände gegen diese These. So z.B. sagt er, daß es nicht notwendig ist, daß der Papst direkt die Bischöfe einsetzt, sondern daß es genügt, wenn er dies durch die Patriarchen oder tut Erzbischöfe tut.
Er sieht in ihr zwei Prinzipien:
1° Der Papst ist der höchste Richter in den Glaubens- und Sittenfragen und als solcher in manchen Fällen unfehlbar;
2° Er ist auch der höchste Gesetzgeber der Kirche.
Es ist darin auch die Frage enthalten, welche Sicherheit bezüglich der Lehrentscheidungen des Papstes gegeben ist. Dazu unterscheidet der Kardinal zwischen dem Papst als einem einfachen Lehrer und als einem „universellen Lehrer“. Diese Unterscheidung bezieht sich auf den Gegenstand seiner Lehre: es können einzelne Fragen sein, die nur bestimmte Menschen betreffen, oder „universelle Materie“, die die ganze Kirche betrifft, wie die Definitionen bezüglich des Glaubens und Entscheidungen bezüglich der Moral. Letztlich geht es um die Frage, ob ein Papst häretisch werden kann, d. h. eine Häresie lehren könnte. BELLARMIN antwortet: ein Papst, auch wenn er von Ratgebern oder einem ökumenischen Konzil umgeben ist, kann irren bezüglich einzelner Fakten und in Entscheidungen, die von diesem Wissen abhängig sind; als „einfacher Lehrer“ kann er irren selbst in rechtlichen Fragen bezüglich des Glaubens und der Sitten. Der Papst kann aber nicht irren, wenn er (alleine oder mit einem Konzil) eine die ganze Kirche betreffende Entscheidung bezüglich des Glaubens oder der Moral trifft.
Der Theologe beschäftigt sich auch mit zeitgenössischen Ansichten zu diesem Problem.
1° Die Behauptung der Protestanten (LUTHER und CALVIN), daß ein Papst - auch samt einem Konzil - eine Häresie verkünden könnte, verwirft BELLARMIN als direkt häretisch.
2° Die These von alten Professoren von Sorbonne und von HADRIAN VI lautete, daß daß ein Papst auch als Papst häretisch sein könne, wenn er eine Definition ohne ein ökumenisches Konzils herausgibt. Diese Ansicht wagt BELLARMIN nicht als häretisch zu bezeichnen, „da sie von der Kirche toleriert wird“, er hält sie aber für irrig und der Häresie nahe.
3° Das andere Extrem lehrte PIGHIUS: der Papst könne weder häretisch werden noch Häresie lehren, wenn er kraft seiner Autorität lehre. Diese These ist für BELLARMIN wahrscheinlich, obwohl sichere Beweise für sie fehlen.
4° BELLARMIN selbst nimmt eine mittlere Position ein: Unabhängig davon, ob ein Papst persönlich häretisch werden könnte oder nicht, kann er auf jeden Fall nie eine Häresie als verpflichtende Definition für die ganze Kirche verkünden; dies sei die allgemeine Ansicht unter den Katholiken (er beruft sich v.a. auf THOMAS v.A., Th. WALDENSIS, TURRECREMATA, DRIEDO, CAJETAN, HOSIUS, ECK, SOTO, CANO). Der ausführlichen und vielseitigen Begründung widmet er das Buch 4. des Traktates De Romano Pontifice: Anhand des biblischen Befundes spricht er von zwei Privilegien Petri:
(1) er werde nie den wahren Glauben verlassen,
(2) er werde nie als Papst etwas gegen den Glauben lehren und auf seinem Stuhl werde sich niemand befinden, der etwas gegen den wahren Glauben lehren würde.
Von diesen Privilegien müsse das erste nicht unbedingt auf seine Nachfolger übergegangen sein, das zweite aber zweifellos schon (Opera, t. II, p. 81).
Dazu führt BELLARMIN einen positiven Beweis durch. Außerdem spricht er sich aufgrund der Stellen in Mt und J, die er anhand von Väterzeugnissen interpretiert, für die persönliche Unfehlbarkeit des Papstes.
Die päpstliche Unfehlbarkeit erstrecke sich auch auf heilsnotwendige Normen bezüglich der Moral.
Die These, daß ein Papst auch als Privatperson einer Häresie nicht verfallen kann, hält BELLARMIN für „wahrscheinliche und fromme Meinung“. Auf jeden Fall aber könne ein Papst nicht in dem Sinne häretisch sein, daß er hartnäckig eine dem Glauben widrige Lehre vertretene würde. Dies scheint durch göttliche Vorsehung über der Kirche gesichert sein. Ein persönlich häretischer Papst könnte auch offiziell die Wahrheit lehren, so wie Gott durch die Eselin des Balaam hat Wahrheit sagen lassen; dazu wären aber ständige Wunder notwendig, die nicht zum ordentlichen Plan Gottes gehören. Tatsächlich war er nie so gewesen, daß ein amtierender Papst eine Häresie gelehrt hätte. Wenn alte Kanones von einem Fall sprechen, in dem ein Papst von der Kirche gerichtet werden könne, nämlich wenn er im Glauben irren sollte, dann ist eine Irrtum als Privatperson, nicht als Lehrer der gesamten Kirche gemeint.
Er meint auch, daß ebenfalls die Kirche von Rom - d.h. die Gläubigen und der Klerus - als gesamte vom Glauben nicht abfallen kann, obwohl einzelne dies können. Dieses Privileg ist durch den Sitz des Apostolischen Stuhles bedingt: wäre dieser nicht in Rom, wäre dieses Privileg auch der anderen Ortskirche eigen, deren Oberhaupt der Papst ist.
Von den geschichtlichen Beispielen bespricht BELLARMIN etwa den Konflikt zwischen CYPRIAN und dem Papst STEPHAN bezüglich der Häretikertaufe: Der Papst habe es nicht als Glaubenssache definiert, daß Häretiker wieder getauft werden müßten. Nach Widerlegung mehrerer Bespiele gibt der Kardinal doch einen Fehler eines Papstes zu: die von HONORIUS unterzeichnete Formel von Sirmium enthielt nicht den Ausdruck ὁμοούσιος, die bedeute aber keine Häresie.
Ein weiterer Bestandteil der päpstlichen Autorität ist die höchste, sogenannte „koaktive“ Jurisdiktion: ein Papst kann Gesetze erlassen, die sowohl im Gewissen verpflichten, als auch dazu dienen, daß nach ihnen gerichtet und bestraft wird (dies widersetzt sich den Ansichten von MARSILIUS v. Padua, JAN HUS und WICLIF). Der Grund dafür ist, daß Christus im Evangelium nicht alle einzelne für das Leben der Kirche notwendigen Regel gegeben hat. Die kirchlichen Gesetze sind ein Zusatz, der sich aus dem Evangelium ergibt.
Auch die Bischöfe besitzen eine Jurisdiktion: sie stammt ebenfalls von Christus. Die Frage, ob diese Abstammung direkt oder durch den Papst erfolgt, wurde im Trienter Konzil heftig diskutiert. Der Jesuit P. D. LAINEZ vertrat vehement die These, daß allein dem Papst die Jurisdiktion direkt anvertraut ist. Dieser Ansicht schließt sich BELLARMIN an: Obwohl alle Apostel von Christus die Jurisdiktion erhalten haben, ging allein die Jurisdiktion Petri auf seine Nachfolger über; alle anderen Bischöfe erhalten sie durch den Nachfolger Petri. Die anderen Bischöfe sind also nicht in dem eigentlichen Sinne Nachfolger der Apostel wie der Papst der Nachfolger Petri ist: sie sind es nur indirekt.
4.1.5. Von der Vollmacht des Papstes im weltlichen Bereich
Ist die Vollmacht des Papstes rein spirituell oder betrifft sie auch zeitliche Belange? Dieser Frage ist das fünfte Buch - und zugleich der letzte Teil - des Traktates De Romano Pontifice gewidmet. Wie üblich weist BELLARMIN zuerst auf gegebene Meinungen zur Frage:
1° Der Papst habe kraft des göttlichen Rechtes die „vollste Vollmacht“ („plenissimam potestatem“) auf der ganzen Welt sowohl im kirchlichen wie im politischen Bereich;
2° Der Papst als Papst habe kraft des göttlichen Rechtes keine weltliche Vollmacht („nullam habere temporalem potestatem“) und dürfe auch kein weltliches Herrschaftsgebiet annehmen; diese Meinung bezeichnet der Kardinal direkt als Häresie, die von „allen Häretikern dieser Zeit“ vertreten wird;
3° Der Papst als Papst habe zwar „directe et immediate“ keine Vollmacht im weltlichen Bereich, sondern nur die geistliche („spiritualem“), aufgrund aber dieser letzteren hat er „indirecte potestatem quandam, eamque summam, in temporalibus“; diese Meinung ist „sententia Catholicorum Theologorum communis“.
Der Beweis dieser These erfolgt nun in drei Punkten:
1° Der Papst hat kraft der göttlichen Rechtes direkt („directe“) keine weltliche Vollmacht („temporalis potestas“).
2° Der Papst hat aufgrund seiner geistlichen Monarchie („ratione suae spiritualis Monarchiae“) auch die höchste weltliche Vollmacht, und zwar die indirekte, d.h. im Sinne der Zuordnung der weltlichen Dinge auf das geistige Wohl („in ordine ad bonum spirituale summam potestatem disponendi de temporalibus rebus omnium Christianorum“), gemäß dem bereits bekannten Gleichnis vom Geist und Körper des einen Menschen.
3° Es verstoßt nicht gegen das göttliche Recht, wenn derselbe Mensch zugleich ein kirchlicher und weltlicher Fürst hat, d. h. wenn ein Bischof auch aktuell eine direkte weltliche Vollmacht über ein Gebiet hat. Dies ergibt sich aus:
- den Beispielen („exemplis Sanctorum“) vieler Heiligen bereits im Alten Testament;
- den Vernunftgründen („ratione“): die kirchliche und die weltliche Vollmacht sind keine Gegensätze, sondern sind einander zugeordnet; außerdem waren diejenigen, die dem Bischof von Rom oder den anderen Bischöfen weltliche Herrschaftsgebiete schenkten, „pii homines“ (KONSTANTIN, KARL d. Große, LUDWIG von Frankreich), diejenigen dagegen, die kirchliche Fürstentümer beseitigen wollten (HEINRICH IV und V, OTTO IV, FRIEDRICH I und II), sind bekannt als gottlos und räuberisch;
- der Erfahrung: theoretisch („absolute“) ist es besser, wenn die Bischöfe nur das Geistliche und die Könige nur das Weltliche regieren; dennoch ist „propter malitiam temporum“ nicht nur nützlich, sondern auch „notwendig“ („necessario“), daß Bischöfe auch weltliche Fürsten sind; wenn nämlich in Deutschland die Bischöfe nicht zugleich weltliche Fürsten gewesen wären, dann hätten sie „in suis sedibus“ nicht bleiben können.
Damals gab es zwei extreme Positionen diesbezüglich:
1° Recht viele Kanonisten schrieben dem Papst kraft göttlichen Rechtes die höchste Vollmacht über der ganzen Welt, und zwar sowohl im kirchlichen wie im weltlichen Bereich.
2° Die Protestanten und royalistische Katholiken (der berühmteste war BARCLAI) hielten an der Tradition der mittelalterlichen Legalisten fest und vertraten die Meinung, daß der Papst laut göttlichem Recht keine Macht in zeitlichen Dingen habe und keine Befehle an weltliche Herrscher erlassen könne, geschweige denn diese einsetzen oder absetzen.
Dagegen nimmt BELLARMIN eine mittlere Position ein: Der Papst hat als solcher keine direkte Macht in weltlichem Bereich, sondern nur im geistlichen; wegen aber dieser geistlichen Macht hat er indirekt in bestimmten Fällen die höchste Macht im weltlichen Bereich. Der Kardinal entkräftet auch im Einzelnen die genannten Position. Vor allem betont er, daß nach der Hl. Schrift - die von den „Schlüsseln des Himmelreiches“ spricht - der Papst als Nachfolger Petri nicht „Schlüssel“ des irdischen Reiches erhalten habe. Von der weltlichen Macht der Päpste spricht weder die Hl. Schrift noch die Zeugnisse der Väter. Vielmehr ist von Anerkennung der weltlichen Herrscher die Rede. Auch Christus selbst hatte keine weltliche Souverainität. Die Ansicht 2° ist aber viel gefährlicher, denn der Papst hat insoweit auch Vollmacht über den weltlichen Bereich, inwieweit von den zeitlichen Belangen das geistige Wohl, das Seelenheil abhängt. Zur Veranschaulichung bringt BELLARMIN die klassische Lehre von den zwei Mächten in Analogie zu Seele und Leib des Menschen: die notwendige Einheit und zugleich Subordination des Leibes unter die Seele. Aus diesen Prinzipien leitet er praktische Konsequenzen ab, z.B.: Der Papst könne nicht einen Fürsten so absetzen wie einen Bischof, er kann aber Staaten organisieren, etwa durch Verleihung des Thrones an einen Fürsten, wenn dies das Wohl der Seelen verlangt; Er könne nicht normalerweise staatliche Gesetze verabschieden, er könne sich aber für solche einsetzen, die dem Seelenheile dienen, und gegen solche auftreten, die gegenteilig sind; in diesem Sinne könne er seinen Einfluß auf den Herrscher ausüben; Der Papst könne nicht als Richter in weltlichen Streitigkeiten urteilen, er könne aber diese Rolle übernehmen, wenn das Wohl der Seelen dies verlange.
Diese Lehre ist für ihn eine logische Konsequenz aus der göttlichen Verfassung der Kirche, und zwar in folgender Weise:
1° Die weltliche Autorität ist der geistlichen untergeordnet, aber beide bilden dieselbe christliche Republik; der geistliche Souverain kann dem weltlichen Befehle erteilen und in seinem Bereich entscheiden, wenn die das Seelenheil verlange.
2° Die kirchliche Republik soll eine vollkommene sein, d.h. über alle Mittel zur Erreichung ihres Zieles verfügen; dies bedeutet: damit die Kirche ihr geistlichen Ziel erreichen kann, braucht sie auch weltliche Mittel.
Damit hängt die berühmte, von BERNHARD stammende und vom Papst BONIFAZ VIII (Unam Sanctam) übernommene Lehre von den zwei Schwertern in der Hand des Papstes zusammen. Diese besagt, daß der Papst über das geistliche Schwert verfügt, diesem ist aber das weltliche untergeordnet, so daß der Papst dem König je nach Bedürfnissen der Kirche befehlen kann, sein Schwert zu gebrauchen.
3° Laut BELLARMIN aber ist es die Pflicht des christlichen Volkes, einen ungläubigen oder häretischen Fürsten abzusetzen. Es ist allerdings die Sache des Papstes, über die Schuld des Fürsten und somit über seine Absetzung zu entscheiden.
4° Wenn die Fürsten die Krone erbitten, dann nehmen sie mindestens implizit auf sich die Verpflichtung, sich unter das Zepter Christi zu stellen sowie den christlichen Glauben zu verteidigen und zu schützen. Wenn sie dem nicht entsprechen, kann die Kirche sie der Krone berauben.
5° Der Kardinal führt Schrift- (vor allem J 21,16, mehrere alttestamentliche und paulinische) und Väterzitate und auch krichengeschichtliche Beispiele zur Begründung der päpstlichen Vollmacht an und wendet sie an das Verhältnis zum einem weltlichen Herrscher an. Es geht letztlich darum, daß ein Herrscher dem göttlichen Gesetz untersteht, dessen Repräsentant der Papst ist. Wichtig ist für ihn auch die Unterscheidung zwischen der direkten und der indirekten Vollmacht: diese letztere Art trifft für die Vollmacht des Papstes in weltlichem Bereich.
Vor diesem Hintergrund erschien die Frage nach dem Recht eines Tyranenmordes. Seine Ansicht diesbezüglich läßt sich in der Antwort BELLARMINs an JAKOB von England erkennen: Es ist zwar kein Aufruf oder Erlaubnis eines Papstes bekannt, einen unwürdigen Herrscher zu töten. Der Papst kann aber einen häretischen Fürsten absetzen und seine Krone einem anderen geben. Wenn in solchem Fall ein legitimer Krieg entsteht und der abgesetzte dadurch getötet wird, ist dies eine legitime Konsequenz der päpstlichen Vollmacht. In diesem Sinne ist der Legitimität eines Tyranenmordes wohl zuzustimmen, obwohl der Kardinal sich direkt so nicht äußert. Er fügt aber Einschränkungen hinzu: Der Papst soll nur die Absetzung verkünden, die Ausführung aber den anderen überlassen. Diese sollen aber auch keine Kleriker oder Mönche sein.
Zum Schluß seiner Ausführungen wendet sich BELLARMIN gegen CALVIN, der sich gegen weltliche Souverainität der Geistlichen aussprach. Dagegen hebt der Kardinal hervor, daß Christus nie eine Verbindung von geistlicher und weltlicher Macht verboten habe. Die Erfahrung der Kirche im Laufe der Jahrhunderte zeige vielmehr viele Vorteile einer solchen Union.
4.2. Über Konzilien
Die vierte Controversia generalis beschäftigt sich mit den Konzilien, genauer mit ihrer Natur und der Begründung („de natura et causis Concilii“). Die Sache wurde bereits angesprochen. So z.B. sagte der Kardinal bereits zuvor, daß Konzilien zu den „media humana et ordinaria, quibus deveniri potest ad veram rei cognitionem“, gehören. Erst hier aber folgt eine systematische Abhandlung. Sie gehört in den Zusammenhang der Erörterungen über die „Ecclesia militans“, wird wohlüberlegt zwischen das Traktat über den Papst und über die Kirche eingeschoben, und zwar mit der Begründung, daß es sich um das Thema handelt, das mehr mit dem ersteren als mit dem letzteren in Verbindung steht („magis connexa“). Die controversia betrifft die Definition eines legitimen Konzils und die Autorität eines solchen Konzils; den Hintergrund bildet ausdrücklich das Unterfangen der „haeretici hujus temporis“, „novam formam Conciliorum“ zu schaffen.
Der Stoff wird in folgende drei Schritte aufgeteilt:
1° Zusammenfassung („sine contentione ad modum simplicis narrationis“) dessen, was über die Materie und die einzelnen Konzilien bereits geschrieben worden ist;
2° Definition der Natur eines legitimen Konzils („natura legitimi Concilii“), konkret die „causae“: „de materia, forma, fine et efficiente Conciliorum“;
3° Autorität der Konzilien („de auctoritate“), und zwar sowohl „absolute“ als auch im Vergleich zur Autorität der Hl. Schrift und des Papstes.
Ad 1°
Dazu werden wichtigste Quellen und Autoren genannt, dann wird die Bezeichnung „concilium“ bzw. suvnodoı erläutert, es werden Arten der Konzilien nach verschiedenen Kriterien unterschieden („generalia, nationalia, provincialia, dioecesana“, „a Apostolica Sede approbata atque ab Ecclesia universa recepta, omnino reprobata, partim approbata partim reprobata, nec approbata nec reprobata“).
Ad 2°
Gemäß der Ankündigung wird die Frage nach vier „causae“ aufgeteilt: „ad finem, causam efficientem, materiam, et formam“.
Zuerst nennt der Kardinal folgende sechs „causae“ für das Stattfinden der Konzilien:
- neue Häresie, die erst beurteilt werden muß,
- Schisma zwischen Päpsten,
- Abwehr eines Feindes der Kirche („resistentia communi hosti totius Ecclesiae“),
- Verdacht einer Häresie beim Papst oder seine unverbesserliche Tyrannei („suspicio haeresis in Romano Pontifice... vel etiam tyrannis incorrigibilis“),
- Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Papstwahl („dubitatio de electione“), wenn z. B. die Kardinäle einen Papst nicht wählen können oder wollen, oder wenn sie alle gestorben sind,
- eine generelle Reform der Mißbräuche und Laster in der Kirche („reformatio generalis“).
Auf diesem Hintergrund wird die Nützlichkeit und gewisse Notwendigkeit besprochen: die Konzilien - sowohl allgemeine als auch partikulare - sind notwendig nicht wegen Unentbehrlichkeit für das Fortbestehen der Kirche, sondern um große Gefahren abzuwenden („quodam modo necessaria, non tamen absolute“).
Es werden weitere Fragen erörtert:
- Die Vollmacht der Einberufung eines Konzils: sie entspricht dem Rang, d. h. dem Umfang; demnach wird ein diözesanes Konzil vom zuständigen Bischof einberufen, ein provinzionales durch den Erzbischof usw.; am meisten kontrovers ist „Concilium generale“: nach katholischer Auffassung ist es die Sache des Papstes („proprie pertinere“), die Ausübung dieser Kompetenz kann allerdings verschiedene Formen annehmen;
- Das Recht der Beteiligung (hier geht es ausdrücklich um die „materia“ des Konzils): Die Beteilung ist verschieden, nämlich „suffragium decisivum“, „suffragium consultivum“, außerdem „notarii“, „custodes“; nach katholischer Auffassung gebührt die erste alleine den „praelati majores“, d. h. die Bischöfe auf ordentliche Weise und außerdem aufgrund von Privilegien und Gewohnheitsrecht die Kardinäle, Äbte und Generalobere der Orden, obwohl sie keine Bischöfe sind; für andere Arten der Beteiligung können Priester, andere Geistliche und auch Laien berufen werden; jedoch ist nur Einladung aller Bischöfe erfoderlich.
- Das Wesen der Beteiligung (hier geht es ausdrücklich um die „forma“ der Konzilien): die Konzilien haben „formam judicii“, nicht nur „inquisitionis“ (wie die Reformatoren meinten); die Bischöfe nehmen teil als „Judices“, nicht als „Consiliarii“, und ihren Beschlüssen ist sind „necessario sequendas“.
- Der Vorsitz (als zweiter Teil der Frage nach der „forma“): unter den Bischöfen gibt es eine Rangordnung, nämlich einen Vorsitz; dieser ist Sache des Papstes bzw. seiner Legaten; wenn bei den orientalischen Konzilien der Kaiser den Vorsitz hatte - wobei der Papst nicht anwesend war -, dann nicht „proprie ut Judex“, sondern lediglich äußerlich, dem Platz nach. Eigens werden diesbezügliche Ansichten CALVINs und LUTHERs widerlegt.
Ad 3°
Der Frage der Autorität der Konzilien ist der liber II derselben controversia generalis gewidmet. Es geht um die Frage, ob die „judicia“ der Konzilien „certa et infallibilia“ sind. Diese wird in zwei Schritten behandelt:
- „auctoritas considerata absolute“, und dazu wird zwischen den vom Papst bestätigten und den vom Papst noch nicht bestätigten Konzilien unterschieden;
- „auctoritas comparata cum aliis similibus principiis fidei“ wie Hl. Schrift und päpstliche Dekrete.
Es werden folgende Thesen vorgetragen und begründet:
- Sowohl allgemeine wie partikulare Konzilien, die vom Papst bestätigt worden sind, sind unfehlbar; dazu werden auch konkrete Beispiele, auf die sich die Gegner beriefen, erörtert.
- Partikularkonzilien, die vom Papst nicht bestätigt worden sind, können irren.
- Allgemeine vom Papst noch nicht bestätigte Konzilien können irren, wenn sie nicht einer Instruktion des Papstes folgen.
Zum zweiten Schritt weist der Kardinal vor allem auf mehrfachen Unterschied („discrimen“) zwischen der Hl. Schrift und den Dekreten eines Konzils:
- Die Hl. Schrift ist „verbum Dei immediate revelatum et scriptum quodammodo Deo dictante“, obwohl man das nicht so mißverstehen darf, daß die Verfasser immer neue Offenbarungen („novas revelationes“) haben müßten und niederschrieben, was sie zuvor nicht gewußt hätten; die Konzilien dagegen weder haben noch schreiben „immediatas revelationes“, sondern nur erklären („declarant“), was das Wort Gottes ist und wie es zu verstehen ist, und ziehen daraus Schlußfolgerungen („conclusiones“); Konzilsdefinitionen bringen also nicht unfehlbare Wahrheiten hervor, sondern erklären bestimmte Wahrheiten für unfehlbar.
- Die Verfasser der Hl. Schrift mußten nicht erst nach dem suchen, was sie niederschreiben sollten, dagegen müssen die Konzilien erst erforschen, die Schlußfolgerungen prüfen usw.
- In der Hl. Schrift kann sich kein Irrtum in bezug auf den Glauben, die Sitten und auch in Einzelfrage, die entweder die ganze Kirche oder eine Person betreffen (wie z.B. daß Petrus den Hl. Geist hatte); die Konzilien dagegen können irren „in judiciis particularibus“.
- In der Hl. Schrift gehören nicht nur Sätze („sententiae“), sondern auch alle einzelnen Worte zum Glauben („ad fidem pertinent“); dagegen gehört der größte Teil der Aktivität („magna pars actorum“) eines Konzils nicht zum Glauben; selbst in den Dekreten bezüglich des Glaubens gehören nicht die Worte, sondern nur ihr Sinn („sensus“) zum Glauben.
- Die Hl. Schrift bedarf nicht der Approbation durch den Papst, damit sie als authentisch gilt, wie es für Konzilien erforderlich ist.
Schließlich wird das Verhältnis zum Papsttum behandelt, nämlich ob ein Konzil über dem Papst steht. Die Frage wurde seit dem Konzil von Pisa und dann in Basel besonders aktuell. Der Vergleich kann zweierlei geschehen: zwischen einem echten, unzweifelhaften Papst und einem allgemeinen Konzil unter Vorsitz desselben (persönlich oder durch Legaten), oder zwischen einerseits einem Papst und andererseits einem allgemeinen Konzil, dem der Papst nicht vorsteht (weder persönlich noch durch Legaten). Im letzteren Fall handelt es sich nicht um ein echtes Konzil und somit steht die Autorität dieser Versammlung zweifellos unter der des Papstes. Es bleibt also die Frage, ob ein echtes Konzil - also eines mit dem Papst - größer sei als der Papst allein („majus solo Papa“).
Diesbezüglich kennt BELLARMIN drei verschiedene Auffassungen der Theologen:
- Ein Konzil steht über dem Papst (so meinen die Häretiker); dahinter steht die Auffassung, daß der Papst nicht „proprie caput Ecclesiae universae simul congregatae“ - d. h. auf einem Konzil - sei, sondern seine Autorität nur von der gesamten Kirche beziehe.
- Der Papst sei über dem Konzil und könne von niemand gerichtet werden, könne sich aber selbst einem Konzil unterstellen, d.h. ihm Vollmacht über sich selbst übergeben; dies ist die Auffassung „aliquorum Canonistarum“.
- Folgende Auffassung ist „fere communis“: Der Papst sei über dem Konzil und könne sich keiner koaktiven Sentenz des Konzils unterstellen („non possit... se subjicere“).
Die Begründung erfolgt gemäß einzelnen Thesen:
1° Der Papst ist unmittelbar von Christus eingesetzt („immediate constitutus“) als der Hirte und Haupt auch der ganzen universalen Kirche; diese These wurde bereits im Traktat De Pontifice begründet, dennoch bringt der Kardinal noch einmal eine Beweisführung.
2° Ein Konzil hat nicht die höchste Vollmacht („summam potestatem“).
3° Der Papst steht absolut über dem Konzil („absolute esse supra Concilium“).
4° Er kann sich nicht einer koaktiven Sentenz der Konzilien unterwerfen.
Die Auseinandersetzung um den Konziliarismus im 15. und 16. Jh. sowie die These der Protestanten stehen hier im Hintergrund. Mit diesem Thema beschäftigten sich zunächst bereits römische Theologen wie TURRECREMATA und CAJETAN. Die Angriffe der Reformatoren forderten neue Stellungnahme heraus. Mehrere zeitgenössische Theologen unternahmen dies. BELLARMIN konnte also auf zahlreiche Literatur zurückgreifen.
Er fängt mit der Fragen nach dem Ursprung einer solchen kirchlichen Versammlung und meint, daß dieser wahrscheinlich göttlich sei, und zwar aufgrund der Worte Christi in Mt 18,20; auf jeden Fall aber sei er apostolisch (aufgrund von Apg 15,6f). Er unterscheidet verschiedene Arten von Konzilien: allgemeine, nationale, provinziale, diözesane. Die wichtigste Unterscheidung bezieht sich aber auf die Approbation durch den Apostolischen Stuhl und Rezeption durch die gesamte Kirche. Im Lichte dieser beiden genannten Kriterien zählt BELLARMIN achtzehn Konzilien auf: Nicaenum, Constantinopolitanum I, Ephesinum, Chalkedonense, Constantinpolitanum II und III, Nicaenum II, Constantinopolitanum IV, Lateranense I, II, III, IV, Lyonense I und II, Viennense, Florentinum, Lateranense V, Tridentinum. Zu den verworfenen Konzilien rechnet vor allem das Pisanum (1511), von Konstanz, von Basel. Das Pisanum aus dem Jahre 1409 qualifiziert er zu solchen, die weder approbiert noch verworfen wurden.
Die Ursachen der Einberufung eines Konzils sind von Art einer ernsthaften Bedrohung für die Kirche: eine neue Häresie, ein Schisma zwischen zwei Päpsten, Gefahr durch einen gemeinsamen Feind der Christen, Verdacht der Häresie des Papstes bzw. schädliche Machtausübung durch denselben (im Falle der festgestellten Häresie wird er abgesetzt, im Falle der Tyrannei kann er nur ermahnt werden). Ein Konzil kann nützlich sein, es ist aber ein außerordentliches Mittel, ohne das Kirche auch lange Zeit auskommen kann, wie die Kirchengeschichte bezeugt. Dieses Mittel kann oft der geeignetste sein; in diesem Sinne sprechen die Väter von „Notwendigkeit“ dieser Maßnahme. In Sinne aber, daß es sich um Versammlung aller Bischöfe handelt, kann man von echter Notwendigkeit sprechen. Dies widerspricht nicht dem Prinzip, daß der Papst der höchste Richter ist. Er kann auch entweder selbst entscheiden, oder auf göttliche Eingebung warten, oder auch ein Konzil einberufen, um zur Lösung einer Frage bzw. eines Problems zu gelangen.
Die Frage nach der Vollmacht, ein Konzil einzuberufen, wurde damals heftig diskutiert. LUTHER, CALVIN und andere wichtigste Vertreter des Protestantismus meinten, daß dies alleine einem universalen Herrscher, dem Kaiser, zustehe. Dagegen sagt BELLARMIN, daß alleine der Papst ein allgemeines Konzils einberufen könne; es genüge aber auch, wenn dieser eine Einberufung durch jemand anderen - eventuell erst nachträglich - ratifiziere. Dies sei notwendig, damit es sich um ein Konzil handeln könne.
Was ist, wenn der Papst tot, gefangen, geistig erkrankt ist? Ein Konzil ohne Teilnahme des Papstes könne nur ein unvollkommenes sein. Ein solches könne aber stattfinden, um einen Papst zu wählen, sei es nach Einberufung durch die Kardinäle oder durch Zusammenkunft aus eigener Initiative der Bischöfe aus der ganzen Welt.
Wer hat Recht am Konzil teilzunehmen? Die römische Kirche hat dieses Recht den Bischöfen und Äbten reserviert. Laut BELLARMIN seien nur Bischöfe ordentliche Mitglieder eines Konzils, denn nur sie sind ordentliche Hirten und Inhaber der Jurisdiktion; aufgrund eines Privilegs bzw. Bewohnheitsrechtes seien es auch Kardinäle, die keine Bischöfe sind, die Äbte, Generaloberen der Orden; Priester und andere Kleriker könnten als theologische Berater zugelassen werden, allerdings ohne Stimmrecht; ebenso die Fürsten.
Welche Anzahl der Bischöfe ist erforderlich? BELLARMIN bemerkt, daß mehrere Pseudo-Konzilien („conciliabula“) zahlreicher waren als etliche ökumenische Konzilien. Er stellt folgende Erfordernisse bezüglich der Teilnahme auf:
1° die Einberufung müsse universell, d. h. an alle christliche Länder ergangen sein;
2° kein Bischof, der in der Gemeinschaft mit der Kirche steht, dürfe ausgeschlossen sein;
3° die vier orientalischen Patriarchate sollten entweder selbst oder durch Delegierte anwesend sein (hier läßt der Kardinal allerdings Ausnahmen zu, wie es bereits aus der Antike bekannt ist);
4° es müsse mindestens die Mehrheit der christlichen Länder vertreten sein.
Die im Konzil tagenden Bischöfe seien nicht einfache Gelehrte, sondern agierten als wahre Richter im Glauben und ihren Dekreten sei Gehorsam zu leisten. Der Papst sei allerdings nicht einfaches Mitglied oder ein Vorsitzender des Konzils, sondern das souveräne Haupt der Kirche. Er kann also Erlässe der Versammlung annulieren oder sich der Ansicht der Minderheit anschließen.
Sind Dekrete eines allgemeinen, vom Papst approbierten Konzils unfehlbar? Gegen LUTHER und CALVIN bringt BELLARMIN die berühmte Stelle in Mt 18,20 vor, indem er in ihr die Verheißung der Infallibilität der Kirche sieht; außerdem beruft er sich auf J 16,13 samt Apg 15,28 (vom Hl. Geist). Allerdings sind die Bischöfe nicht als einzelne unfehlbar, sondern als Versammlung.
Der Kardinal geht noch weiter und meint, daß auch ein vom Papst approbiertes Dekret eines Partikularkonzils unfehlbar sei; diese Meinung vertritt er aber nicht als de fide.
Zugleich aber erkennt der Kardinal an, daß auch in den Konzilien bestimmte menschliche Mechanismen stattfinden: der göttliche Schutz betrifft nur die Dekrete selbst, nicht ihr zustandekommen.
Zur Frage, wie ein Konzil als ein legitimes erkannt werden kann, weist BELLARMIN vor allem auf die Einberufung durch den Papst und das menschliche Zeugnis, daß andere für Legitimität erforderlichen Bedingungen erfüllt waren. Seine Unfehlbarkeit kann aber nur die Glaubens- und Sittenlehre betreffen, nicht etwa das Wissen um Fakten.
Besitzt ein Konzil die Unfehlbarkeit bereits vor der Zustimmung des Papstes? Dazu sind mehrere Situationen denkbar. Wenn die Dekrete trotz des Protestes der päpstlichen Legaten oder gegen den Willen oder die Instruktionen des Papstes selbst erlassen wurden, sind sie nicht unfehlbar. Wenn sie von päpstlichen Legaten approbiert wurden, die darin ohne klare Richtlinien des Papstes gehandelt haben, sind sie ebenfalls fehlbar, denn es ist keine Einstimmigkeit zwischen dem Haupt und den Gliedern der Kirche gegeben. Unfehlbar sind nur die Dekrete, die mit den Instruktionen des Papstes übereinstimmen und durch seine Legaten approbiert wurden.
Besitzt ein allgemeines Konzils höhere Autorität denn die Hl. Schrift? Die Hl. Schrift sei wohl die höchste Norm, die aber von den Konzilien ausgelegt und umgesetzt werde.
Kann es ein vom Papst unabhängiges allgemeines Konzil geben? Der Papst sei das Haupt der ganzen Kirche und auch einer jeden Teilkirche. Kirchliche Vollmacht ohne den Papst könne es nicht geben. Der Papst stehe also über jeder anderen kirchlichen Autorität.
BELLARMIN erörtert den Fall, der auch GERSON beschäftigt hat, nämlich wenn ein Papst schlecht sei. Die Kirche könne zwar einen solchen Papst nicht absetzen, sie könne aber den Herrn bitten, diesem Übel abzuhelfen. Dann wird Gott den schlechten Papst entweder bekehren oder entfernen, bevor er die Kirche ruiniert hat. Dies soll aber nicht heißen, daß man sich gegen Destruktion nicht wehren dürfe; es sei erlaubt, den Papst mit allem Respekt zu ermahnen und sich ihm sogar gewaltsam zu widersetzen, wenn er die Kirche zu zerstören suche.
4.3. Über die Natur und die Merkmale der Kirche
In derselben vierten Controversia generalis, die den Konzilien gewidmet ist, bringt BELLARMIN auch ein mehr grundsätzliches Thema, das in den bisherigen Erörterungen bereits angeklungen ist: die libri III. („De Ecclesia militante toto orbe terrarum diffusa“) und IV. („De notis Ecclesiae“), die inhaltlich zusammengehören, sind der Natur, den Eigenschaften und Merkmalen der wahren Kirche gewidmet.
Der Kardinal geht wiederum systematisch vor, indem er zuerst von der Kirche allgemein („de ipsa secundum se“) spricht, und zwar in folgenden Unterthemen:
1° „de nomine et definitione Ecclesiae“;
2° „de qualitate, seu de visibilitate ejusdem“;
3° „de notis, quibus ea certo cognosci potest“;
Die Thematik der einzelnen Glieder der Kirche („de membris ejus“) ist schon der Inhalt der fünften Controversia generalis.
Ad 1°
Zunächst zählt BELLARMIN die Theologen (samt ihren Werken) auf, die zum Thema bereits geschrieben haben (von AUGUSTINUS und CYPRIAN bis GREGOR de VALENCIA). In eigener Darlegung geht er von der Etymologie (ejkkalevw) aus und definiert: „Ecclesia est evocatio, sive coetus vocatorum, quia nemo ad hunc populum se adjungit per se, et suo proprio instinctu“. Zum biblischen Gebrauch des Wortes macht er einige Bemerkungen und weist darauf hin, daß es nun um die Kirche Christi als Gemeinschaft der Gläubigen geht.
Zur Sache selbst zählt er zunächst fünf Häresien auf:
1° Die Kirche sei Versammlung der Vorherbestimmten („praedestinatorum congregatio“);
2° Die Kirche sei die Masse der vollkommenen, völlig sündlosen Menschen („hominum perfectorum nullum peccatum habentium multitudo“);
3° Die Kirche sei Versammlung der Gerechten, d.h. jener, die niemals gegen das Bekenntnis des Glaubens verstoßen haben („justorum congregatio, qui nunquam lapsi sunt circa fidei confessionem“);
4° Die Kirche sei Versammlung der Heiligen („Sanctorum congregationem, qui vere credunt et obediunt Deo“), demnach gehören die Sünder nur dem Namen nach der Kirche an; somit sei die wahre Kirche unsichtbar, die sichtbare, d. h. die Versammlung von Menschen, die in der Doktrin des Glaubens und im Gebrauch der Sakramente übereinkommen („convenientium“), sei nur dem Namen nach Kirche; dabei seien alle Sünden von sich aus Todsünden, sie können nur durch Gottes Barmherzigkeit, die sie dem Gläubigen nicht anrechnet, läßlich sein;
5° Die Kirche bestehe nur aus gerechten Vorherbestimmten („ex solis justis praedestinatis“), sie könne also nur Gott bekannt sein.
All diesen Irrlehren stellt die katholische Auffassung entgegen: „Ecclesiam unam tantum esse, non duas, et illam unam et veram esse coetum hominum ejusdem Christianae fidei professione, et eorumdem Sacramentorum comunione colligatum, sub regimine legitimorum pastorum, ac praecipue unius Christi in terris Vicarii Romani Pontificis“. Aufgrund dieser Definition läßt sich leicht feststellen, welche Menschen zur Kirche gehören und welche nicht.
Aufgrund von einzelnen Bedingungen der Zugehörigkeit läßt sich sagen:
- Aufgrund der ersten Bedingung sind von der Kirche alle „infideles“ ausgeschlossen, und zwar sowohl diejenigen, die nie der Kirche angehörten, wie Juden, Mahommedaner und Heiden, als auch diejenigen, die abtrünnig geworden sind, wie Häretiker und Apostaten.
- Aufgrund der zweiten Bedingung gehören die Katechumenen und die Exkommunizierten nicht zur Kirche.
- Aufgrund der dritten Bedingung sind die Schismatiker von der Kirche ausgeschlossen.
Alle anderen, auch wenn sie „reprobi, scelesti et impii“ sind, gehören der Kirche an. Die Kirche ist nämlich „coetus hominum ita visibilis et palpabilis ut est coetus populi Romani, vel Regnum Galliae, aut Respublica Venetorum“. BELLARMIN bekennt sich aber zum Gleichnis des AUGUSTINUS, der die Kirche als ein aus Seele und Leib bestehendes Ganzes versteht: das „corpus“ ist das äußere Bekenntnis des Glaubens und die Feier der Sakramente, die Seele sind „dona Spiritus Sancti, Fides, Spes, Charitas etc.“ Demnach können manche nur zur Seele (die Katechumenen und die Exkommuzierten, insoweit sie den Glauben und die Liebe haben), die anderen aber nur zum Leib der Kirche gehören (wie diejenigen, die keine „internam virtutem“ haben). Eigens wird noch begründet, daß Ungetaufte, Häretiker, Apostatiker, Exkommunizierte und Schismatiker der Kirche nicht angehören, daß ihr aber „Nichtprädestinierte“, Unvollkommene, selbst öffentliche Sünder, heimliche Ungläubige („infideles occulti“) angehören, soweit sie die Sakramente, das Bekenntnis des Glaubens und die kirchliche Unterordnung haben.
Ad 2°
Nach der Frage „quid sit Ecclesia“ wird nun „qualis sit Ecclesia“ gefragt. Es handelt sich um Antwort auf folgende dreifache These der Häretiker:
- die wahre Kirche sei unsichtbar und nur Gott bekannt;
- die sichtbare Kirche könne im Glauben und in Sitten irren und so zutieft fehlerhaft sein;
- die wahre, d.h. die unsichtbare Kirche könne niemals fehlerhaft sein oder irren in den Sachen, die heilsnotwendig sind, sie könne aber in anderen Sachen irren.
Gegen alle drei Behauptungen wendet sich BELLARMIN mit ausführlicher Argumentation.
Ad 3°
Der Liber IV. der controversia über die Konzilien ist den Merkmalen der Kirche gewidmet („De notis Ecclesiae“). Vor allem unterstreicht der Kardinal die Wichtigkeit dieses Themas, indem er Worte CYPRIANs und LACTANTIUS‘ im Sinne der Heilsnotwendigkeit der Kirche anführt und deutet: „in sola vera Ecclesia esse veram fidem, veram peccatorum remissionem, veram spem salutis aeternae“. In den eigentlichen Ausführungen widerlegt er zuerst die Auffassung der Häretiker. Dann legt dann die katholische Lehre von den Merkmalen der Kirche dar. Anfangs bringt er den Vergleich zur Sonne: die katholische Kirche ist wie die Sonne, die ihre Strahlen aussendet, durch die sie leicht als wahr und glaubwürdig erkannt, d.h. von „jeder falschen Religion der Heiden, Juden Häretiker“ unterschieden werden kann. So geben die Merkmale der Kirche zwar keinen evidenten Beweis für ihre Wahrheit („non facere evidentiam veritatis“), wohl aber ihre Glaubwürdigkeit („evidentiam credibilitatis“).
Er zählt insgesamt fünfzehn von ihnen, die eigentlich auf die vier Merkmale aus dem Glaubensbekenntnis zurückgehen („Unam, Sanctam, Catholicam et Apostolicam“), und behandelt sie einzeln:
1. Die Bezeichnung „Catholica“ (für die Kirche und die Christen, d. h. „catholoci“), d.h. Catholicitas;
2. „Antiquitas“ im Gegensatz zu neuen Erfindungen, somit im Sinne der Abstammung von Gott und von Christus; es handelt sich also um die dauerhafte Identität;
3. „Duratio diuturna, nec unquam interrupta“, d.h. „quia semper fuit... etiam semper erit“;
4. „Amplitudo, sive multitudo, et varietas credentium“;
5. „Successio Episcoporum in Romana Ecclesia ab Apostolis deducta usque ad nos“;
6. „conspiratio in doctrina cum Ecclesia antiqua“;
7. „unio membrorum inter se et cum capite“;
8. „sanctitas doctrinae“, d. h. Freiheit vom Irrtum in der Glaubenslehre und von Ungerechtigkeit in der Morallehre;
9. „efficacia dotrina“;
10. „sanctitas vitae auctorum, sive primorum Patrum nostrae religionis“;
11. „Gloria miraculorum“;
12. „lumen propheticum“, d.h. die Gabe der wahren Weissagung;
13. „Confessio adversariorum“, d.h. die Tatsache, daß selbst die Gegner nicht selten die christliche Lehre und das Leben der Christen anerkennen und loben;
14. „infoelix exitus, seu finis eorum, qui Ecclesiam oppugnant“;
15. „foelicitas temporalis, divinitus iis collata, qui Ecclesiam defenderunt“.
Dabei scheinen 1., 2., 3. und 4. der Katholizität, 5.und 6. der Apostolizität, 7. der Einheit, 8. bis 15. der Heiligkeit zugeordnet zu sein.
Auch hier steht die Konzeption der Protestanten im Hintergrund. Aus welchen Gliedern besteht die Kirche? Ist die sichtbar? Welche Merkmal sind ihr eigen? Diese Frage beschäftigte bereits die Kirchenväter in Auseinandersetzung mit den Häretikern, dann auch römische Theologen im Streit mit den schismatischen Griechen, und schließlich mit WICLIF und JAN HUS. Die ersten katholischen Theologen, die gegenüber den Reformatoren die Autorität des Papstes und der Konzilien verteidigten (M. CANO, HOSIUS, DRIEDO, P. SOTO, SAUNDERS, STAPLETON), gingen von der Erklärung der Natur und der Eigenschaften der Kirche aus. Einige widmeten diesen Themen eigene Traktate (wie GÓRSKI, De notis Ecclesiae, Cracoviae 1564; SOCOLOVIUS, De verae et falsae Ecclesiae discrimine, Cracoviae 1583).
BELLARMIN geht von der Etymologie ejkklhvsia- ejkkalevw aus und erklärt sie als „Versammlung der Gerufenen“, derjenigen, die durch göttliche Berufung zusammenkommen. Die Kirche ist also nicht Gemeinschaft von Prädestinierten, von Gerechten oder Heiligen. Es gibt nicht zwei Kirchen, eine der wahren Kinder Gottes und eine der Getauften, sondern nur eine einzige, die eine Gemeinschaft der Menschen ist, die durch das Bekenntnis desselben Glaubens und durch Teilnahme an denselben Sakramenten und unter der Regierung der legitimen Hirten samt dem Papst vereint sind. Der Unterschied zum Kirchenbegriff der Protestanten liegt also in der Sichtbarkeit. Der Kardinal erinnert diesbezüglich an die AUGUSTINISCHE Unterscheidung zwischen der Seele und dem Leib der Kirche: die Gläubigen im Stande der Gnade sind der Leib und Seele der Kirche zugleich; die Ungläubigen im Stande der Gnade gehören ihrer Seele an; die Gläubigen im Stande der Sünde gehören alleine zu ihrem Leib. Erklärte Häretiker und Apostaten sind nicht mehr Glieder der Kirche und müssen ihr erst angegliedert werden, um das Heil zu erlangen; das Prägemal der Taufe allein genüge nicht zur Kirchengliedschaft, denn sonst würde man einen Teil der Kirche in der Hölle annehmen müssen. Dasselbe gelte für Schismatiker und Exkommunizierte. Andererseits genüge bei Ungläubigen, Katechumenen und Büßern das Verlangen nach der Kirche, damit sie zu ihrer Seele gehören (und somit das Heil zu erlangen).
BELLARMIN widerlegt einzelne irrige Auffassungen bezüglich der Kirche, und zwar aufgrund des biblischen Befundes und der Lehre der Väter. In diesem Zusammenhang erklärt er die „Heiligkeit“ der Kirche.
Eine der brisanten Fragen war damals auch das Problem der heimlichen Ungläubigen, d.h. solchen, die nur äußerlich den Glauben bekannten und an den Sakramenten teilnahmen, innerlich aber nicht glaubten und keine christliche Tugend hatten. BELLARMIN antwortet, daß sie zu den äußerlichen, „toten und verdorrten“ Gliedern des Leibes der Kirche gehörten. Wenn so jemand Bischof oder Papst sein sollte, verliert er weder seine Jurisdiktion noch Würde, bis er sich selbst öffentlich von der Kirche trennt oder getrennt wird.
Das Hauptmerkmal der Kirche ist also die Sichtbarkeit. Dies begründet der Kardinal biblisch und patristisch.
Diese Kirche ist dauerhaft und wird nie verschwinden. Gemeint ist allerdings die Gesamtheit, nich der Einzelne.
Diese Kirche ist unfehlbar. Diese Unfehlbarkeit bezieht sich sowohl auf die Gesamtheit der Hirten wie der Gläubigen. Sie bedeutet, daß das, was alle Gläubigen für den Glauben halten, notwendig wahr sei, und was alle Bischöfe als den Glauben lehren, notwendig wahr sei.
Die Sichtbarkeit schließt keineswegs den unsichtbaren Aspekt der Kirche - die Gnade und die Tugenden - aus, dieser aber ist ebenfalls nicht exklusiv.
BELLARMIN formuliert folgenden Syllogimus: Die Kirche Christi ist die Gesamtheit der Menschen, die die Religion Jesu Christi und der Leitung der legitimen Hirten bekennen. Diejenigen, die die Autorität des Stellvertreters Jesu Christi anerkennen, bilden aktuell diese Gesamtheit: sie sind die wahre Kirche Jesu Christi.
Welche sind die sichtbaren Merkmale, durch die man die Kirche von anderen Gesellschaften unterscheiden kann? Auf diese Frage antworteten LUTHER und CALVIN unterschiedlich. BELLARMIN kritisiert die These des letzteren, der zwei Merkmale nannte: das rechtgläubige Predigen des Wortes Gottes und die Verwaltung der mit der Stiftung Christi konformen Sakramente. Die Widerlegung seitens des Kardinals bezieht sich letztlich auf den Mangel des Kriteriums für Feststellung der Rechtgläubigkeit und der entsprechenden Konformität. Auch die von LUTHER genannten Merkmale erweist er als ungenügend. Schließlich präsentiert er seine Lehre. Dazu bemerkt zuerst, daß die Kirche zwar mehrere Kennzeichen hat, die sie von jeder falschen Religion unterscheiden; durch diese Kennzeichen wird es aber nicht „offensichtlich wahr“, daß sie die wahre Kirche Jesu Christi ist, sondern dies wird „offensichtlich glaubwürdig“. Der Unterschied ist wie mit empirischer oder mathematischer Evidenz und dem Urteil aufgrund von Augenzeugen: es ist die Evidenz der Glaubwürdigkeit (der Zeugen). Denn die Merkmale der wahren Kirche haben die Väter überliefert. Der Kardinal findet fünfzehn solche „notae Ecclesiae“, die sich auf vier aus dem Symbolum Nicaeno-Constantinopolitanum (Einheit, Heiligkeit, Katholizität, Apostolizität) zurückführen lassen. Er legt dar, daß sie alle für die katholische - d.h. vom Papst regierte - Kirche zutreffen und nur für sie. Dazu zählt er auch die antiquitas als das Kennzeichen der wahren Religion, da „Gott älter ist als der Teufel“. Die Katholizität meint nicht die geographische Universalität: auch wenn nur eine einzige Provinz den wahren Glauben bewahren würde, hätte sie das Recht, sich katholisch zu nennen. Diese Katholizität ist auf jeden Fall der römischen Kirche eigen, von der übrigens die Verkündigung des Evangeliums in die ganze Welt hinausging.
Zur wahren Kirche gehört auch die Apostolizität. Es gibt keine Kirche ohne Bischöfe als Hirten, deren Vollmacht als von den Aposteln stammend - durch Sukzession und Weihe - nachweisbar ist. Damit ein Bischof als Nachfolger der Apostel gelten kann, muß er nachweisen, daß seine Vollmacht von einem Apostel oder von einem Bischof, der die Vollmacht von einem Apostel erhalten hat, stammt; im Falle eines neuen Bistums kann diese Vollmacht nur vom Apostolischen Stuhl - dem einzigen bestehenden, d. h. dem Papst - verliehen werden. Die Apostolizität - die übrigens den Protestanten auf jeden Fall fehle, da sie den Episkopat ablehnen - genüge alleine allerdings nicht, um die wahre Kirche Christi zu sein.
Die wahre Kirche bewahrt vollkommene Übereinstimmung in der Lehre mit dem antiken Christentum. Dies widerspricht der Auffassung der Protestanten, nach der nur die Kirche der ersten fünf Jahrhunderte den apostolischen Glauben bewahrt hätte. Dagegen betont BELLARMIN die Übereinstimmung der Dogmen der römischen Kirche mit der Doktrin der Väter und zeigt anhand von Beispielen, daß eben die Lehre der Lutheraner und Calvinisten gegen den Glauben der alten Kirche verstoße.
Die wahre Kirche ist durch Einheit zwischen ihren Gliedern untereinander und mit ihrem Haupt - dem Papst - gekennzeichnet. Es fehlte zwar auch in der römischen Kirche nicht an Differenzen, sie hat aber ein Mittel zur Beseitigung aller Kontroversen, nämlich eine Stellungnahme des Papstes oder eines allgemeinen Konzils. Die Häretiker dagegen haben kein Instrument zur Beendigung der Diskussionen und Konflikte.
Die wahre Kirche lehrt nur heilige Doktrin, da sie Gott, die Heiligkeit selbst, als Gründer hat. Alle anderen Religionen und Sekten dagegen enthalten Irrtümer, die selbst der Vernunft widersprechen. Die Doktrin allein der römischen Kirche ist auch reich an Früchten der Heiligkeit, da sie Bekehrung bewirkt, obwohl sie der Gewalt und des menschlichen Imponierens nicht bedient. Die Heiligkeit der Kirche erweist sich auch durch die Heiligkeit ihrer Gründer: Patriarchen, Propheten, Apostel, Lehrer, auch Ordensgründer. Dagegen sind alle Häretiker durch Stolz gekennzeichnet, die meisten auch durch große Laster und Sünden. Selbst LUTHER beklagte am Ende seiner Tätigkeit den allgemeinen Sittenverfall in Deutschland.
Die wahre Kirche glänzt durch Wunder. Diese sind „notwendig zum neuen Glauben, oder zu einer außerordentlichen Mission“, wie die biblischen Beispiel (Mose, die Apostel) zeigen. Zu einem Wunder braucht es die Kraft Gottes. Ein Wunder kann nur etwas Wahres bezeugen. In den von der Kirche getrennten Sekten gibt es keine Wunder. Allerdings können durch Dämonen oder den Antichristen bewirkte Wunder keine Beweise für die Wahrheit ihrer Doktrin sein, denn sie sind nicht echt, sondern nur scheinbar, trügerisch. Zugleich aber geben die Wunder der Kirche keine Evidenz der Wahrheit, sondern Evidenz der Glaubwürdigkeit.
Die übrigen Merkmale der wahren Kirche sind äußerlich, d. h. es sind Zeugnisse, die selbst von ihren Gegnern über die Heiligkeit ihrer Doktrin und ihrer Glieder gegeben wurden. So z.B. das elende Ende ihrer Verfolger, wie der plötzliche Tod LUTHERs, die Erfolge ihrer Verteidiger.
4.4. Über die Stände der Kirche
Die fünfte Controversia generalis behandelt die Glieder der Kirche (De membris Ecclesiae), wobei die Ecclesia militans gemeint ist (die nächste, sechste Controversia generalis handelt De Ecclesia patienti). Daß die ganze Kirche aus vier Arten von Menschen („hominum genera“) besteht („clerici praelati, clerici non praelati, laici principes, laici privati“), wurde bereits erwähnt. Das Traktat fängt mit den Klerikern an (liber I.).
Wie üblich setzt BELLARMIN an der Etymologie der Worte clericus und laicus an. Das Wort klh~roı weist auf Menschen hin, die das Erbe Gottes sind, geweiht seinem Kult, beauftragt durch den Herrn selbst für die Sachen der Religion und der Heiligkeit. Das Wort lao;ı dagegen bezeichnet das Volk, dem keine Teilnahme an kirchlichen Funktionen anvertraut ist. Gegen die Reformatoren betont der Kardinal diese hierarchische Einteilung bei den ältesten Vätern, vor allem bei TERTULLIAN.
4.4.1. Über die Kleriker
Zunächst werden die Begriffe „clerici“ und „laici“ etymologisch erklärt, auch in Rückgriff auf Aussagen der Väter und der Konzilien, und bereits im Hinblick auf protestantische (LUTHERs und CALVINs) Auffassungen. Es geht um die prinzipielle Unterscheidung zwischen Klerikern und Laien: In der Kirche gibt es eine abgestufte Rangordnung, die von Gott eingesetzt worden ist. Diese Unterscheidung ist kein Gegensatz zur Einheit der Kirche, sondern - im Gegenteil - geht es um die Einheit der verschiedenen Glieder des einen Leibes, gemäß der Lehre de Apostel in den Pastoralbriefen und nicht zuletzt in gewisser Analogie zum Alten Bund (Stamm des Levi).
Nach dieser Einleitung bezieht sich eine weitere Frage auf die Einsetzung der Bischöfe und der anderen „Ecclesiae Ministri“, und zwar gemäß ihren drei Elementen: 1° „electio“, 2° „ordinatio“ und 3° „missio“ (bzw. „vocatio“ im Sinne der Verleihung der „jurisdictio“).
Es geht um die Kontrverse, wer hauptsächlich das Recht hat, Bischöfe zu wählen, zu bestellen und zu senden. Vor allem unterscheidet BELLARMIN verschiedene Arten, wie die Wahl stattfinden kann: entweder wählt Gott selbst oder durch Menschen, und in diesem Falle entweder durch natürliche Abstammung, wie im Alten Testament, oder durch Wahl, die entweder ein Mensch oder mehrere Menschen oder auch beide treffen. Wider die Behauptungen der Reformatoren lehre die „Doctores Catholici summa consensione“, daß das Recht Bischöfe zu weihen und zu senden („jus ordinandi ac vocandi“) auf keine Weise dem Volk zukommen kann. Das Recht zu wählen wurde „Pontificum concessione vel conniventia, non lege divina“ praktiziert. Daraus ergibt sich, daß es bei den Häretikern „nullam esse... veram ordinationem, nulla vocationem, nullam electionem, proinde nullos Episcopos, nullam Ecclesiam.“
Näheres sagt er zu den einzelnen Themen:
Ad 2°
Der Kardinal fängt mit der „ordinatio“ an und stellt die These auf: „Ordinationem tum Episcoporum, tum aliorum Ecclesiae Ministrorum, non ad plebem, sed ad solos Episcopos pertinere“. Dies wird durch die Hl. Schrift, Konzilsdekrete und Kirchenväter, als auch durch „mos populi Dei, et exempla majorum“ bewiesen.
Ad 3°
Die zweite These („propositio“) lautet: „Vocatio seu missio Ministrorum non ad populum pertinet, sed ad Episcopos, et potissimum ad summum Pontificem“. Dies hängt mit der Lehre von der Herkunft der „jurisdictio Ecclesiastica“ vom Papst (wie im Traktat De Summo Pontifice dargelegt) zusammen.
Ad 1°
Die dritte These lautet: „Electio Ministrorum Ecclesiae non fit a solo Deo ratione praedestinationis id est, quia solus novit qui sint praedestinati“. Dies wendet sich ausdrücklich gegen J. WICLIF und J. HUSS und unter Berufung auf das Konzil von Konstanz. Der Beweis erfolgt biblisch (Erwählung des Saul, Wahl der Diakone durch die Apostel), patristisch und rational-theologisch (die Wahl durch Gott alleine müßte entweder ganz unsichtbar, verborgen bleiben oder durch Wunder bekannt werden, diese aber sind äußerst selten; sich aber des Loses zu bedienen in den Sachen, die der menschlichen Erkenntnis zugänglich sind, ist nicht erlaubt, „nullo modo licet“).
Weitere Thesen beziehen sich auf konkrete Fragen. Die vierte „propositio“ meint ebenfalls den Modus der Wahl: „Non decuisse Christianos Sacerdotes carnali successione propagari“. Das erste Argument weist darauf hin, daß Melchisedech, nach dessen Ordnung Christus „Priester“ ist, ohne Abstammung war, wie es in Hb 7 heißt. Sonst gilt die Prophetie des Jesaja von der Erwählung der Priester durch Gott aus den Heiden, dann der Unterschied zwischen dem Alten und dem Neuen Testament und schließlich der natürliche Grund, denn die Freiheit von natürlicher Abstammung sichert die beste Wahl.
Die fünfte These fährt fort: „Jus eligendi summum Pontificem, caeterosque Ecclesiae Pastores, et Ministros, non convenit populo jure divino. Sed si quid aliquando in hac re populus potuit, id totum habuit ex conniventia, vel concessione Pontificum“. Dazu werden besonders ausführliche Beweise vorgelegt.
Weitere These betreffen ebenfalls die Wahl. Die sechste spricht von der Wahl des Bischofs („Electio Episcoporum non pertinet jure divino ad Clerum, sed ad summum Pontificem, ut vel ipse eligat, vel praescribat elegendi modum.“), die siebte die Papstwahl („Ratio eligendi summum Pontificem per solos Cardinales, est omnium optima, et merito conservanda, etsi absolute posset Pontifex eam mutare, si vellet.“), ebenso die achte („Si nulla exstaret pontificia constitutio de electione summi Pontificis; vel casu aliquo omnes electores a jure designati, id est omnes Cardinales simul perirent, jus electionis ad Episcopos vicinos et Clerum Romanum pertineret, cum dependentia tamen aliqua a Concilio generali Episcoporum“).
Der dritte Themenkomplex ist die Unterscheidung innerhalb der Klerikerstandes, d.h. 1° die Zahl der Weihegrade, 2° ihre Antiquität und 3° das Amt der Kleriker selbst. Den Hintergrund bildet die Lehre v.a. CALVINs, nach der es nur drei Ämter gäbe (die Bischöfe, die lieber „Pastores“ genannt werden, die Presbyter, d.h. „Ministri verbi“, und die Diakone). Nach katholischer Auffassung sind „ordines“ im eigentlichen Sinne jene „qui certo ritu sacro et solemni confertur ab Episcopo, et ad certum ministerium sacrificio divino exhibendum referuntur“, und zwar konkret: Sacerdos, Diaconus, Subdiaconus, Acolythus, Lector, Exorcista, Ostiarius. Demnach bilden Episcopus und Presbyter hinsichtlich des Opferkultes („quantum ad sacrificium“) dasselbe Dienstamt („idem omnino ministerium exhibent“) und somit „unum ordinem, non duos“.
Zur Antiquität all dieser Stufen beruft sich BELLARMIN gegen die Behauptung CALVINs auf Zeugnisse der ältesten Kirchenväter (CLEMENS, CYPRIAN, CORNELIUS) und Konzilien (Laodicenum, Carthaginiense).
Die Aufgaben der Weihestufen werden einzeln behandelt, wobei es letztlich darum, ob es sich bloß um eine Funktion („officium“) oder auch um eine - vom Bischof verliehene und zur Ausübung dieser Funktion bestimmende - Weihestufe („ordo Ecclesiasticus“) handelt.
Der obersten Stufe des ordo („ordo Sacerdotum“) wird eigenes Kapitel gewidmet, da die Sache am meisten kontrovers ist. Es geht um die Frage, ob ein Presbyter dasselbe wie ein Bischof ist. Die Gleichsetzung von beiden ist „antiqua haeresis“ des AERIUS, der J. WICLIF als auch Lutheraner und Calvinisten folgten. Nach katholischer Auffassung aber ist das Episkopat mehr als Presbyterat, und zwar sowohl der Weihegewalt nach als auch der Jurisdiktion nach („jure divino Episcopatum Presbyterio majorem esse, tum ordinis potestate, tum etiam jurisdictione“). Ausdrücklich wird die Frage ausgeklammert, ob es sich um ein und dasselbe oder um zwei Sakramente handelt.
Es werden aber drei Thesen vorgelegt und begründet:
1° „jure divino majorem esse Episcopum Presbytero, quod attinet ad ordinis potestatem“;
2° „majorem esse etiam quantum ad jurisdictionem“;
3° „Episcopos in veteri Ecclesia non fuisse in coetu Presbyterorum, quasi Consules in senatu, sed quasi Reges ac Principes in coetu Consiliariorum“.
Da CALVIN auch die Kardinäle angriff, wird auch auf diese Gruppe der Kleriker eingegangen, und zwar in folgenden Thesen:
1° „de antiquitate et significatione nominis Cardinalium“: bereits unter Papst SILVESTER gab es Kardinäle; die Bezeichnung bedeutet „Principalis, sive is a quo alii pendent, ut a cardine ostia dependere solent“;
2° „de antiquitate et varietate officii Cardinalium“; es ist dreifach, und zwar erstens die Aufgaben, die auch andere Bischöfe, Presbyter und Diakone haben, zweitens die Papstwahl, drittens die Hilfe für den Papst „consilio et industria“ in der Regierung der Kirche;
3° „de comparatione Cardinalium cum Episcopis“: im Bereich einer Ortskirche ist der zuständige Ortsbischof mehr als jeder anderer Kleriker, auch ein Kardinal; hinsichtlich aber der Regierung der gesamten Kirche ist ein Kardinal-Presbyter und ein Kardinal-Diakon mehr als ein Bischof, der kein Kardinal ist.
Ein eigenes Kapitel wird den s.g. „Chorbischöfen“ gewidmet. Es handelt sich um jene „Vicarii Episcopi“, die weder Priester- oder Diakonenweihe, noch Firmung spenden, noch Kirchen und Altäre weihen können („non poterant“). BELLARMIN erörter die Frage, ob diese Subdiakone weihen dürfen („licuerit“). Die Antwort entscheidet sich daran, ob es geweihte Bischöfe sind, die keine eigene Diözese haben, oder nur Presbyter.
Recht ausführlich wird „coelibatus Sacerdotum“ behandelt, konkret die Frage, ob er „jure divino“ mit den „sacri ordines“ verbunden ist. Es wird beantwortet, daß er „jure Apostolico rectissime“ mit den Weihen verbunden wurde. Entgegengesetzte These der Reformatoren werden widerlegt. Auch die berühmte Stelle von „unius uxoris vir“ (1 Tm 3,12; Tt 1,6), d.h. das Verbot der Digamie für Kleriker, wird besprochen.
Die Abhandlung über die Kleriker endet mit solchen Themen wie der Zehntel („De decimis“), der weltliche Besitz der Kleriker und ihre Exemption von der weltlichen Herrschaft („libertas a jugo potestatis saecularis“).
Entgegen der Behauptung von WICLIF und HUS ist die Wahl und Bestellung der Kleriker nicht Sache des ganzen Volkes. Das Volk hat kein Recht, die Hirten der Kirche zu weihen. So war es bereits im Alten Testament. Auch in Neuen Testament ist das Auflegen der Hände Sache der Apostel und Bischöfe. Die Väter und die ältesten Konzilien bestimmen die Ordination (von Diakonen, Presbytern und Bischöfe) als Aufgabe alleine des Bischofs. Nur ein Bischof kann einem Geweihten die Weihe- und die Jurisdiktionsgewalt verleihen. Nicht Gott alleine verleiht den Prädestinierten auf unsichtbare Weihe die geistliche Gewalt, sondern die sichtbare Kirche braucht sichtbare Hirten. Die Kirche muß dem Handeln ihres Gründers folgen, der die Apostel und Jünger zu Hirten eingesetzt hat. Die Wahl der Hirten selbst ist ein Akt der Regierung in der Kirche und ist somit nicht die Sache des Volkes. Laut dem göttlichen Recht ist die Wahl eines Bischofs auch nicht Sache des Klerus, sondern des Papstes, der entweder einen erwählt oder den Modus der Wahl bestimmt.
Die Wahl des Papstes durch die Kardinäle ist die beste Lösung, sie könnte aber durch den Papst geändert werden. Er soll aber seinen Nachfolger nicht bestimmen. Wenn er gestorben ist, ohne eine Ordnung der Papstwahl zu hinterlassen oder wenn alle Elektoren gestorben sind, dann haben die Nachbarbischöfe von Rom und der römische Klerus unter Überwachung eines allgemeinen Konzils das Wahlrecht. Im Zweifelsfall bezüglich der Wahlordnung ist es Sache eines allgemeinen Konzils, sie zu lösen.
CALVIN und CHEMNITZ ließen nur die drei Amtsstufen gelten, die in de Hl. Schrift auftreten: Episkopat, Presbyterat und Diakonat. Sie verstanden diese aber ganz anders als katholische Theologen. BELLARMIN zählt aber sieben Weihegrade auf, die von einem Bischof zur Ausübung eines Dienstes im heiligen Opfer verliehen werden. Davon bilden Episkopat und Presbyterat dieselbe Weihe („ordo“) für das Darbringen des hl. Opfers. Zu den niederen Weihen weist er auf ihre Bezeugung bereits in den Apostolischen Konstitutionen, bei IGNATIUS v. Antiochien, bei CYPRIAN und KORNELIUS.
Eine spezielle Erörterung ist der Widerlegung der protestantischen These, daß ein Bischof vom göttlichen Recht her nicht mehr als ein Priester sei. Der Kardinal sagt, daß der Bischof kraft göttlichen Rechtes höher steht als der Priester, und zwar wegen der Jurisdiktionsgewalt. Seit der Zeir der Frühkirche kann nur ein Bischof die Priester weihen und so der Kirche Väter geben; die Priester können keine Weihe spenden, sondern nur taufen und somit der Kirche Kinder geben. Es sei außerdem eine einstimmige Lehre der Kirche, daß die Bischöfe Nachfolger der Apostel, die Priester aber Nachfolger der Jünger seien. Bereits zur Zeit der Apostel erkennt man die Höherstellung der Bischöfe über den Priestern. Die Vollmacht der Bischofs über die Priester ist wie eines Königs über seine Berater. Die Konzilien bestanden von Anfang an aus Bischöfen allein, die so ihre Jurisdiktion ausübten. Sie exkommuzierten mehrere Priester, aber es gibt keinen Fall, daß Priester einen Bischof exkommuniziert hätten. Zu der Unklarheit in der Terminologie des Neuen Testamentes bezüglich ejpivskopoi und presbuvteroi antwortet BELLARMIN unter Berufung auf JOHANNES Chrysostomus: damals seien mit beiden Bezeichnungen alle Priester, d.h. sowohl Bischöfe als auch Presbyter, genannt worden, obwohl ihre Vollmachten anders gewesen seien. In diesem Sinne entkräftet er auch die protestantische Berufung auf HIERONYMUS (PL 26, 562; vgl. auch THOMAS v.A., S.Th. II-II, q. 184, a. 6), da der Kirchenvater eben nicht von gleicher Vollmacht der Bischöfe und Priester, sondern vom „episkopalen Charakter“ aller Priester gesprochen habe.
Gegen Beschimpfungen der Kardinäle durch CALVIN erklärt BELLARMIN den Ursprung des Kardinalskollegium. Die erste Erwähnung befinde sich in der römischen Synode zur Zeit des hl. SILVESTER. Von Anfang an waren es Titel bestimmter römischer Hauptkirchen, wo Taufe gespendet wurde. Dann kamen Kardinalsdiakonien hinzu. Schließlich entstanden Kardinalsbistümer. Die Kardinalswürde wurde größer seit der Reservierung der Papstwahl für sie.
Nur flüchtig erwähnt der Kardinal die „Chorbischöfe“: für ihn waren es meist Priester, die den Bischof in Schlössern oder kleineren Städten repräsentierten; sie übten einige dem Bischof vorbehaltene Funktionen aus. Einige waren auch wahre Bischöfe, die zwar keine eigene Kirche hatten, sondern ihren Dienst in anderen Diözesen leisteten (so wie heute Titularbischöfe).
Mit dem Thema der Kleriker ist auch der Zölibat verbunden. Zusammen mit THOMAS v.A. meint BELLARMIN, daß das Keuschheitsgelübde nur kraft der Autorität der Kirche mit dem Weihesakrament verbunden sei und somit der Dispensvollmacht des Papstes unterliege. Die Gründe für den Zölibat betreffen die größte Gebührlichkeit, aber keine Notwendigkeit. Es handle sich um ein kirchliches Recht von hohem Alter, gestützt auf Vernunftgründe und es gebe keinen Grund von ihm abzusehen. Der hl. PAULUS empfehle dem Bischof Enthaltsamkeit und Keuschheit, und zwar wegen des Gebetes. Einzelne Argumente und Belege seitens der Protestanten und der Griechen werden entkräftet. Allerdings brauche es für die Einhaltung des Zölibats eine spezielle Gnade, die Gott nur wenigen verleiht.
Damit verbindet sich auch die Frage der Digamie, d.h. das Verbot, einen zum zweiten Mal verheirateten zur Weihe zuzulassen (vgl. 1 Tim 3,2.12; Tit 1,6). LUTHER und CALVIN interpretierten, daß es sich nur um gleichzeitige Doppelehe (Polygamie) handle. BELLARMIN weist dies entschieden zurück und betont, daß bereits die Väter (außer THEODORET) diese paulinischen Stellen so verstanden wie die Katholiken. Digamie ist übrigens von ihrer Natur aus ein Zeichen der Unenthaltsamkeit.
Berets WICLIF meinte, daß die Gläubigen nicht verpflichtet seien, den Zehntel zu zahlen und wenn sie das tun, einfachen Almosen verrichteten. Dagegen betont BELLARMIN, daß es Sache des Natur- und der göttlichen Rechtes sei, wenn die Gläubigen etwas an die Priester zahlen; daß es aber ein Zehntel sei, das ist schon kirchliches Recht (obwohl aus dem Alten Testament stammend).
Ähnlich verhält es sich mit kirchlichen Pfründen, die vom Thomas WALDENSIS verworfen wurden. Seit der Zeit der Apostel konnt ein Bischof einen Besitz haben (vgl. 1 Tm 3,2).
Die letzte Frage ist das Verhältnis der kleriker zur weltlichen Autorität. Die Protestanten meinten, daß alle Geistlichen der zivilen Macht untergeordnet seien, die zuständig sei, sie sowohl in weltlichen wie auch in kirchlichen Angelegenheiten zu richten. CALVIN nahm hier allerdings die rein kirchlichen Fragen aus. Unter den Katholiken war die Ansicht verbreitet, daß die Kleriker von weltlicher Gerichtsbarkeit ganz ausgeschlossen und die kirchlichen Güter von der Steuer befreit seien. BELLARMIN unterscheidet zwei Schulen unter den Katholiken:
1° Die „Kanonisten“ (wie J. DRIEDO) meinten, daß alle kirchliche Immunität des göttlichen, der natürlichen und der positiven Rechtes sei;
2° Laut den „Theologen“ seien alle Kleriker kraft des göttlichen positiven Rechtes von der Gerichtsbarkeit des zivilen Tribunale für alle alle religiösen und kirchliche Fragen ausgenommen; in zivilen Sachen sind sie ausgenommen nur kraft des kirchlichen Rechtes.
BELLARMIN selbst sieht die Sache ziemlich differenziert. Laut ihm sind die Kleriker kraft des göttlichen positiven Rechts in kirchlichen Angelegenheiten von der zivilen Gerichtsbarkeit ausgenommen, denn denn Staat ist dafür nicht zuständig. Zugleich aber haben die Kleriker dieselben Verpflichtungen gegenüber dem Staat wie andere Bürger, insoweit diese den kirchlichen Normen nicht widersprechen. Es gibt aber eine Ausnahme: wenn die Kirche ein Gesetz in einer zivilen Angelegenheit erlassen hat, ist dieses für die Kleriker verpflichtend. Wenn ein Kleriker gegen zivile Gesetze verstoßt, kann ein weltlicher Gericht über ihn nicht urteilen, da „ein Schaf über einen Hirten nicht urteilen“ kann. Im selben Sinne sind die sowohl weltlichen als auch kirchlichen Güter der Kleriker frei von Steuern gegenüber den weltlichen Fürsten, wie es mehrere Konzilien und kaiserliche Gesetze erklären. Diese Exemption ist sowohl des göttlichen als auch des kirchlichen Rechtes, obwohl die Hl. Schrift kein direktes formelles Gebot in dieser Angelegenheit enthalte: die Regel beruhe aber auf Analogie zu biblischen Beispielen und auf Lehre der Väter und Konzilien. Die kirchliche Immunität ist also eine Wahrheit, die sich aus den Prinzipien des Naturrechtes ableitet, obwohl nicht auf notwendige und evidente Weise, und sie müssen nur als menschliches Recht - im Sinne von Menschenrechten - formuliert werden. Als solche können sie von keiner Autorität widerrufen oder außer Kraft gesetzt werden. Auch hier findet der Vergleich zur Seele und Leib seine Anwendung.
4.4.2. Über die Ordensleute
Der liber II. des Traktates über De membris Ecclesiae beschäftigt sich mit den Mönchen, und genauer mit der Natur, der Aufteilung und dem Ursprung des Ordenswesens, und zwar ausdrücklich gegen die „haereticorum mendacia, et calumnias“. Die Erörterung beginnt wie üblich mit der sprachlichen Klärung, d.h. der Erklärung der Bezeichnungen für Mönche und Ordensleute; damit hängt die Definition der „religio“ als „status hominum ad perfectionem Christianam per paupertatis, continentiae, et oboedientiae vota tendentium“ zusammen. Es werden einzelne „Räte der Vollkommenheit“ und Gelübde („vota“) behandelt. Der Kardinal kommt auch auf Einzelfrage zu sprechen, wie über die Eremiten, den Habit und die Tonsur der Mönche, ihre Handarbeit bzw. die Erlaubheit des Bettelns für sie.
Das Buch über die Mönche beginnt mit ähnlicher Bemerkung die der Traktat über den Papst: die Häretiker und Feinde der Kirche haben zugleich auch das monastische Leben angegriffen. In seiner Argumentation gegen Angriffe des ERASMUS und LUTHERs benützt BELLARMIN bestehende Werke der Theologen.
In der Wortbestimmung folgt er dem hl. THOMAS v.A. und sagt, daß die Bezeichnung Mönch im eigentlichen Sinne die kontemplativen Orden wie Kartäuser oder Zisterzienser meine; jene, die die Kontemplation mit Aktivität verbinden, seien eher Reguläre bzw. Ordensleute zu nennen. Das Ordensleben beziehe sich auf Menschen, die nach christlicher Vollkommenheit durch drei Gelübde - Armut, Keuschheit und Gehorsam - streben; es handle sich um einen Stand, also um ständige, dauerhafte Lebensweise. Die einzelnen Orden unterscheiden sich durch ihr besonderes Ziel. Im Weiteren behandelt BELLARMIN einzelne Einwände der Reformatoren (LUTHER, CALVIN, MELANCHTON).
4.4.3. Über die Laien
Im liber III. über die Glieder der Kirche geht es um die Laien („de laicis, sive saecularibus“) und um die Häretiker als solche, die von der Kirche getrennt sind, aber eigentlich handelt es sich um die politische Verwaltung („de Magistratu politico“) als ein Pendant zur geistlichen Vollmacht. Der gesamte Inhalt besteht aus folgenden Fragen:
1° Von der politischen Vollmacht („de politica potestate“) und zwar ob sie etwas Gutes sei („res bona“) und
2° ob sie durch die Sünde verloren geht;
3° Von ihrer Aufgabe („de officio“), und zwar als Schutz des Staates („de conservanda Republica“) vor Schlechtigkeit der Bürger, nämlich durch Gesetze, Gerichte und Schwert, und
4° als Schutz des Staates („de protegenda Republica“) vor äußeren Feinden, nämlich durch Krieg, darunter wird konkret in bezug auf LUTHER der Krieg gegen die Türken erörtert;
5° Von ihrer Aufgabe („de officio“) in Sachen der Religion, d.h. ob es die Aufgabe der politischen Verwaltung („Magistratus“) ist, Sorge für die Religion zu tragen („cura religionis“), konkret geht es um die Urlaubtheit eines beliebigen Glaubens, und
6° ob die politische Verwaltung die von der Kirche verurteilten Häretiker strafen soll, und zwar in bezug auf ihre Bücher, Tätigkeit und die Person selbst bis hin zur Todesstrafe.
Es handelt sich also hauptsächlich um sozialethische und moralische Fragen, die nicht direkt die Ekklesiologie betreffen, sondern Schlußfolgerungen aus ekklesiologischen Prinzipien ziehen.
Dazu gehören u.a. folgende Thesen: Gegenüber den Klerikern hat die politische Macht vor allem die Immunität zu beachten, der Kirche die Freiheit im geistlichen Bereich zu garantieren. BELLARMIN verwirft die Ansicht mancher Protestanten, daß der Staat sich gegenüber der Religion neutral verhalten sollte, und betont die Pflicht des christlichen Fürsten, seinen ganzen Einfluß zugunsten des katholischen Glaubens enizusetzen, die Kirche in ihrer Mission zu schützen und zu stützen. Die weltliche und die geistliche Macht seien nicht so getrennt wie die Regierungen von zwei Völkern und Staaten, sondern sind vereint wie der Leib mit der Seele. Was sich der wahren Religion widersetzt, ist auch für den Staat und den sozialen Frieden schädlich und gefährlich. „Libertas credendi perniciosa est illis ipsis, quibus conceditur; nam libertas credendi nihil est aliud, quam libertas errandi, et errandi in re omnium periculosissima; nam fides vera non est nisi una... ergo libertas ab ista une fide recedendi, est libertas in errorum baratrum ruendi.“.
Das dritte Buch der Controversia über die Glieder der Kirche spricht eigentlich von der politischen Macht: Es handelt sich um ihre Natur und ihren Ursprung (liber I), Rechte und Pflichten eines Herrschers hinsichtlich der zivilen Gesellschaft (liber II) und hinsichtlich der Religion (liber III). Zusammen mit den Traktaten De Romano Pontifice und De clericis wurde gerade dieses Traktat besondern von den Theoretikern des Absolutismus gehaßt: Als um die Mitte des 18. Jh.s der Seligsprechungsprozeß des BELLARMIN am Ende war, widersetzte sich Frankreich sehr heftig.
Für den Kardinal aber, der sich an die katholische Tradition hielt, kommt die politische Macht von Gott selbst. Dies widersprach dem Anarchismus der Anabaptisten. Darin berief er sich auf klassische Stellen des Alten und Neuen Testamentes, wie auch auf die menschliche Natur (der Mensch als soziales Wesen und die Notwendigkeit einer Regierung der Gesellschaft). Gott der Schöpfer dieser Natur ist somit der Schöpfer der politischen Autorität.
Es ist aber eine weitere Frage, wer der Inhaber dieser Macht ist. Dazu gab es verschiedene Theorien. JAKOB I von England vertrat im Buch Basilicon Doron (1601) die Ansicht, daß der König „Gott unter den Menschen“ sei, da er die Macht direkt von Gott erhalten habe und nur vor Gott verantwortlich sei. In dem wenige Jahre später veröffentlichten Buch Jus liberale monarchiae schrieb er: „Die Untertanen sollen den König als den von Gott selbst gegebenen Richter ehren, der alleine vor Gott verantwortlich ist.“ Diese Ideologie wurde v.a. durch G. BARCLAI heftig verteidigt. Dagegen wendet sich BELLARMIN, indem der die thomistische Lehre vertritt, daß die politische Autorität „von Gott durch das Volk“ kommt; das direkte Subjekt der Autorität ist das Volk. Dazu gibt der Kardinal ein klassisches Argument: Das göttliche Recht verleiht die politische Macht nicht einem Einzelnen, sondern dem Volk („multitudini“). Erst deswegen, daß das Volk nicht selbst diese Macht ausüben kann, muß es sie an einen Einzelnen oder an eine Gruppe übertragen. Die politische Macht im allgemeinen ist also göttlichen Rechtes, aber ihre konkrete Form der Ausübung ist menschlichen Rechtes. Daraus folgt, daß eine durch Gewalt - d.h. ohne Verleihung durch das Volk - erlangte Macht nur durch freie und mindestens schweigende Zustimmung des Volkes nachträglich legitim werden kann. Dann schuldet dieses der Regierung Gehorsam, freilich nur im legitimen Rahmen. Dies betrifft auch eine erbliche Monarchie: Seitdem diese Form legitim wurde, hat der Monarch die Macht über dem Volk und es ist unzulässig, gegen legitimen Monarchen zu rebellieren.
Die vollkommenste Form einer Gesellschaft ist die Monarchie. Dies leitet BELLARMIN (ähnlich wie die scholastischen Theologen) aus der Hl. Schrift, aus der Ordnung der Natur, aus Beispielen der Geschichte und aus rationalen Überlegungen ab. Er betont aber, daß Monarchie nicht gleich Absolutismus ist. Es soll einen König geben, der keinen Herrscher über sich hat, aber es soll auch Fürsten geben, die nicht einfach Beamte des Königs sind, sondern bei Gehorsam gegenüber dem König ein eigenes Territorium verwalten. Die Monarchie soll insoweit erblich sei wie die Fürstentümer.
Ein Regierender hat zwei Arten von Untertanen - Laien und Kleriker - und beiden gegenüber große Pflichten, die er vor allem in dem Traktat an den jungen polnischen Prinzen darlegt. Seitens der Untertanen gebührt dem Regierenden Anerkennung seiner Autorität, die durch seine Sünden oder Fehler nicht gemindert wird. Er steht ihm zu, staatliche Gesetze zu erlassen, die im Gewissen (d.h. unter Sünde) verpflichten, da sie vom Stellvertreter des „Königs der Könige“ stammen. Darin gründet auch die Legitimität der Strafsanktionen, einschließliche der Todesstrafe, der Verkündigung eines Krieges, wenn es das Wohl des Volkes verlangt. Hier fügt BELLARMIN Regel für einen gerechten Krieg (als einen Akt der strafenden Gerechtigkeit) hinzu.
Es ist Pflicht eines katholischen Fürsten, die Häresie zu bekämpfen, d. h. vor allem gegen häretische Bücher und andere Mittel der häretischen Propaganda vorzugehen; Ähnliches gilt für heidnische, jüdische und mohammedanische Literatur, obwohl diese in der Praxis weniger gefährlich sei. Was die häretische Person selbst angeht, meint BELLARMIN, daß von der Kirche verurteilte Häretiker auch durch weltliche Strafen - einschließlich Todesstrafe - bestraft werden können (gegen die Ansicht von HUS und LUTHER), aber nicht müssen (gegen die Ansicht von CALVIN). Diese Ansicht begründet er biblisch, aus der Praxis der Kirche und aus den Vätern (AUGUSTINUS).
Wie ist es mit der Situation, wenn ein Herrscher die Macht mißbraucht, etwas gegen göttliches oder kirchliches Recht befiehlt oder einer Apostasie verfällt? Es handelt sich um zwei Fragen: Das Recht auf Widerstand gegenüber einem ungerechtem Herrscher und das Recht der Revolte gegen eine tyrannische oder verderbliche Herrschaft. Seine Antworten formulierte BELLARMIN zur Zeit der Revolte der Venezianer gegen den Papst PAUL V, aber als Prinzipien ohne direkten aktuellen Bezug:
1° Wenn ein menschliches Gebot dem göttlichen Gesetz widerstrebt, darf man es nicht befolgen; dies gilt sowohl für kirchliche wie für weltliche Macht;
2° Dasselbe Recht des passiven Widerstands gilt auch für Entscheidungen, die jemandes Ehre oder Wohl in evidenter Weise verletzen, denn dann handelt es sich um ein Gebot Gottes und alleine gerechte Gesetze von Gott stammen können;
3° Wenn die Ungerechtigkeit einer Entscheidung nur wahrscheinlich ist, muß ihr gehorcht werden, denn nur sicher festgestellter, notorischer und gravierender Mißbrauch der Macht hat keinen Anspruch auf Gehorsam; im Zweifelsfall soll man gehorchen.
BELLARMIN sieht aber auch Situationen vor, wo auch aktiver Widerstand erlaubt ist, um Umsetzung des ungerechten Willens zu verhindern. Er behandelt aber diese Frage nicht direkt. Aus seinen Aussagen lassen sich aber einige Prinzipien für die Legitimität einer Revolte zusammenstellen:
1° Die königliche Herrschaft ist nicht direkt göttlichen, sondern des menschlichen Ursprungs und kann als solche von Menschen geändert werden; so kann eine Monarchie in eine Aristokratie oder Demokratie oder umgekehrt umgewandelt werden;
2° Das Volk hat kraft des Naturrechtes immer die Macht mindestens in habitu, wenn nicht in actu, und kann sie immer zurückfordern; es hat also das Recht, ihren Herrscher abzusetzen.
Welche sind die „gerechten Ursachen“ einer Revolte? Wer ist berechtigt, darüber zu urteilen, daß sie vorliegen? BELLARMIN antwortet nicht auf diese Fragen. Er betont nur, daß ein Einzelner darin überfordert wäre und daß die Menge von sich aus ebenfalls über Tyrannei nicht urteilen könne.
5. Zusammenfassung
Die Ekklesiologie des BELLARMIN beruht auf fundierter Kenntnis der Hl. Schrift, der patristischen und scholastischen Theologie, der Geschichte und der Dokumente der Kirche, sowie der Schriften der Zeitgenossen und der Gegner. Seine Ausführungen gehören in den Rahmen der Kontroverstheologie, ihre Darlegung erfolgt jedoch möglichst systematisch. Die Eröterungen sind sachlich, exakt und klar, obwohl sie auf umfangreichem Wissen aufbauen. Der Autor sucht nach einer mittleren Position zwischen Extremen. Diese wird in der langen Lehr- und Lebensüberlieferung der Kirche fest verankert und sucht nach Antworten auf aktuelle Fragen.
Literatur:
Ven. Cardinalis ROBERTI BELLARMINI Politiani S.J. Opera Omnia..., ed. J. Fevre, Paris 1870-1874 (Frankfurt a.M. 1965), tomi I-XII (= Opera).
J. DE LA SERVIÉRE, La Théologie de Bellarmin, Paris 1909 (= SERVIÉRE).
Th. DIETRICH, Art. Bellarmin, in: 3LThK, Bd. 2, 189-191.
A. BEA., in: Biblica 13 (1932) 1-5.
J. Rigal, L’ecclesiologie tridentine, in: Bull. de litt. eccl. XCI/4 (1990) 251-273.
Będzie po polsku?
OdpowiedzUsuńNiestety nic nie rozumiem
OdpowiedzUsuń"Św. Bazyli Wielki, Doktor Kościoła (330–370): „Otrzymywanie Komunii do ręki dozwolone jest jedynie w czasach prześladowań”. Św. Bazyli uważa praktykę tę za tak poważne nadużycie, że nie wahał się traktować jej jako ciężkie przewinienie. Św. Leon Wielki, Papież (440–461): „Przyjmuje się do ust to, co uznaje się przez wiarę”. Lokalne synody wypowiadały się w tym samym duchu. Synod w Saragossie (380) ekskomunikował każdego, kto odważyłby się przyjmować Komunię Św. na rękę. Dekret ten został później potwierdzony przez Synod w Toledo. Synod w Rouen (650) potępił zwyczaj przyjmowania Komunii św. do ręki. Synod w Konstantynopolu „in Trullo” (692) zabronił wiernym brania Hostii Świętej do rąk, grożąc nieposłusznym ekskomuniką. "
OdpowiedzUsuńKsięże czy te cytaty są prawdziwe?
Warte opublikowania w jakimś niemieckim periodyku Katolickim 😊
OdpowiedzUsuńNiech będzie pochwalony Jezus Chrystus!
OdpowiedzUsuńDziękuję Księdzu za tak obszerny tekst o eklezjologii św. Roberta Bellarmina.
Mam jedno małe pytanie. Jak należy rozumieć pojęcie "Kontroverstheologie" ?
Z Panem Bogiem!
Jest to wyjaśnione w tekście: chodzi o teologię, która zajmuje się kwestiami spornymi, czyli zwalcza błędne mniemania.
UsuńSzkoda, ze nie po Polsku.
OdpowiedzUsuń